Am Mittwoch, 18. Dezember, beschloss der Leipziger Stadtrat nun die 2. Fortschreibung zum Leipziger Nahverkehrsplan. Vorher gab es 37 Änderungsanträge, die deutlich machten, dass die Vorlage der Verwaltung so einfach nicht auf der Höhe der Zeit war. Und den Unmut an der Vorlage machten mehrere Fraktionen sehr deutlich. Beschlossen haben sie das Papier eigentlich nur, weil nun anschließend schon die nächste Fortschreibung fällig ist.
Denn der Nahverkehrsplan ist auch schon deutlich überfällig. 2016 war er von der Verwaltung aus dem Rennen genommen worden, um noch die vom Stadtrat gewünschten Mobilitätsszenarien zu erstellen. Die dann sehr deutlich machten, dass Leipzigs Nahverkehr einen Quantensprung braucht. Mit der alten Spar- und Kleckerpolitik geht es nicht weiter.
Auch der SPD-Fraktion genügte die Vorlage nicht wirklich, auch wenn SPD-Stadträtin Anja Feichtinger sich bei der Verwaltung bedankte, dass sie sich mit all den Änderungsanträgen dann doch noch einmal so viel Mühe gegeben habe.
„37 Änderungsanträge zeigen, dass das öffentliche Interesse am Thema ÖPNV gestiegen ist. Leider machen diese 37 Änderungsanträge auch sichtbar, dass die vorgelegte Fortschreibung des Nahverkehrsplans der Stadt Leipzig kein großer Wurf ist. Sie ist vielmehr ein weiter so“, sagte sie in ihrer Stadtratsrede.
„Ambitionierte Maßnahmen, noch mehr Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt dazu zu bewegen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, fehlen. Visionen kommen in Prüfaufträge. Leider wissen wir, was mit Prüfaufträgen passiert …
Dies mache ich an drei Punkten fest:
1. Alle Forderungen der Fraktionen zur besseren Anbindung der Ortschaften und Außenbereiche an die Kernzone werden abgelehnt. Begründung: zu hoher finanzieller Aufwand. Es drängt sich die Vermutung auf, dass die Verwaltung ihre Hausaufgaben zur besseren Anbindung der Außenbereiche bzw. Stadtrandlagen nicht gemacht hat und sich nunmehr hinter der Aussage der LVB versteckt, dass alles zu viel Geld kostet. Wir hoffen, dass als Übergangslösung die Ausdehnung des Flexa-Angebots durch die LVB schnellstmöglich umgesetzt wird.
2. Derzeit werden durch die Bundes- und Landesregierung Fördermittel zum Ausbau des ÖPNV zur Verfügung gestellt. Auch hieran sieht man, dass ein Umdenken in Bund und Land stattgefunden hat. Die Planungen in Nahverkehrsplan beziehen sich zum größten Teil auf bereits bestehende Projekte bzw. die Sanierung des maroden Netzes. Neuplanungen zum Ausbau des Streckennetzes sollen gemäß Plan bis 2024 abgeschlossen sein. Erst dann kann gebaut werden. Das ist aus Sicht der SPD zu spät. Fördermittel können bis dahin nicht optimal genutzt werden.
3. Für die Kundenbindung und Neukundengewinnung ist es erforderlich, dass das Busnetz reformiert wird. Vorschläge der Bürger, der Fraktionen und Ortschaftsräte werden mit der Begründung abgelehnt, dass diese nicht Bestandteil dieses Planes sind. Wir fordern eine Busnetzreform in 2020.“
Und während Planungsbürgermeisterin Dorothee Dubrau es als ambitioniertes Ziel bezeichnet, die Fahrgastzahlen der LVB von 156 auf 185 Millionen zu steigern, hat auch die SPD-Fraktion ganz andere Zahlen vor Augen.
Feichtinger: „Oberstes Ziel muss es in den nächsten 5 Jahren sein, die Anzahl der Fahrgäste von 165 auf 220 Millionen zu steigern. Mit der Einführung eines 365-Euro-Jahresticket kann dies gelingen. (…) Wir sind der Überzeugung, dass das 365-Euro Ticket kombiniert mit einem Bildungsticket des Landes den ÖPNV preislich sehr attraktiv macht und ein echter Anreiz zum Umstieg vom Auto auf ÖPNV wären. Somit sehen wir den Nahverkehrsplan nur als Übergangsplan an und möchten die Verwaltung ermutigen, zeitnah eine Fortschreibung zu starten, damit wir bis 2024 entscheidende Schritte vorankommen.“
Das, was dann zusätzlich in den Plan kam, sind eigentlich eher kleinere Posten, die bis 2023 umsetzbar sind.
Auch wenn FDP-Stadtrat Sven Morlok die beschlossenen Mehrausgaben von etwa 4,5 bis 5 Millionen Euro eher für unbedacht hält und dem OBM gar fehlende Anstrengung attestiert, die anstehenden Veränderungen im ÖPNV überhaupt einmal zu beziffern.
