Am Montag, 11. Mรคrz, gab es ein durchaus respektables Stelldichein im Congress Center Leipzig. Die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) hatten eingeladen, denn jetzt beginnt der Leipziger Nahverkehrsdienstleister ein Forschungsprojekt, das es in dieser Form noch nicht gab. Und wenn alles so klappt, wie es sich die Beteiligten vorstellen, dann rollen ab 2021 zwischen der Neuen Messe und dem BMW-Werk autonome Busse. Und das nicht im Schneckentempo.
Die Idee wurde schon vor einiger Zeit bei den LVB geboren, wo man sich auch schon lรคnger einen Kopf darรผber macht, wie man Linien am Stadtrand oder gar im lรคndlichen Raum finanzierbar macht. Denn anders als innerstรคdtische Linien rechnen sie sich kaum. Wo rund um den Promenadenring permanent tausende Nutzer mit der Bimmel unterwegs sind, gibt es das hohe Fahrgastaufkommen im Leipziger Norden mit den groรen Unternehmensansiedlungen fast nur zum Schichtwechsel. Zwischendurch sind dann die Busfahrer oft sehr einsam unterwegs. Dasselbe Problem haben die Landkreise.
Die Idee: Man lรคsst autonome Busse fahren.
Manchmal hรถrt man ja so Nachrichten, es gรคbe schon welche. Gibt es auch. Aber das alles sind Testprojekte. Die meisten dieser kleinen โComputer auf Rรคdernโ fahren maximal 6 km/h schnell und meist Strecken von 1,5 bis 2 Kilometer auf geschรผtztem Gelรคnde, nicht im Straรenverkehr. Manche, die dann auch schon eine Betriebserlaubnis haben, kรถnnen auch bis zu 25 km/h fahren. Aber das alles ist noch nicht alltagstauglich.
Und so dachten sich die LVB: Machen wir doch eine unserer Auรenstrecken zur Teststrecke und bewerben wir uns beim Bundesverkehrsministerium um Fรถrdergeld fรผr so ein Testprojekt, in dem tatsรคchlich ein richtiger, alltagstauglicher Bus entwickelt wird, der in der Lage ist, zum Beispiel die Strecke von der Neuen Messe zum BMW-Werk, etwas mehr als 7 Kilometer, nicht nur vรถllig selbststรคndig zu fahren, sondern auch schnell. Bis zu 50 bis 70 km/h. Wie ein richtiger Bus eben, nur ohne Fahrer.
Am Montagmorgen durfte man dann freilich miterleben, was das wirklich heiรt. Denn so einen Bus gibt es noch nicht. Er wรคre auch keine einfache Weiterentwicklung etwa der schon heute autonom fahrenden Pkw, die von den groรen Autoherstellern entwickelt werden, die noch lange nicht marktreif sind. Und so werden die LVB quasi fรผr zwei Jahre zum Busentwickler. Oder genauer: zum Fรผhrer eines Konsortiums, das in Leipzig den ersten richtigen Bus entwickeln will, der kรผnftig autonom fahren kann.
Dazu braucht es Partner. Zehn Stรผck insgesamt, die die LVB schon im Verlauf der letzten zwei Jahre eingesammelt haben, darunter Forschungsabteilungen sรคchsischer Hochschulen, Softwareentwickler und Sensorspezialisten. Sensoren sind augenscheinlich das A und O bei dieser Technologie, denn wirklich autonom wird der elektrisch betriebene Bus erst, wenn er wirklich in der Lage ist, sein komplettes Verkehrsumfeld mit Sensoren zu erfassen und die gesammelten Daten auch in Millisekunden zu bearbeiten und zu bewerten. Und das auch bei hoher Geschwindigkeit (eben bis zu 70 km/h) und in diffusen Situationen, wo Menschen als Verkehrsteilnehmer oft schon โnach Gefรผhlโ reagieren โ bremsen oder stehen bleiben, sei es nun bei Fahrzeugen, die man รผberholen muss, bei Rasern, unverhofft auftauchenden Radfahrern โฆ
Das braucht nicht nur einen starken Bordrechner, der in der Lage ist, auf solche Situationen blitzschnell zu reagieren. Noch besser wรคre es, wenn der Bus auch gleich noch mit der installierten Verkehrstechnik kommunizieren kann โ den Lichtsignalanlagen zum Beispiel. Was fรผr Leipzig nichts Neues ist, wie der Leiter des Leipziger Verkehrs- und Tiefbauamtes, Michael Jana, betonte.
Es gibt ja schon Straรenbahnen, die mit Lichtsignalanlagen kommunizieren kรถnnen. Und es ist auch dieselbe Anbieterfirma, die sich um das Thema auch beim autonomen Bus kรผmmern will. Andere kรผmmern sich um die Kommunikation mit den Fahrgรคsten, denn fรผr die wird das natรผrlich stets eine Begegnung der unbekannten Art: Kann man dem Fahrzeug vertrauen? Und wie kann man sich dem Fahrzeug verstรคndlich machen, wenn es mal Probleme gibt?
