Als der Stadtrat im Dezember nach heftiger Debatte die Fortschreibung des Nahverkehrsplanes beschloss, war den Ratsmitgliedern schon klar, dass diese Fortschreibung mit dreijähriger Verspätung kam und nicht einmal den Anforderungen des Jahres 2016 genügt hätte. Tatsächlich steckt der Leipziger Nahverkehr in einer tiefen Krise.
Und der Nahverkehrsplan enthält auch noch kein einziges Projekt für das 2018 beschlossene „Nachhaltigkeitsszenario“. Wobei es nicht einmal neu ist, dass der ÖPNV in Leipzig eigentlich wachsen soll. Das wurde sogar 2011 ganz offiziell LVB-Leitbild. Das nannte sich damals „Fokus 25“: Bis zum Jahr 2025 wollten die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) tatsächlich 25 Prozent aller täglichen Wege der Leipziger abdecken.
In der entsprechenden Publikation der LVB las sich das genau so: „Wir erhöhen unseren Marktanteil, sodass zukünftig mindestens jeder vierte Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt wird.“
In der Publikation steht auch noch der fesche Satz: „Derzeit werden in Leipzig knapp 20 Prozent aller Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt.“
Das stimmte schon damals nicht. So einen hohen Anteil hatte der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Leipzig zuletzt 1994 gehabt. Danach sank dieser Anteil permanent, weil immer mehr Leipziger sich ein Auto zulegten. Der Anteil des Motorisierten Individualverkehrs (MiV) stieg von 35,9 Prozent Anteil an allen Wegen im Jahr 1994 auf 44,1 Prozent im Jahr 2003. Gleichzeitig sank der ÖPNV-Anteil von 20,1 Prozent auf 17,3 Prozent.
Und dabei ist es eigentlich bis in die jüngere Vergangenheit geblieben. 2013 wurden 17,1 Prozent für den ÖPNV ermittelt, 2015 dann 17,6 Prozent.
Der MiV-Anteil ging zwar wieder auf 39,7 Prozent zurück. Doch wirklich gewachsen ist nur der Anteil des Radverkehrs, der 2003 noch bei 12,4 Prozent lag, 2015 mit 17,3 Prozent den ÖPNV aber fast eingeholt hatte.
Schon damals schrieben wir: Die Leipziger steigen aufs Rad um, nicht auf die Straßenbahn.
Dass es gewaltige Widerstände gegen den Ausbau des ÖPNV in Leipzig gab und gibt, wurde schon 2012 sichtbar, als die CDU-Fraktion im Stadtrat eine heftige Kampagne gegen die Radstreifenmarkierung in der Georg-Schumann-Straße lostrat und vor allem die anvisierten 25 Prozent für den ÖPNV unter Beschuss nahm.
Die Zahl tauchte ja auch in Dokumenten der Stadt auf – zum Beispiel im Klimaschutzplan, wo sie natürlich Sinn ergab. Aber Leipzigs Verwaltung ließ sich einschüchtern. Seitdem wird nur noch von 23 Prozent ÖPNV im Jahr 2025 geredet. So auch im damals heiß diskutierten „Stadtentwicklungsplan Verkehr“.
Das Ernüchternde ist nur: Nicht einmal diese Zahl haben Stadt und LVB wirklich in Angriff genommen. Was mehrere Gründe hat. Der wichtigste: Der enorme Investitionsstau, der sich ab 2007 abzeichnete. Denn nicht nur die Stadt war von der Landesdirektion zu Sparen und Schuldenabbau verdonnert worden, was sämtliche Investitionspläne ausbremste. Auch die LVB wurden zum Sparen gezwungen. Der jährliche Zuschuss über die LVV wurde von 60 Millionen Euro auf 45 Millionen Euro gedrückt. Und mit dem Geld sollten die LVB auch noch auskommen, als das „Fokus 25“-Heft eigentlich von einer anderen Strategie erzählte.
