Man kann sich dran gewöhnen? Nein, nicht wirklich. Erst recht, wenn es nicht erklärt wird, sondern einfach wie ein Gesetz über die Leipziger kommt. 2018 erstmals ausprobiert, weil es an Fahrpersonal fehlte. Am 28. Februar meldeten die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) erneut, dass sie mehrere Linien über die Winterferien hinaus im Ferienplan fahren lassen wollen. Dabei platzen die Bahnen schon in den Ferien aus allen Nähten.
Am 28. Februar meldeten die LVB: „Auch nach den Winterferien fahren die Linien 2, 8 und 10 nach Ferienfahrplan. Aufgrund der weiterhin angespannten Personalsituation verkehren die genannten Linien montags bis samstags im 20-Minuten-Takt. Um die Auswirkungen für unsere Fahrgäste so gering wie möglich zu halten, werden auf den Linien 8 und 10 größere Fahrzeuge eingesetzt sowie der Fahrplan der Linie 11 leicht angepasst. Außerdem wird der Ferienfahrplan der Linie 2 aufgrund des Schülerverkehrs montags bis freitags angepasst: am Morgen und Nachmittag werden die Fahrten bis und ab Meusdorf verlängert sowie einzelne zusätzliche Fahrten angeboten. (…) Voraussichtlich bis Ende März fahren die Linien 2 und 8 in verändertem Fahrplan, die Linie 10 (und Linie 11) voraussichtlich bis zum Sommer.“
Der Hintergrund ist derselbe wie der im Sommer 2018: Es fehlt an Fahrern, obwohl man tatsächlich sogar neue Fahrer in Spanien anwerben konnte und die Rekrutierungstage wirklich Zuspruch brachten. Aber das Thema wurde zu lange ausgesessen. Man schafft nicht im Hauruck, die nun aufreißenden Löcher im Fahrbetrieb zu stopfen. 111 neue Fahrer konnte man 2018 gewinnen. Das war eindeutig zu wenig. Am Ende blieben dann trotzdem 47 Stellen unbesetzt.
Die Leute dafür muss das Unternehmen nun 2019 zusätzlich finden, sodass man in diesem Jahr sogar 185 neue Fahrer sucht. 79 habe man schon gefunden, heißt es, weitere 20 kämen aus Spanien. Und in Serbien sei man jetzt auch auf der Suche.
Was Sebastian Stoppe als Betroffenen nun trotzdem nicht beruhigt. Denn die LVB haben mit der Stadt einen Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag, für dessen Einhaltung sie Geld bekommen. Darin ist genau geregelt, welche Strecken in welchem Takt zu bedienen sind. Und da gilt nicht der Ferienfahrplan, sondern der Basisfahrplan. Und es ist ja nicht so, dass der Fahrermangel nicht absehbar gewesen wäre. Geworben haben die LVB schon lange um neue Fahrer – aber nicht konsequent genug.
Und Sebastian Stoppe hat recht, wenn er sich jetzt direkt mit einer Einwohneranfrage an die Verwaltung wendet. Denn sie ist letztlich verantwortlich dafür, dass der Vertrag mit den LVB auch eingehalten wird. Viel zu lange hat sich der OBM hinter dem Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag versteckt und gemeint, die damit gewährten 45 Millionen Euro würden völlig ausreichen, den Fahrbetrieb abzusichern. Sollte es irgendwo teurer werden, müssten die LVB das mit „Effektivitätsgewinnen und Tarifsteigerungen auffangen“.
Das war die Verwaltungshaltung bis 2018. Bis die ersten Fraktionen im Stadtrat wirklich an die Decke gingen und dem Spar-Experiment an den LVB ein Ende setzten. Denn nach über zehn Jahren mit „Effektivitätsgewinnen und Tarifsteigerungen“ ist das ganze System auf Grundeis gefahren: Viele Leipziger können sich die teuren Tickets nicht mehr leisten. Die Fahrer und Fahrerinnen haben in einer LVB-Tochterfirma jahrelang mit Gehaltseinbußen für diese Praxis bezahlt – mit Effektivitätsgewinn hat das alles nichts mehr zu tun, nur noch mit den Folgen neoliberalen Denkens, das immer von Synergien und Effizienz schwadroniert, wenn es eigentlich darum geht, Leute abzubauen oder schlechter zu bezahlen.
So lange, bis auf einmal die Bewerber ausbleiben, weil sich so etwas natürlich herumspricht.
Aber gerade OBM Burkhard Jung wollte es über Jahre nicht wahrhaben, dass es die stadteigene Sparpolitik ist, die solche Folgen zeitigt.
Und damit hängt seine Verwaltung mittendrin in der Verantwortung. Denn den Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag hat der Stadtrat beschlossen. Er ist bindend – für beide Seiten. Und wenn Leipzig den LVB ein Leistungspaket auferlegt, muss die Stadt auch dafür sorgen, dass es eingehalten wird. Im Rathaus müssten also nach der Pressemitteilung vom 28. Februar alle Alarmleuchten flackern.
Tun sie das aber?
Aus den Fragen, die Sebastian Stoppe stellt, spricht der pure Zweifel. Und man wird ja zum Zweifler, wenn man eine dieser „Ferienbahnen“ im Feierabendverkehr erlebt. Heringe haben – damit verglichen – in ihren Dosen jede Menge Bewegungsfreiheit.
Die Fragen, die Sebastian Stoppe jetzt von Leipzigs Verwaltung beantwortet haben möchte:
1. Welche konkreten Maßnahmen unternimmt die Stadt Leipzig in ihrer Eigenschaft als Aufgabenträger, damit der Leistungserbringer die Anforderungen des Nahverkehrsplans auch entsprechend umsetzt und welche Sanktionen sind gegenüber dem Leistungserbringer im Falle der Nichterbringung durchführbar?
2. Welche Maßnahmen unternimmt die Stadt Leipzig in ihrer Eigenschaft als mittelbarer Anteilseigner (über die LVV GmbH) an dem Leistungserbringer, damit die geforderten und bestellten Leistungen tatsächlich erbracht werden und welche Sanktionen sind gegenüber dem Leistungserbringer im Falle der Nichterbringung durchführbar?
3. Welche Maßnahmen unternimmt die Ratsversammlung gegenüber der Verwaltung, um die Kontrolle der Einhaltung des Nahverkehrsplans durchzusetzen?
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Alles sehr schöne Fragen. Mal schauen, wie sie der Vorsitzende des Aufsichtsrates der LVV beantworten wird.
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 64: Kopf hoch oder „Stell dir vor, die Zukunft ist jetzt“
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Ich schlage hiermit die LVB offiziell für den Familienfreundlichkeitspreis vor. Denn mit dem Kinderwagen ist man auf diesen Linien faktisch vom ÖPNV ausgeschlossen. Danke Leipzig.