Und wer baut eigentlich den Bus, denn der stammt ja nicht von der Stange? Da kommt unter anderem die Continental-Tochter Powertrain ins Boot, einer der grรถรten Autozulieferer Deutschlands. Entwickelt werden sollen zwei Kleinbusse, also erst einmal noch kein โgroรes Gefรครโ. Aber die sollen ja auch kรผnftig nicht im starren Fahrplan fahren, auch wenn das sicher der erste Schritt sein wird. Denn wenn ein solches Fahrzeug mรถglicherweise auch schon mit ersten Algorithmen, die mit KI bezeichnet werden kรถnnen, ausgestattet ist, dann kann das Fahrzeug natรผrlich auch flexibel reagieren, muss nicht aller Viertelstunde seine Runden drehen, sondern steht einfach in der Tankbucht, wenn kein Bedarf ist. Und wenn Fahrgรคste sich melden, rollt es los, wird also zum Bus-on-Demand, der genau dann fรคhrt, wenn er gebraucht wird.
โIndividualverkehr und รPNV verschmelzen immer mehrโ, sagt auch Ronald Juhrs, Technischer Geschรคftsfรผhrer der LVB. Etliche dieser โVerschmelzungenโ gibt es ja schon โ auch das Projekt โLeipzig mobilโ gehรถrt dazu, dessen Angebote mit einer gemeinsamen App genutzt werden kรถnnen. Logischer Schritt: Auch den autonomen Bus in die App aufzunehmen.
Und wรคhrend sich die einen um die Entwicklung des autonomen Busses kรผmmern, entwickelt eine zweite Arbeitsgruppe die Infrastruktur drumherum. Denn damit die Busse mit Ampeln kommunizieren kรถnnen, mรผssen auch die Ampeln intelligent werden. Ampeln und Bordcomputer kommunizieren dann permanent miteinander โ der Bus kann seine Geschwindigkeit an die Ampelphasen anpassen โ oder die Ampeln schalten automatisch auf Grรผn, wenn der Bus kommt.
Wenn die Ingenieure (und am Montag waren etliche davon im Konferenzraum des CCL) erst einmal ins Weiterdenken kommen, dann merkt man erst, welches Potenzial in einem intelligenten Bus stecken kann. Und wie das sofort wieder Folgen haben kann fรผr die intelligente Verkehrsleittechnik der Stadt und fรผr andere Fahrzeuge. Denn wenn Busse und Ampeln miteinander kommunizieren und Fahrweisen optimieren, dann kรถnnen das auch alle anderen intelligenten Fahrzeuge, die ins System kommen.
Das alles ist noch Zukunftsmusik. Aber anders als bei Individual-PKW wollen die Projektteilnehmer nicht erst mittelfristig zum Ziel kommen, sondern binnen zwei Jahren.
Dass die LVB das jetzt mit neun Partnern gemeinsam machen kรถnnen, zeichnete sich schon am 14. Mai 2018 ab, als das Leipziger Verkehrsunternehmen seine Projektskizze im Bundesverkehrsministerium vorstellte. Die Idee ging augenscheinlich รผber fast alles hinaus, was andere Antragsteller zu den Themen Autonomes Fahren und/oder E-Mobilitรคt vorgestellt haben. Erst recht, als die Leipziger auch gleich noch eine kompetente Mannschaft aus Forschern und Entwicklern mitbrachten, die vor allem im Leipziger Raum schon ansรคssig sind und auch schon gezeigt haben, dass sie die Themenfelder beherrschen.
Ende 2018 war dann klar, dass das Bundesverkehrsministerium das Leipziger Projekt fรถrdern wird. Jetzt ist auch klar, in welcher Hรถhe: 10,7 Millionen Euro, aufgeteilt auf zehn verschiedene Fรถrderantrรคge. Denn erst aus diesen zehn Forschungs- und Entwicklungskomponenten setzt sich das Ganze zusammen. Und die Herren auf dem Foto (Technik scheint tatsรคchlich immer noch eine Mรคnnerdomรคne zu sein) zeigten sich am Montag allesamt zuversichtlich, dass sie es schaffen werden, sodass bis zum 31. Dezember 2021 nicht nur zwei autonome Kleinbusse entwickelt werden, sondern auch die notwendigen Tests schon auf der 7 Kilometer langen Strecke erfolgen โ auch mit Fahrgรคsten.
Die an der Strecke liegenden Unternehmen (BMW Werk, DB Schenker und Leipziger Messe) haben ihre Kooperation schon zugesagt. Denn es werden ja vor allem ihre Gรคste und Mitarbeiter sein, die die neuen Busse dann nutzen und wohl auch mithelfen, ihnen aus Fahrgastsicht beim Lernen zu helfen.
