Richtig viel Mühe haben sich die Petenten gegeben, die die Petition eingereicht haben, die Leipzig Pass Mobilcard künftig für 20 Euro anzubieten. Zehn Seiten Text haben sie verfasst mit jeder Menge Fakten. Am 13. Februar soll der Stadtrat über die Petition abstimmen. Und das Sozialdezernat gibt sich alle Mühe, eine Ablehnung der Petition zu begründen. Die irgendwie vertraut klingt. Leipzig hat sich ja an falsches Denken gewöhnt.

Schon im Oktober hatte das Sozialdezernat vollmundig formuliert: „Der vorliegende Verwaltungsstandpunkt positioniert sich ablehnend gegenüber der Petition. Die geforderte Absenkung des Preises der Leipzig-Pass-Mobilcard ist finanziell nicht umsetzbar. Weitere Forderungen des Petenten werden im Rahmen der künftigen Vertragsverhandlungen geprüft.“

Die Argumentation der Petenten war übrigens logisch: Seit 2009 gibt es die Leipzig-Pass-Mobilcard, rund 23.000 Leipziger nutzen sie. Allein von den Sozialleistungen her hätten sogar rund 80.000 Leipziger das Recht, eine LPMC zu erwerben. Das tun aber viele nicht. Viele fahren lieber mit dem Fahrrad oder gehen zu Fuß.

Wer SGB-II-Bezieher ist, bekommt in seinem monatlichen Satz nur anteilig 27,85 Euro für ÖPNV und 34,66 Euro für Mobilität insgesamt. Aber die LPMC kostet mittlerweile 35 Euro (ursprünglich waren es 26 Euro). Und die „Hartz-IV“-Sätze sind so knapp berechnet, dass die Bezieher im Grunde gezwungen sind, die Gelder immer wieder anders auszugeben – für Nahrung, Kleidung, Strom.

Und es betrifft ja nicht nur die SGB-II-Bezieher, sondern eben rund 77.000 Leipziger in den verschiedensten Sozialleistungsbezügen. Wobei die Petition hier sogar zu kurz greift. Denn dazu kommen zehntausende Leipziger, die auf die Beantragung sozialer Unterstützung verzichten, aber trotzdem ein Einkommen deutlich unter 1.100 Euro haben. Das betrifft laut Bürgerumfrage insgesamt 22 Prozent aller Leipziger – also rund 130.000 Menschen, die allesamt die in der Petition geschilderten Probleme haben, ihre Mobilität finanziert zu bekommen. Und die – wenn sie nicht mehr mit dem Rad fahren können – auf die Straßenbahn oder den Bus angewiesen sind.

Denn die Bürgerumfrage zeigte ja auch anschaulich, dass erst Haushaltseinkommen von über 1.100 Euro die Menschen überhaupt in die Lage versetzen, sich ein Auto zuzulegen. Auch so ein Aspekt, der in der Leipziger Mobilitätsdebatte fast immer „vergessen“ wird, dass das Automobil das Fortbewegungsmittel der gut und besser Verdienenden ist. Liegt der Pkw-Besatz in Haushalten bis 1.100 Euro Einkommen deutlich unter 20 Prozent, steigt er danach mit wachsendem Einkommen kontinuierlich an, um ab 2.300 Euro die 70-Prozent-Marke zu überschreiten, ab 2.600 Euro die 80-Prozent-Marke und ab 3.200 Euro die 90-Prozent-Marke.

Das heißt: Wer in Leipzig über ÖPNV debattiert, redet über das wichtigste Fortbewegungsmittel der Menschen mit niedrigem Einkommen, nicht nur derer in „Hartz IV“. Und die Petition schildert recht anschaulich, wie happig die Preise mittlerweile sind und wie wenig das mit den niedrigen Einkommen von mindestens 130.000 Leipzigern vereinbar ist.

Es ist schon beschämend, wenn nach Jahren drastischer Preissteigerungen das Sozialdezernat ausgerechnet mit dem Argument vorprescht, ein preiswerteres Sozialticket sei nicht „finanzierbar“.

Direkt aus dem Beschlusstext, den das Sozialdezernat vorgelegt hat, zitiert: „Die Reduzierung des Preises der Leipzig-Pass-Mobilcard (LPMC) ohne Aboverpflichtung auf 20 Euro monatlich wird aus folgenden Gründen abgelehnt:

Am 27.09.2018 hat die Ratsversammlung die Grundsatzentscheidung getroffen, dass den strategischen Planungen im Mobilitätsbereich der Stadt Leipzig bis zum Jahr 2030 das Nachhaltigkeitsszenario zugrunde gelegt wird (VI-DS-03902-NF-02-ÄA-01, Ziff. 1). Vor dem Hintergrund dieser strategischen Planungsprämisse hat die Stadt Leipzig verschiedene Finanzierungsbausteine einer nachhaltigen Mobilitätsstrategie 2030 formuliert, die der derzeit absehbaren finanziellen Leistungsfähigkeit der Stadt Leipzig und der Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH (LVV mbH) Rechnung trägt.

