Natürlich wurde gleich das neueste Fahrzeug aus dem Solaris-Werk vorgefahren, als die LVB am Mittwoch, gemeinsam mit dem Chefdesigner, den großen Preis für ihre seit 2016 erlebbare neue Straßenbahn bekanntgab: Es war das Fahrzeug Nummer 20 aus der XL-Serie. Oder in der LVB-Bezeichnung: „Die XL – Unsere neue Leipziger Straßenbahn“. Das Fahrzeug wurde in der Kategorie „Excellent Product Design“ mit dem German Design Award ausgezeichnet.
„Heller, freundlicher, offener und insgesamt moderner – so lässt sich das neue zeitgemäße Design der Straßenbahn kurz zusammengefasst auf den Punkt bringen“, lautet die Begründung der Jury. Der German Design Award zeichnet innovative Produkte und Projekte, ihre Hersteller und Gestalter aus, die in der deutschen und internationalen Designlandschaft wegweisend sind. Dies garantiert die hochkarätig besetzte, internationale Jury.
„Für uns als Designer ist dies eine große Anerkennung unserer Arbeit und gemeinsam mit den Leipziger Verkehrsbetrieben und dem Hersteller Solaris sind wir sehr stolz auf diese besondere Auszeichnung“, erklärt Jochen Dittrich vom ausgezeichneten Designbüro IFS Berlin, das damit erstmals auch mit der extra für Leipzig designten Straßenbahn in der Öffentlichkeit auftrat. Auch sichtlich froh, dass hier ein Fahrzeug zu sehen ist, bei dem keine faulen Kompromisse gemacht wurden.
Und das liegt auch an der 30-köpfigen Projektmannschaft um Mario Blumstengel, die bei den LVB für die Entwicklung der neuen Bahnen zuständig ist. Bevor 2015 im Blitzlichtgewitter die Kaufverträge mit dem Bus- und Straßenbahnbauer Solaris aus Poznan unterzeichnet wurden, machte dieses Projektteam nämlich erst einmal die Hausaufgaben, die am Ende in einem hundertseitigen Pflichtenbuch niedergeschrieben wurden. Denn es sollte nicht nur eine extra für Leipzig entwickelte neue Straßenbahn werden, sondern auch eine, in die die Erfahrungen von Fahrern, Medizinern, eigenen Ingenieuren mit einfließen sollten. Und natürlich die der Fahrgäste, denn die sollen ja mit der neuen Bahn im Alltagsverkehr zurechtkommen.
Und auch die mit den nach 1990 neu angeschafften Bahnen gemachten Erfahrungen flossen mit ein. Die waren zwar schon ein echter Fortschritt gegenüber den Tatra-Bahnen, die seit 50 Jahren durch Leipzig rollen. Aber auch bei ihnen merkte man, wie wichtig gut lesbare Anzeigen sind, genug Abstellraum für Kinderwagen und Rollstühle, Gänge, die breit genug sind, damit man auch wirklich durchtreten kann, wenn’s mal wieder rappelvoll wird, gute Beleuchtung oder auch Fenster, die groß genug sind, damit auch große Leute rausgucken können, oder Türen, die breit genug sind, dass auch mal drei Leute nebeneinander schnell raus und rein können.
Wenn man Mario Blumstengel fragt, merkt man schnell, dass er ins Schwärmen kommen kann über all das, was im neuen XL umgesetzt werden konnte und was die meisten Fahrgäste gar nicht wahrnehmen – eben weil es nicht (mehr) stört.
Dass es zu Anfang eine Reihe Probleme gab, das war so zu erwarten. Der XL war ja kein Fahrzeug von der Stange. Im Gegenteil: Die LVB hatten ein dickes Pflichtenbuch mit ihren Bestellwünschen geschrieben und suchten dann in ihrer Ausschreibung einen Fahrzeugbauer, der sich in der Lage sah, das genau so umzusetzen. Schon das sorgte für erhebliche Aufmerksamkeit bei deutschen Straßenbahnunternehmen, denn die meisten kaufen ihre Fahrzeuge aus dem Katalog der Hersteller. Selbst eins zu entwickeln, das ist noch immer die Ausnahme.
Das erste Fahrzeug der neuen Fahrzeugserie kam im Dezember 2016 nach Leipzig und wurde durch den Hersteller in der sogenannten Inbetriebnahmephase ausgiebig getestet und hat die nötigen Zulassungsprüfungen erfolgreich absolviert. Nach notwendigen Verbesserungen durch den Hersteller hat sich 2018 die Einsatzstabilität maßgeblich verbessert.
