Seit drei Tagen sammelt der Ökolöwe Unterstützerunterschriften für die Einführung eines 365-Euro-Jahres-Abos bei den LVB nach Wiener Modell. Denn seit 2012, seit Einführung dieses Tickets in Wien, sieht man dort die Nutzerzahlen in Bahnen und Bussen deutlich steigen. So macht man Verkehr umweltfreundlicher. Doch wie erwartet, kamen die Kritiker sofort aus der Versenkung. Geht nicht, unken sie. Die SPD reagiert.

Denn sie hat das 365-Euro-Ticket in ihr Kommunalwahlprogramm geschrieben. Und man weiß im Kreisverband der SPD zumindest eins: Bis Leipzig so ein LVB-Ticket einführt, sind eine Menge Hindernisse zu beseitigen. Angefangen mit der Denkfaulheit einiger Zeitgenossen. Oder sind es Denkverbote?

„Wir wollen ein Jahresticket für den Leipziger Nahverkehr, das einen Euro am Tag kostet. Ein 365-Euro-Ticket entlastet die aktuellen Nutzerinnen und Nutzer, ist gerecht, weil es zu allen Leipziger Geldbeuteln passt und wird viele Menschen zum Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr bewegen“, erklärt Christina März, die im Wahlkreis Nord auf Listenplatz 1 für die SPD kandidiert. „Leipzig wird immer größer und die Straßen immer voller. Zur Entlastung brauchen wir einen starken Nahverkehr, den sich alle Leipzigerinnen und Leipziger leisten können.“

Das weiß eigentlich auch die Verwaltung. Die deutliche Steigerung der Fahrgastzahlen im ÖPNV steht im Luftreinhalteplan. Und das Vorbild Wien zeigt, dass ein bezahlbares Jahres-Abo für viele Menschen ein gutes Motiv ist, aufs Auto zu verzichten.

Tom Pannwitt, der im Wahlkreis Nordost auf Listenplatz 1 kandidiert, erklärt auch, welche Schritte in die Richtung eines 365-Euro-Tickets führen: „Ein günstigeres Ticket bedeutet Einnahmeverluste für die LVB, die ausgeglichen werden müssen. Wir wollen einen Prüfauftrag im Nahverkehrsplan, der ermittelt, wie groß die Einnahmenverluste sein werden. Ohne Unterstützung vom Bund oder dem Freistaat wird ein 365-Euro-Ticket aber kaum gelingen. Wir brauchen eine deutlich bessere Förderung des öffentlichen Nahverkehrs für den Klimaschutz, zur Vermeidung von Dieselfahrverboten, für eine funktionierende Mobilität in unseren Wirtschaftszentren und aus sozialen Gründen. Ich hoffe, diese Erkenntnis setzt sich auch bei unseren Koalitionspartnern durch.“

Aber in der Bundesrepublik ist seit den Dieselskandalen einiges in Bewegung geraten. Reihenweise bekommen es westdeutsche Auto-Städte mit Fahrverboten zu tun, weil Deutschland die Schadstoffgrenzwerte seit Jahren reißt und all das, was die Schadstoffbelastung wirklich senkt, einfach nicht tut oder – wie den ÖPNV – seit Jahren unterfinanziert. Es fehlt auch an Strecken und Bahnen.

„Das 365-Euro-Ticket ist ein langfristiges Ziel und so sollte man es auch behandeln. Niemand glaubt, dass man es einfach in der nächsten Stadtratssitzung beschließen kann“, reagiert Frank Franke, der im Wahlkreis Südost auf Listenplatz 2 kandidiert, auf die Kritik an einem 365-Euro-Ticket. „Wir müssen die LVB personell und organisatorisch in die Lage versetzen, viel mehr Fahrgäste zu bewegen und die Infrastruktur ausbauen. Ohne ein ehrgeiziges Ziel wie das 365-Euro-Ticket, wird das nicht passieren. Deshalb möchte ich auch das Argument nicht gelten lassen, die Einführung sei nicht möglich. Wir wollen die Möglichmacher sein!“

Die Linke: Warum nicht gleich fahrscheinlos?

Und dann gibt es ja auch noch eine Partei, die möchte noch viel mehr. Die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat begrüßt grundsätzlich die Idee eines 365-Euro-Tickets und begreift dieses als wichtigen Zwischenschritt hin zum fahrscheinlosen Öffentlichen Personennahverkehr, springt sie der SPD bei.

„Wir freuen uns, dass die Leipziger SPD nach dem Chaos mit der Linie 9 das Thema Attraktivität des ÖPNV nun endlich erkannt hat. Anträge zum Tarifmoratorium, also einem Verbot von Ticketpreiserhöhungen, wurden immer wieder abgelehnt“, stellt Franziska Riekewald, verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion, fest. „Umso erstaunlicher, dass die SPD die Preise nun sogar senken will.“

Und Reiner Engelmann, der umweltpolitische Sprecher der Fraktion, ergänzt: „Die Linke ist sich bewusst, dass allein das 365-Euro-Ticket eine geschätzte Preissenkung von 50 % über alle Abo-Kunden bedeutet. Bei über 100.000 Stammkunden bedeutet dies, dass es den politischen Parteien gelingen muss, ca. 36 Millionen Euro jährlich zusätzlich bereitzustellen. Leider reichen die zusätzlichen 36 Millionen Euro jedoch nicht aus, um ein solches Ticket zu schultern. Zwar erbringen die zu erwartenden Fahrgastzahlenzuwächse mindestens noch einmal 20 Millionen Euro, allerdings verlangen diese wiederum auch mehr Fahrzeuge, mehr Personal, dichtere Takte, ein erweitertes Netz und damit weitere Gelder.“

Mathias Weber, Stadtrat der Linksfraktion, verweist auf Wien, wo genau diese Bedingungen geschaffen werden konnten.

„Wien macht es vor!“, sagt Weber. „Wir sind der Meinung, dass ein solches 365-Euro-Ticket mehr Menschen davon überzeugen wird, den Leipziger ÖPNV zu nutzen. Das führt zu einer Entlastung der Straßen und damit zu mehr Lebensqualität in Leipzig.“

Und Franziska Riekewald: „Die SPD hat erkannt, dass diese Gelder nicht allein aus kommunalen Mitteln finanziert werden können. Hier seien Land und Bund gefragt. Ja, das gilt schon heute. Schon heute ist die SPD in Land und Bund in der Regierungsverantwortung und man findet keine Trendwende, was die offensive Zuwendung zum ÖPNV betrifft. Im Gegenteil, die Autolobby wird goutiert, statt diese in die Pflicht zu nehmen.“

Und: „Wir nehmen an, dass die SPD Leipzig sehr genau gerechnet und abgewogen hat, deshalb wünschen wir uns, dass die SPD ihre Vorstellungen und Zwischenschritte zum 365-Euro-Ticket offenlegt und zur öffentlichen Diskussion freigibt.“

Wiener Modell in Leipzig: Über Nacht gab es mehr als 1.000 Unterschriften für das 365-Euro-Jahresticket

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