Als der deutsche Mathematiker Dietrich Braess 1968 das nach ihm benannte Paradoxon verรถffentlichte, erwischte er die deutschen Verkehrsplaner auf dem falschen Fuร. Denn die waren bis dahin allesamt der Meinung, man mรผsse nur immer mehr und grรถรere Straรen bauen, um die wachsenden Blechlawinen schneller durch die Stรคdte zu schleusen. Das Braess-Paradoxon kennen auch Leipzigs Verkehrsplaner. Und antworten Ute Elisabeth Gabelmann nun mit Augenzwinkern.
Die emsige Stadtrรคtin der Piraten wollte ihre letzten Wochen im Leipziger Stadtrat nutzen, um noch ein paar Fragen loszuwerden, die sie die ganze Zeit beschรคftigt haben. Fรผnf Jahre Arbeit im Stadtrat sind nicht wirklich eine lange Zeit. Oft hat man sich dann endlich in die manchmal etwa komplizierte Denkweise der Verwaltung, in die Komplexitรคt von Planungsvorlagen und die zuweilen sehr sensiblen Aushandlungsvorgรคnge in den Ausschรผssen eingearbeitet.
Und dann ist die ganze Einarbeitung erst mal fรผr die Katz, wenn der Wiedereinzug in den Stadtrat verpasst wird. Ute Elisabeth Gabelmann hat es diesmal nicht geschafft. Dafรผr zieht fรผr die Piraten Thomas Kรถhler ins Stadtparlament ein.
Aber das Thema, das Gabelmann angerissen hat, wird die Stadtrรคte in den nรคchsten Jahren natรผrlich weiter beschรคftigen. In beiden Richtungen. Denn die konservativen Fraktionen sind allesamt vor dem Jahr 1968 stecken geblieben und fordern immer wieder den Bau neuer (Schnell-)Straรen, Ringe und Tunnel, weil sie vom Mantra nicht wegkommen, dass man immer mehr und breitere Straรen braucht, um den โVerkehrskollapsโ zu verhindern.
Dietrich Braess aber hatte nachgewiesen, dass das Gegenteil der Fall ist und der Verkehr sogar besser flieรt, wenn weniger mรถgliche Wege im Angebot sind.
โWeniger Staus durch Straรenrรผckbau: das sogenannte Braess-Paradoxon wurde in der Praxis bereits oft bewiesenโ, stellte denn auch Ute Elisabeth Gabelmann in ihrer Anfrage fest. โIn New York fรผhrte die Sperre der 42. Straรe fรผr Kfz-Verkehr zu besserem Verkehrsfluss in der Umgebung. In Seoul wurde eine ganze Stadtautobahn abgerissen, weniger Staus waren die Folge. Nach Sperrung des Seine-Ufers ist die gesamte Verkehrsmenge zunรคchst um insgesamt 27 % gesunken, und liegt nun 33 % niedriger.โ
Da aber in Leipzig nun wieder รผber neue Straรen (Stichwort: Mittlerer Ring) diskutiert wird, fragte sie sich, zu welcher Haltung eigentlich Leipzigs Verkehrsplaner neigen? Zu jener der โBreite-Straรen-Fraktionโ aus der Zeit, als konservative Parteien mit dem Slogan warben โFreie Fahrt fรผr freie Bรผrgerโ? Oder zu der vernรผnftigen Einsicht nach Braess, dass weniger Straรe manchmal besserer Verkehr ist?
โIst der Stadtverwaltung das Braess-Paradoxon bekannt?โ, fragte sie.
โJa, das Braess-Paradoxon ist der Stadtverwaltung bekanntโ, kommt die Antwort aus dem Planungsdezernat.
โWelche Konsequenzen fรผr die Verkehrsplanung in Leipzig zieht die Stadt aus diesem Phรคnomen?โ, hatte Gabelmann gefragt.
Die trockene Antwort: โDie Kenntnis des Braess-Paradoxons wird bei Planungen berรผcksichtigt.โ
Und dann wollte sie es schon ein bisschen genauer wissen: โWelche Straรen wรคren mรถglicherweise โ die in anderen Stรคdten beobachteten Umstรคnde zugrunde gelegt โ geeignet, รคhnliche Akzente auch in Leipzig zu setzen?โ
Die Antwort lรคsst schon mal ahnen, wo Leipzigs Verkehrsplaner einen Zugewinn im Verkehrsfluss sehen, wenn sie zum Beispiel eine komplette Fahrbahn umwidmen. Denn das steckt in der Antwort: โEin Beispiel fรผr die Berรผcksichtigung des Braess-Paradoxons ist der aktuelle Planungsprozess zum Verkehrskonzept erweiterte Innenstadt mit seinem Kernstรผck Promenadenring.โ
In den nรคchsten zwei Jahren mรผssen Leipzigs Verkehrsplaner nรคmlich eine Lรถsung fรผr den Innenstadtring finden. Dabei geht es zuallererst um einen besseren Verkehrsfluss fรผr die Straรenbahn, die gerade am Hauptbahnhof ihren absoluten Engpass hat. Gleichzeitig ist seit zehn Jahren das Problem des Radverkehrs um den Ring ungelรถst. Das vorhandene Radwegenetz ist bruchstรผckhaft. Die beste Lรถsung auch aus Sicht des ADFC wรคre die Umwidmung eines kompletten Fahrstreifens als Radweg.
Dass es ohne eine Fahrbahnreduzierung fรผr den Kfz-Verkehr nicht gehen wird, macht die Antwort des Planungsdezernats schon einmal deutlich.
Wie kann man die Verkehrsstrรถme in Leipzigs Innenstadt bis 2030 zukunftsfรคhig machen?
Wie kann man die Verkehrsstrรถme in Leipzigs Innenstadt bis 2030 zukunftsfรคhig machen?
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
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โDass es ohne eine Fahrbahnreduzierung fรผr den Kfz-Verkehr nicht gehen wird, macht die Antwort des Planungsdezernats schon einmal deutlich.โ
Das Braess-Paradoxon wirkt nur bei vollstรคndiger(!) Sperrung von Straรenabschnitten fรผr Kfz. Wikipedia:
โAls Lรถsung dieses Dilemmas bleibt keine andere Mรถglichkeit, als die Neubaustrecke (BC) zentral geplant wieder abzureiรen oder die (Anschluss-)Strecken AB und CD in ihrer Kapazitรคt zu verdoppeln.โ
Nur so organisiert sich der Kfz-Verkehr grundsรคtzlich neu und wird durch weniger Optionen flรผssiger. Ein Leipziger Beispiel wรคre die Vollssperrung des Bahnhofsvorplatzes (BC). In den Anschluss-Strecken innere Jahnalle (AB) und Brandenburger Straรe (CD) ist weniger MIV die Folge. Flรผssige Umgehungsstrecken gibt es mit Ebert-Straรe und sรผdlicher Promenadenring (AC) sowie Gerberstraรe, Berliner Straรe, Adenauer-Allee (BD).
Hinzu kommt der Aspekt der Verlagerung auf andere Verkehrstrรคger und die Rรผckgewinnung von รถffentlichem Raum.