Dass die Fahrzeuge sehr sensibel reagierten liegt auch daran, dass im ganzen Fahrzeug 60 verschiedene Rechner untergebracht sind, erklärt Blumenstengel. Nicht alle sind redundant. Das bekamen dann einige Fahrer im frühen Fahrbetrieb auch zu spüren, wenn das schöne Fahrzeug wegen eines Softwarefehlers gleich mal wieder außer Betrieb genommen werden musste. „Aber das haben wir mittlerweile im Griff“, so Blumenstengel.
Und auch die Türleisten leuchten wieder in Grün und Rot, so, wie sie sollen. Der Türenhersteller aus Österreich hatte anfangs LED-Leuchten eingebaut, die die Spannungsschwankungen im Fahrzeug nicht vertrugen und dann reihenweise ausfielen. „Aber das hat der Hersteller jetzt auch in den Griff bekommen“, so Blumenstengel.
Und im dicken Pflichtenheft standen natürlich auch die Design-Entwürfe von IFS. Denn als 2012 klar war, welche Bedingungen die neue Bahn erfüllen sollte, fehlte natürlich noch ein erfahrenes Design-Büro, das bis zum letzten Bauteil genau aufzeichnen konnte, wie die neue Bahn mit diesen Vorgaben aussehen sollte. Möglichst noch so, dass sie wie eine richtige Leipzig-Bahn des Jahres 2013 aussah, die ihr Entstehungsjahr nicht verleugnete und trotzdem die nächsten 30, 40 Jahre so modern aussieht, dass sie zum Leipziger Verkehrsbild passt. Die Vorgaben gab man damals an mehrere renommierte Design-Agenturen. Den eindrucksvollsten Entwurf lieferte dann IFS, das damit nicht nur ein paar kreative Stunden am Reißbrett gewann.
„Die kreativen Stunden sind der kleinste Teil bei so einem Projekt“, sagt Jochen Dittrich. Denn die Bauteile müssen nicht nur so stimmig passen, dass das Fahrzeug wie aus einem Guss wirkt, man muss mit den Herstellern der Teile oft auch erst einmal herausbekommen, ob sie die Idee auch umsetzen können. „Mancher Hersteller hat uns dann erst einmal gesagt: Geht nicht“, erzählt Dittrich. Und dann hat man sich doch zusammengerauft und die Idee umgesetzt und eben keinen faulen Kompromiss geschlossen. Was eben auch die Preisjury überzeugt hat, die ja für gewöhnlich keine Straßenbahnen auszeichnet, sondern andere Nutzgüter, mit denen Menschen im Alltag umgehen müssen. Und die Jury hat eben vom Nutzer her beurteilt.
Und von den Leipziger Fahrgästen bekäme man seit Fahrtbeginn positive Resonanz, sagt Ulf Middelberg, Sprecher der Geschäftsführung der Leipziger Verkehrsbetriebe. „Diese Auszeichnung bestätigt uns das Feedback unserer Kunden. Mit den großen Panoramafenstern, den überbreiten Türen und vielen weiteren Gestaltungselementen, die einen Mehrwert für Fahrgäste bieten, ist und bleibt die XL das beste Fahrzeug für Leipzig.“
Im Februar 2019 kam bereits das 20. Fahrzeug in die Messestadt. Die Leipziger Verkehrsbetriebe haben sich zudem entschlossen, die Fahrzeugbestellung um 20 zusätzliche Fahrzeuge zu erweitern. Bis 2021 sollen so insgesamt 61 Fahrzeuge geliefert werden und so die hochflurigen Tatra-Fahrzeuge im Linienbetrieb ablösen. Gefördert wird die Fahrzeugmodernisierung durch den Freistaat Sachsen.
Und das wird es nicht gewesen sein, denn parallel bauen die LVB ja das alte Gleisnetz um, vergrößern die Abstände zwischen den Gleisen, sodass künftig auch 2,40 Meter breite Straßenbahnen fahren können. Auch der XL ist noch 2,30 Meter breit. Die nächste Fahrzeuggeneration wird dann eine mit 2,40 Metern sein. Und daran arbeitet das Projektteam von Mario Blumstengel natürlich jetzt schon. Man sammelt die Erfahrungen, die man mit dem XL macht und lässt das alles schon einfließen in die Projektideen für die nächste Generation, die ab 2024 auf der Agenda steht.
Und weil die XL alle einen Namen bekommen, wurde auch das an diesem Tag gleich vollzogen: die kleine Namenstaufe mit der Namensgeberin Julia Schulz, die ihren Lieblingsplatz Baumwollspinnerei vorgeschlagen hatte.
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