Und Michael Schimansky, Leipzigs amtierender Wirtschaftsbรผrgermeister, wies aus seiner Sicht noch darauf hin, dass auch der Testraum spannend ist. Heute sind schon rund 35.000 Menschen im Leipziger Nordraum beschรคftigt, rund um die Teststrecke allein 11.000 (davon 5.200 bei BMW). Bis 2030 rechnet er damit, dass sich die Zahl der Beschรคftigten im Nordraum verdoppelt. Was freilich immer noch nicht heiรt, dass sich der Bau einer Straรenbahnstrecke rechnet. Nicht nur wegen des stoรweisen Schichtverkehrs. Auch die Unternehmen im Norden setzen zunehmend auf flexible Arbeitszeiten. Aber das passt mit starren Busfahrplรคnen nicht zusammen. Also fahren die Mitarbeiter dann lieber mit privatem PKW oder Fahrrad.
Auch hier wรผrde ein autonomes Bussystem, das die ganze Woche rund um die Uhr zur Verfรผgung steht und auf Anforderung anrollt, eine wesentliche Lรผcke fรผllen. Und es wรผrde wahrscheinlich sogar noch Energie sparen, denn es fรคhrt nur dann, wenn es wirklich gebraucht wird.
Das Projekt heiรt ABSOLUT, da steckt auch der autonome Bus als Abkรผrzung mit drin. Und fรผr 2021 kรผndigt zumindest die geschaltete Website zum Projekt schon einmal an, dass man sich fรผr diesen Service vormerken kann.
Und wenn alles lรคuft wie geplant, werden dann in Leipzigs Norden wirklich die ersten straรentauglichen autonomen Busse Deutschlands fahren. Recht flott.
Die Meldung der LVB selbst zum Projektstart:
Innovationsprojekt ABSOLUT startet: Autonom, elektrisch und sicher in Leipzig unterwegs
Mit einem Treffen aller Projektpartner im Congress Center Leipzig wurde heute das Innovations- und Entwicklungsprojekt ABSOLUT gestartet. Im Projekt arbeiten Wirtschaft, Wissenschaft und die Stadt Leipzig eng zusammen mit den Leipziger Verkehrsbetrieben, welche die Projektleitung รผbernommen haben. Kernidee von ABSOLUT ist die Entwicklung von Fahrzeugen und deren exemplarische Nutzung fรผr die Teststrecke S-Bahnhof Messe bis BMW-Werk mit ortsรผblicher Hรถchstgeschwindigkeit und hoher Automatisierung, die zukรผnftig in das Verkehrsangebot der Verkehrsbetriebe integriert werden.
โMit dem gemeinsamen Vorantreiben des Entwicklungsprojektes ABSOLUT durch die regionale Wirtschaft, Wissenschaft und die Stadt Leipzig stรคrken wir den Wirtschaftsstandort Leipzig und zeigen praxisnah die Wirkung der Mobilitรคtswende in Deutschlandโ, so Dr. Michael Schimansky, kommissarischer Leiter des Dezernates Wirtschaft, Arbeit und Digitales.
Entwicklungsgegenstand ist neben der Erprobung und Zulassung der neu zu entwickelnden Fahrzeuge auch der Pilotbetrieb im รถffentlichen Raum zum Testen verschiedener Einsatzkonzepte. Dies beinhaltet ein bedarfsgerechtes Rund-um-die-Uhr-Angebot oder ein per Bestellung verfรผgbarer Dienst, ein mit den Nutzern entwickeltes Buchungs- und Informationsinterface sowie den Aufbau und die Vernetzung mit einer Leitstelle. Begleitend erfolgt die Untersuchung der Nutzerakzeptanz von autonomen Busverkehren.
Mehr Klimaschutz, weniger Abhรคngigkeit von fossilen Energietrรคgern und neue Technologien werden die Mobilitรคt und ihre Player stark verรคndern. Die Weiterentwicklung der Elektromobilitรคt und der kรผnstlichen Intelligenz sind zukunftsweisende Themen der deutschen Industrie. Im Rahmen des Fรถrderprogramms Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) fรผr Elektromobilitรคt fรถrdert das Bundesministerium fรผr Wirtschaft und Energie dieses strategische Einzelprojekt mit rund 10 Millionen Euro. Es spiegelt zudem die Zielsetzung des Freistaates Sachsen wider, konkrete Pilotmaรnahmen zur Entwicklung und zum Ausbau autonomer Verkehrssysteme auszuarbeiten und zu fรถrdern.
โAls Konsortialfรผhrer bรผndeln wir die Kompetenzen unserer Partner, um als Mobilitรคtsdienstleister fรผr Leipzig und die Region Mรถglichkeiten rund um das autonome Fahren auszuloten und damit unser Kerngeschรคft langfristig zu stรคrkenโ, so Ronald Juhrs, Geschรคftsfรผhrer Technik und Betrieb der Leipziger Verkehrsbetriebe.
Fรผr die Projektteilnehmer, vorwiegend sรคchsische Partner, darunter auch kleine und mittelstรคndische Unternehmen, bietet sich auf dem Gebiet der digitalen Kommunikationstechnologien sowie der intelligenten Vernetzung von Infrastruktur, Fahrzeug, Leitstelle und Kunden- App die Mรถglichkeit, die vorhandenen Kompetenzen anzuwenden und auszubauen.
Vielleicht fahren ab 2019 autonome Kleinbusse zwischen Leipziger Messe und BMW-Werk im Shuttle-Betrieb
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