Am 20. September stellte die Bundesregierung ihr Eckpunktepapier zum Klimaschutzprogramm vor, in dem sich auch zum Sektor Verkehr folgender Passus findet: „Modellprojekte für ÖPNV-Jahrestickets: Die Bundesregierung wird zusätzlich 10 Modellprojekte zur Stärkung der ÖPNV unterstützen, zum Beispiel die Einführung von 365-Euro-Jahrestickets.“ Ein Satz, der die SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat elektrisierte: Wäre das nichts für Leipzig? Wir wollen doch …

Das Dezernat Stadtentwicklung und Bau hat jetzt geantwortet und natürlich auch alle Schwierigkeiten aufgezählt, die man bei der Einführung eines 365-Euro-Tickets sieht.

Aber andererseits ist mittlerweile auch Oberbürgermeister Burkhard Jung bei dem Thema in der Spur. Die seit drei Jahren anhaltende Diskussion über einen besseren ÖPNV für Leipzig zeigt Wirkung. Das lässt sich nicht mehr aussitzen.

„Am 15. Mai 2019 hat der Stadtrat den Oberbürgermeister beauftragt, die Einführung eines 365 Euro-Jahrestickets bis zum Ende des 1. Quartals 2020 zu prüfen. Diese Prüfung läuft aktuell und bereits heute ist sicher, dass die Umsetzung erhebliche Mindereinnahmen bei den Verkehrsunternehmen mit sich bringen würde und dass eine praktische Realisierung nur möglich scheint, wenn eine umfangreiche Förderung durch Dritte gelingt“, stellt nun das Dezernat Stadtentwicklung und Bau fest.

Das werden wir näher kommentieren, wenn die Prüfergebnisse erst einmal öffentlich sind. Denn überraschend ist das natürlich nicht, wenn das Jahresabo quasi im Preis halbiert wird. Denn die ersten, die profitieren, sind ja die treuen Abo-Kunden der LVB. Sie zahlen dann weniger, während das aktuelle ÖPNV-System so knapp kalkuliert ist, dass eine rapide Steigerung der zahlenden Fahrgastzahl kaum noch denkbar ist.

Aber wenn das Abo preiswerter wird, wird es logischerweise mehr Abonnenten geben. Die Frage ist nur: wie viele und in welchen zeitlichen Entwicklungen?

Die Co-Finanzierung für das 365-Euro-Abo könnte gegebenenfalls „über die zur Förderung vorgesehenen Modellprojekte des Bundes im Rahmen seines Klimaschutzprogramms möglich sein“, bestätigt das Planungsdezernat.

„Im Sinne des Antrags hat der Oberbürgermeister bereits Ende September ein entsprechendes Schreiben an den Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur gerichtet. In der Antwort von Ende Oktober wird auf die noch in Erarbeitung befindlichen Rahmenbedingungen und haushalterischen Voraussetzungen auf Bundesebene verwiesen, nach deren Vorliegen interessierte Kommunen entsprechende Vorhaben einbringen könnten.

Mit Vorliegen der Förderbedingungen und des Förderumfangs auf Bundesebene kann die Ausgestaltung eines solchen Projektes und seine Konsequenzen auf städtischer Ebene (einschließlich der in diesem Zusammenhang mit dem MDV und dem ZVNL zu klärenden Themen) geklärt und über einen konkreten Förderantrag entschieden werden. Der Stadtrat wird über den weiteren Fortgang informiert.

Bundesweit wird in der politischen Öffentlichkeit derzeit sehr intensiv über die Einführung von 365 Euro-Jahrestickets diskutiert. Hintergrund ist das im Jahr 2012 in Wien eingeführte überarbeitete Tarifsystem (erhebliche Absenkung der Preise für Jahres- und Monatskarten, deutliche Preissteigerung für Gelegenheitskunden), welches (aber nur) eine Komponente des sogenannten ,Wiener Modells‘ darstellt.“

Mit dem Wiener Modell hat sich inzwischen auch das Planungsdezernat intensiv beschäftigt.

Und siehe da: Allein die Einführung des 365-Euro-Tickets reicht nicht. Die Rahmenbedingungen müssen mitbedacht und verändert werden.

Das klingt aus dem Planungsdezernat dann so: „In verschiedenen Studien wurden seitdem die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge des ,Wiener Modells‘ untersucht. Im Ergebnis wird die Wirkung geringer Fahrpreise auf die Nachfrage nicht bestritten, viel zentraler sind jedoch das ÖPNV-Angebot und die Pkw-Verfügbarkeit, die wiederum stark von der Knappheit und den Kosten für Parkplätze beeinflusst wird.

Doch auch wenn die Nachfragewirkung eines 365-Euro-Tickets eher verhalten einzuschätzen wäre, ist aufgrund heute weitestgehend ausgeschöpfter Beförderungsreserven in den Spitzenlastzeiten des ÖPNV von erheblichen Mehrkosten zur Angebotsausweitung auszugehen, um die Nachfrageeffekte bedienen zu können. Umso mehr kommt es auf die Gesamtschau von Förderbedingungen, Konsequenzen und Reaktionsmöglichkeiten an, um einen konkreten Förderantrag zu gestalten.“

Ein Punkt, in dem es der Stadt auf die Füße fallen könnte, dass man die Umsetzung des 2018 vom Stadtrat beschlossenen „Nachhaltigkeitsszenarios“ im wesentlichen hinter das Jahr 2024 verschoben hat, womit vorher keine neu entstehenden Freiräume und zusätzlichen Kapazitäten im Netz entstehen. Das betrifft ganz zentral Angebotserweiterungen im S-Bahn-Verkehr und eine deutliche Erhöhung der Leistungsfähigkeit im Straßenbahnnetz. Auch der aktuell diskutierte Nahverkehrsplan ist viel zu wenig ambitioniert, um diese Kapazitätserweiterungen schon vor 2024 auf den Weg zu bringen.

Das Tempo, in dem sich die Welt verändert, ist ganz unübersehbar nicht das Tempo der Leipziger Stadtpolitik.

Die SPD-Fraktion war ja auch noch ein wenig neugierig und wollte schon mal wissen, was die Einführung des 365-Euro-Tickets möglicherweise zusätzlich kosten würde.

Aber außer der Aussage, dass es (wie eigentlich erwartet) eine Lücke geben wird, die mit Zuschüssen geschlossen werden muss, will man lieber noch nichts sagen: „Die Auswirkungen eines 365 Euro-Jahrestickets werden im Zusammenhang mit der Abarbeitung des Prüfauftrages bis Ende des 1. Quartals 2020 aufgezeigt.“

Die Verkehrswende fängt mit ehrlichen Kostenberechnungen und besserer Förderung für ÖPNV und Radverkehr an

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