„Nach 12 Jahren Amtszeit des Oberbürgermeisters liegt uns ein Nahverkehrsplan vor, der symptomatisch für die fehlenden oder mehrfach verschobenen Mobilitätsstrategien und -konzepte im ÖPNV-, Rad- und Fußverkehr steht“, sagte Sven Morlok.
„Der Nahverkehrsplan fällt vor allem durch einen Mangel an einer Finanzierungs-, Maßnahmen- und Zeitplanung auf. Für die bis 2024 zu realisierenden Maßnahmen müssen jedoch die entsprechenden Mittel in die Haushaltspläne der nächsten Jahre eingestellt werden, sonst macht der Nahverkehrsplan keinen Sinn. Ein Oberbürgermeister, der sich nach über einer Dekade weigert, die finanziellen Auswirkungen zu beziffern, ist seines Amtes nicht würdig.“
Piraten-Stadtrat Thomas Köhler, der die Fraktion Freibeuter im Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau vertritt, freute sich zumindest über die nun beschlossene Erarbeitung eines verbesserten Mobilitätsangebots im Nachtverkehr des ÖPNV in Leipzig zwischen 0 und 5 Uhr.
„Ein Mobilitätsangebot im Nachtverkehr muss die veränderten Mobilitätsbedürfnisse der Leipziger in den Nachtstunden berücksichtigen. Auch den in Spät- und Nachtschichten arbeitenden Leipzigern muss es möglich sein, die letzte Straßenbahn oder den Bus noch zu erwischen, um nicht nach einem harten Arbeitstag auch noch 1,5 Stunden an der Haltestelle stehen zu müssen“, so Köhler.
„Andernfalls wird der Schichtarbeiter nicht auf das Auto verzichten können. Die Lösung aus Sicht der Fraktion Freibeuter ist ein gut getaktetes und verlässliches Angebot im Nachtverkehr des Nahverkehrs.“
Ziemlich generell in ihrer Kritik wurde freilich Franziska Riekewald, die verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion.
„Der derzeitig gültige Nahverkehrsplan wurde im Jahr 2007 beschlossen. Damals war Leipzig noch eine stagnierende Stadt und niemand hat geglaubt, dass im Jahr 2019 über 600.000 Menschen in Leipzig wohnen. Normalerweise wird ein Nahverkehrsplan für 5 Jahre aufgestellt und sollte dann fortgeschrieben werden. Das ist ja auch logisch, da sich gerade stadtentwicklungstechnisch in fünf Jahren viel ändert. Warum der Oberbürgermeister für die jetzige Fortschreibung des Nahverkehrsplans über 12 Jahre gebraucht hat, weiß ich nicht. Ich hatte jedoch in den letzten sechs Jahren nicht das Gefühl, dass es für ihn ein wichtiges Thema ist.“
Aber hat das lange Hinausschieben etwas gebracht?
Aus Sicht der Linken überhaupt nicht, stellte Riekewald fest: „Nun haben wir Dezember 2019 und endlich dürfen wir als Stadträte über die Fortschreibung des Nahverkehrsplans abstimmen. Nach dieser langen Odyssee der Entstehung dieses Papiers würde man ja denken, dass der Inhalt bestimmt besonders zukunftsweisend und ambitioniert ist. Aber weit gefehlt. Schon die 38 Änderungsanträge, die von allen Fraktionen gestellt wurden, zeigen, dass der Plan die Erwartungen nicht erfüllt.“
Da hatte wohl nicht nur die Linke das Gefühl, dass so ein Nahverkehrsplan keine wirklichen Erweiterungen für die Fahrgäste mit sich bringt. Man fürchtet ja sogar weitere Streckenstilllegungen, seit die Stadt auch noch die Gleisdemontage auf der Schlachthofbrücke für gut befunden hat, sodass künftig keine Straßenbahn mehr über die Richard-Lehmann-Straße ausweichen kann.
„Wir als Linke sind der festen Überzeugung, dass das derzeitige Schienennetz nicht noch mehr ausgedünnt werden darf“, betonte Riekewald deswegen.
„Alle Beschlüsse zu Klimanotstand, 365-Euro-Ticket, Nachhaltigkeitsszenario und so weiter werden ad absurdum geführt, wenn wir gleichzeitig funktionierende Schienen abbauen und unser Netz verkleinern. Es geht bei unserem Änderungsantrag nicht darum, der LVB die Flexibilität zu nehmen, nein ganz im Gegenteil. Wir schreiben, dass die Gesamtlänge des Haupt- und Betriebsnetzes auf dem derzeitigen Stand bleiben soll.