Aber diese Strategie war finanziell unmöglich. Die knappen Gelder flossen und fließen in Substanzerhalt und Fahrzeugbeschaffung. Von einer Erweiterung im Gleisnetz kann keine Rede sein. Und das Jahr 2019 zeigte dann endgültig, dass das System so an seine Grenzen gekommen ist. Es fehlte an Fahrern. Im Stoßverkehr platzten die Bahnen aus allen Nähten. Und: Das Fahrgastaufkommen wuchs nicht mehr.
Den letzten Zuwachs im Fahrgastaufkommen der LVB hatte es 2017 gegeben, da war die Zahl der Fahrgäste noch einmal gestiegen von 148 Millionen auf 155 Millionen. Das war ein Zeitpunkt, da konnten die LVB noch davon ausgehen, dass sie mit dem bestehenden System bis zu 170 oder 180 Millionen Fahrgäste würden transportieren können.
Doch es gibt auch psychologische Grenzen, die Menschen dazu bewegen, eben doch nicht einzusteigen. Und die wirken in Leipzig. Auch das machte ja die Diskussion um den Nahverkehrsplan deutlich. Wichtige Strecken fehlen einfach, wichtige Tagesrandzeiten werden zu dünn bedient, reihenweise meldeten sich Ortschaften am Stadtrand zu Wort, die sich regelrecht vernachlässigt fühlen.
2018 stagnierte die Fahrgastzahl der LVB erstmals, der Zähler blieb bei 156 Millionen Fahrgästen hängen. Das interpretierten die Verkehrsbetriebe damals mit einigen großen Baustellen, die für Monate Schienenersatzverkehr mit sich brachten. Doch die Interpretation stimmt so nicht.
Das deutet der aktuell veröffentlichte Quartalsbericht III/2019 schon an. Er enthält zumindest die Fahrgastzahlen bis September, in der Summe 112,6 Millionen Fahrgäste. In den letzten drei Monaten 2018 waren noch 40,7 Millionen dazu gekommen.
Wenn man diese Zahl zu den 112,6 Millionen addiert, kommt man trotzdem nur auf 153 Millionen Fahrgäste.
Möglicherweise hat das mit den vielen Fahrerausfällen zu tun und den monatelang geltenden „Ferienfahrplänen“ auf wichtigen Linien.
Aber es bedeutet eben doch, dass die LVB keine „Marktanteile“ dazugewinnen konnten und tatsächlich seit drei Jahren stagnieren.
Die Modal-Split-Zahlen für 2018 sind noch nicht veröffentlicht. Die sollen erst im Frühling kommen. Aber schon jetzt ist klar, dass die LVB mit solchen Zahlen beim gleichzeitigen Bevölkerungswachstum weitere Anteile beim Modal Split verliert, dass auch die 20 Prozent immer mehr in die Ferne rücken, von 23 oder 25 Prozent nicht einmal geträumt werden kann.
Die Gründe sind oben aufgezählt: Wer das Netz nicht leistungsfähiger macht und so ausbaut, dass auch und gerade Autofahrer zum Umsteigen animiert werden, der kann seine Anteile nicht ausbauen. Da hilft nicht einmal ein Stopp für die ewigen Tarifsteigerungen, die die Finanzierungslasten immer mehr auf die Schultern der Fahrgäste umverteilt haben.
Der viel zu späte Ausstieg aus dem Spar-Modus, unter dem Angebot und Gleisnetz gelitten haben, zeigt jetzt seine Wirkung. Und da eine wirklich wirksame Erweiterung im Angebot auch für 2020 und 2021 nicht in Aussicht steht, werden sich die Fahrgastzahlen auch in den nächsten Jahren nicht steigern lassen.
Der neue Nahverkehrsplan legt durchaus eine Grundlage für das 365-Euro-Jahresticket
Der neue Nahverkehrsplan legt durchaus eine Grundlage für das 365-Euro-Jahresticket
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