Die große Vision von einem Nahverkehr, den sich wirklich die meisten Leipziger leisten können, rollt. Die SPD hat das 365-Euro-Jahresticket in ihrem Themenplan für die Stadtratswahl, der Ökolöwe sammelt fleißig Unterschriften. Und gewissermaßen gibt es auch Unterstützung von Linken und Grünen, auch wenn sie sich eigentlich noch viel mehr wünschen. Aber das „Wiener Modell“ ist auch für sie ein guter erster Schritt.
Die Linkspartei hatte sich umgehend positiv zur Unterschriftensammlung des Ökolöwen geäußert und betont, dass aus ihrer Sicht der fahrscheinfreie ÖPNV eigentlich das Zukunftsthema für Leipzig ist. Und so sehen es auch die Grünen.
Die Einführung eines 365-Euro-Tickets wird von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen definitiv als Vision für den Nahverkehr in Leipzig unterstützt. Im Landtagswahlprogramm, welches am 2. März beschlossen wurde, findet sich dieses Ziel zunächst als landesweites Bildungsticket und langfristig für alle Sächsinnen und Sachsen im gesamten Freistaat. Der Kreisverband Leipzig von Bündnis 90/Die Grünen hat zudem bereits im Januar beschlossen, langfristig eine komplette Kostenfreiheit des ÖPNV anzustreben.
„Der Appell in der Petition des Ökolöwen fokussiert sich stark auf die Finanzierung und verweist dabei zu Recht auf all die guten Gründe und die auf verschiedenen Ebenen beschlossenen Abkommen und Verträge, wonach sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, die Emissionen, seien es Stickoxide, Feinstaub oder CO2, auch im Verkehrsbereich massiv zu senken. Darum hat der Appell recht – es muss viel mehr Geld in den ÖPNV fließen! Eine Forderung, die wir Grünen seit vielen Jahren vehement unterstützen! Warum sollte es dann nicht auch für ein 365-Euro-Ticket reichen?“, fragt deshalb Daniel von der Heide, Stadtrat und verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat.
Rechnen im rein wirtschaftlichen Sinne wird es sich aber zumindest für die Verkehrsbetriebe vermutlich nicht, schränkt von der Heide ein. Die Rechnung des Ökolöwen im Appell berücksichtige leider nicht die Kosten für die Angebotsausweitung, die im Vorfeld und im Zuge der Einführung des 365-Euro-Tickets vorgenommen werden müsste. Die belaufen sich auf rund 800 bis 1.000 Millionen Euro, denn das steckt ja im vom Stadtrat beschlossenen Mobilitätsszenario „Nachhaltigkeit“, bei dem auch Strecken- und Angebotserweiterungen bei den LVB in diesem Umfang finanziert werden sollen.
Das Problem bei der Betrachtung, ob sich eine solches Angebot „rechnet“, sei die Berücksichtigung der Umweltfaktoren, betont der Stadtrat der Grünen. Würden ein realistischer Preis für die CO2-Emissionen und die Auswirkungen auf das Klima oder die Gesundheitskosten, die durch die Stickoxid-Emissionen entstehen, in die Gesamtbilanz eingerechnet, dann ließe sich die Einführung ganz anders rechnen. Die Mehrwerte, die also der ÖPNV hier erzielt, müssten entsprechend endlich bewertet und diesem zur Verfügung gestellt werden.
„Ob Stadtentwicklungsplan Verkehr und öffentlicher Raum, Nachhaltigkeitsszenario als Mobilitätsstrategie oder die Einführung eines 365-Euro-Tickets: Es fehlt in Leipzig aktuell nicht an Visionen, sondern an konkreten Plänen, wie man diese Visionen auch erreichen kann“, betont Daniel von der Heide.
„Aktuell haben die LVB gravierende Probleme, genügend Personal zu finden, um den Linienbetrieb aufrechtzuerhalten. Einige Linien fahren bis zum Sommer weiter im Ferienmodus und damit nicht mehr in dem mittlerweile für die Fahrgäste gewohnten 10-Minuten-Takt. Die großen Bauprojekte für 2019 mussten um ein Jahr geschoben werden, weil sich Genehmigungsverfahren ziehen, Planungen verzögern oder Ausschreibungsergebnisse unwirtschaftlich waren. Bei dieser Vielzahl aktueller Probleme und Herausforderungen kann ein 365-Euro-Ticket leider erst mal nur Vision sein, selbst wenn die Finanzierung gesichert wäre.“
Wichtig sei im Moment vor allem, dass die LVB schnellstmöglich ihre aktuellen Missstände in den Griff bekommen und ein gemeinsames Infrastrukturprogramm von LVB und Stadt vorgelegt wird, welche Baumaßnahmen wann und wo in den nächsten Jahren erfolgen müssen, nennt der Grünen-Stadtrat die aktuellen Herausforderungen. „Dass es hier massiv an strategischer Planung fehlt, war ja eine große Erkenntnis im Prozess, der zum einstimmigen Beschluss des Nachhaltigkeitsszenarios im Stadtrat geführt hat.“
Und dann gibt es ja auch noch die Akteure in der Stadt, die beim Thema ÖPNV immer bremsen, aber eine ganze Latte milliardenteurer Verkehrsbauten aufmachen, um ihre Art Verkehrspolitik weitermachen zu können. Gern auf Kosten der betroffenen Stadtteile und der Umwelt.
„Auch angesichts der Vehemenz, mit der einige Akteure in Leipzig einen zweiten City-Tunnel fordern und welchen Erfolg sie damit bereits beim Freistaat hatten, halten wir die Debatte über das 365-Euro-Ticket für sinnvoll und hilfreich“, sagt von der Heide deshalb. „Das 365-Euro-Ticket ist definitiv die bessere Vision und würde vermutlich schneller und kostengünstiger die notwendigen Effekte erzielen.“
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 64: Kopf hoch oder „Stell dir vor, die Zukunft ist jetzt“
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Es gibt 2 Kommentare
Das kann nur ein erster Schritt sein, aber man muß ihn gehen, jetzt.
Ganz besonders schön finde ich die Kaffeesatzleser, die meinen: ‘Das geht nicht, da fahren ja noch mehr Leute mit, da bricht alles zusammen.’ Hallo, ihr Blitzmerker, die LVB fährt schon seit einem Jahr nach “Ferienfahrplan”, was nur eine nette Umschreibung ist für: Es geht nicht mehr, wir können nicht mehr. Das Haus ist so ruiniert, es bricht schon zusammen. Natürlich nicht auf einmal, sondern Stück für Stück, so daß alle Zeit haben, sich daran zu gewöhnen. Wie lange soll das so weiter gehen? Vielleicht bis es in zehn Jahren soweit ist, das nur noch 50 % aller Bahnen fahren?
Nein, dann wüsche ich mir lieber einen schnellen totalen Zusammenbruch, dann haben wir in zehn Jahren schon einen funktionierenden ÖPNV.
Prinzipiell gut und Wind für die Segel.
Mit bedacht werden muss aber auch, dass es die Bürger in den jetzt noch weißen Flecken von Leipzig (900m zur nächsten Haltestelle) nicht zum ÖPNV ziehen wird.