Wenn also z. B. mit der Neubaustrecke Mockau die Gleise umgelegt werden, dann ist das tatsächlich sinnvoll und das unterstützen wir voll und ganz und wäre auch mit Beschlussfassung unseres Änderungsantrages natürlich möglich. Außerdem umfasst der Antrag eine Beschleunigung der Umsetzung von in Planung befindlichen Streckenneubauten. Da ist nämlich wieder das Schneckentempo. Wenn wir heute über Planungen reden und ich dann immer wieder als Antwort bekomme, vor 2022 wird da gar nichts gebaut, dann denke ich, dass das Thema Verkehrswende tatsächlich noch nicht in den Köpfen der Verwaltung angekommen ist.“
Solche Prozesse könne man durchaus beschleunigen, wenn man wolle, sagte Riekewald. „Aber dazu muss ich natürlich bereit sein, Geld in die Hand zu nehmen und Prioritäten zu verschieben. Aber wenn wir das nicht bald tun, dann brauchen wir uns über Klimanotstand und Klimawandel nicht zu unterhalten.“
Aber selbst die selbst gesteckten Klimaschutzziele erreicht Leipzig nicht.
„Laut Umsetzungsbericht Energie- und Klimaschutzbehörde kommen immer noch 32 % der CO2 Emissionen in Leipzig aus dem Verkehrssektor. Über die Hälfe wird übrigens von PKWs verursacht. Das zeigt, dass es eben kein Selbstzweck ist, den ÖPNV zu fördern und attraktiver zu machen, sondern eine Notwendigkeit, um die Klimaschutzziele zu erreichen“, betonte Riekewald.
Und ganz ähnlich äußerte sich am Donnerstag, 19. Dezember, Sophia Kraft, energiepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion: „Dass Leipzig die selbst gesetzten Ziele im Bereich Klimaschutz nicht erreicht, war seit langer Zeit absehbar. In den vergangenen Jahren sind beschlossene und notwendige Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen nur zögerlich und zum Teil gar nicht umgesetzt worden. Es scheint, dass nach wie vor nicht allen die Notwendigkeit zum Umsteuern klar ist und man auch den Ambitionen des aktuell verkündeten Europäischen Green New Deals hinterherhinkt.“
Und Jürgen Kasek, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion: „Das Abstellen darauf, dass die Zählmethode geändert wurde und die Wirtschaft belebt worden sei, kaschiert nur notdürftig, dass gerade in den Bereichen Verkehr und Gebäudesanierung in den letzten Jahren deutlich zu wenig passiert ist. Das Scheitern der Zielsetzung war bereits seit 2010 absehbar. Es reicht nicht aus, nur einen Klimanotstand zu verabschieden, es müssen Konsequenzen folgen.“
Mit der Umstellung der Zählmethode meint er: Seit 2015 werden auch die Flüge der Leipziger in die Berechnung des CO2-Aufkommens pro Kopf und Jahr einbezogen. Dadurch stieg dieser Wert von 2015 zu 2016 von 5,53 Tonnen auf 6,81 Tonnen. Was zumindest sichtbar machte, wie klimaschädlich die Buchung von Flügen durch die Leipziger sich auswirkt. 2017 fiel der Wert nur wenig auf 6,77 Tonnen, ein Effekt, der allein mit dem Bevölkerungswachstum zu erklären ist. Vom Erreichen der 4,5 Tonnen, die Leipzig mal für 2020 anvisiert hatte, kann keine Rede sein.
„Gerade im Verkehrsbereich gibt es erhebliche Einsparpotentiale, ebenso im Energieverbrauch der Stadt. Auch der Ausbau Erneuerbarer Energien über das Fernwärmenetz als auch über Quartierslösungen mit Niedrigtemperaturnetzen muss ambitionierter vorangetrieben werden. Die urbane Energie-, Wärme- und Verkehrswende ist als Chance für Leipzig zu verstehen“, so Kasek.
Und zum Dilemma gehört nun einmal auch, dass Leipzig beim Ausbau des Nahverkehrs seit Eröffnung des S-Bahn-Netzes im Dezember 2013 keine wirklich sichtbaren Anstrengungen unternommen hat.
Franziska Riekewald: „Mit dem vorliegenden Nahverkehrsplan kommen wir diesem Ziel nicht wirklich näher. Man kann nur sagen, lassen Sie uns heute einen Haken an das Kapitel ,2. Fortschreibung Nahverkehrsplan‘ machen und starten wir spätestens im Jahr 2022 mit der 3. Fortschreibung. Dann wird es vielleicht auch ein Nahverkehrsplan, der wirklich Antworten auf den Klimanotstand gibt und eine Verkehrswende einläutet. Wir werden uns jedenfalls heute enthalten.“
Der Stadtrat tagt: Fortschreibung des Nahverkehrsplans beschlossen
Der Stadtrat tagt: Fortschreibung des Nahverkehrsplans beschlossen
Hinweis der Redaktion in eigener Sache (Stand 1. November 2019): Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label „Freikäufer“ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen.
Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen und ein Freikäufer-Abonnement abschließen.
Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekären Situation unserer Arbeit zu unterstützen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine „Paywall“, bemühen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch für diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten können und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood über Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.
Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 400 Abonnenten.
Keine Kommentare bisher