Mit Beschluss der Ratsversammlung vom 24.10.2018 (vgl. VI-A-05958) wurde festgelegt, den Kaufpreis für die Leipzig-Pass-Mobilcard in den Jahren 2019 und 2020 nicht zu erhöhen (Tarifmoratorium). Damit wurde der Fahrpreis für die Nutzer der LPMC auf 35,00 Euro pro Monat (Monatskarte LPMC) und 32,80 Euro pro Monat (Abo LPMC) fixiert. Die Stadt Leipzig erhöht in diesem Zusammenhang auch ihre Ausgleichszahlungen an die Leipziger Verkehrsbetriebe GmbH (LVB) für die Leipzig-Pass-Mobilcard zur Erreichung einer Kofinanzierungsquote von 50 % und für den Ausbildungsverkehr.“

Eigentlich wollte das die Verwaltung ja nicht. Aber Linksfraktion und CDU-Fraktion preschten vor und verdonnerten mit dem Abstimmungsergebnis Stadt und LVB erstmals in der jüngeren Geschichte dazu, mit dem Automatismus der maximalen Tarifsteigerungen aufzuhören. Wenigstens für zwei Jahre.

Und dann rechnet das Sozialdezernat vor: „Eine Absenkung des Preises der Leipzig-Pass-Mobilcard auf 20 Euro monatlich ist derzeit nicht finanzierbar. Ausgehend von den Verkaufszahlen des Jahres 2017 wäre eine Absenkung des Preises (ohne Aboverpflichtung) von derzeit 35 Euro auf 20 Euro monatlich mit Zusatzkosten von ca. 1,9 Mio. € p.a. verbunden.“

So rechnen Leute, die sich den Unterschied von 15 Euro im Monat einfach nicht als gravierend vorstellen können. Die Frage darf durchaus sein: Wer zahlt dann die 1,9 Millionen Euro, wenn sie die Stadt nicht zahlt?

Oder zahlt sie keiner, weil dann noch mehr Leute auf die teure Straßenbahnfahrt verzichten und lieber zu Fuß gehen? Die Fahrgastzahlen der LVB im Jahr 2018 deuten darauf hin. Sie haben sich nämlich – trotz weiteren Bevölkerungswachstums 2018 – nicht weiter erhöht.

Natürlich muss die Leistungsfähigkeit der Stadt genauso berücksichtigt werden wie die der LVB. Und Kommunen und ÖPNV waren in den letzten 20 Jahren immer Sparobjekt von Bund und Land. Die Kosten für diese Kürzungen bei Zuschüssen und Fördergeldern landen logischerweise immer bei denen, die sich nicht wehren können, die nur entscheiden können zwischen Mitfahren oder Draußenbleiben.

Erst wer die Sicht derer, die wirklich keine 35 Euro übrig haben jeden Monat, mit einbezieht, merkt, wer die ganze Zeit für die Austeritätspolitik deutscher Finanzminister bezahlt. Und der ahnt auch, wer in Deutschland eigentlich aus lauter Hilflosigkeit nur noch depressiv oder wütend ist.

In Leipzigs Stadtverwaltung findet das Anliegen der Petition zumindest Verständnis.

Neben der Preisreduzierung für die Leipzig-Pass-Mobilcard fordern die Petenten nämlich noch ein paar andere sinnvolle Dinge:

– die Gültigkeit der Leipzig-Pass-Mobilcard auf alle Zonen zu erweitern, die an die Zone 110 angrenzen
– ermäßigte Leipzig-Pass-Einzeltickets einzuführen,
– die kostenlose Mitnahme von Kindern oder Enkel/-innen im Alter bis 18 Jahre für Inhaber der Leipzig-Pass-Mobilcard bzw. von Leipzig-Pass-Einzeltickets,
– die kostenlose Mitnahme von Hunden oder Fahrrädern für Inhaber der Leipzig-Pass-Mobilcard bzw. von Leipzig-Pass-Einzeltickets.

„Diese Leistungsausweitungen bei der Leipzig-Pass-Mobilcard sind sozialpolitisch wünschenswert, jedoch im Rahmen der laufenden Vertragsverpflichtungen nicht umsetzbar“, benennt das Sozialdezernat wieder den Punkt, an dem das Sinnvolle scheitert, weil es nicht finanzierbar zu sein scheint.

Aber: „Bei künftigen Verhandlungen zwischen der Stadt Leipzig und der LVV/LVB sowie dem Mitteldeutschen Verkehrsverbund wird geprüft, ob ein oder mehrere der durch die Petenten benannten Vorschläge aufgegriffen werden kann/können und finanzierbar ist/sind. Mit der Ausweitung der Gültigkeit der Leipzig-Pass-Mobilcard auf das Umlandgebiet der Stadt wären zudem die Interessen weiterer Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger betroffen. Eine Umsetzung wäre nur im Rahmen des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes und unter Zusage umfangreicher Ausgleichsleistungen denkbar.“

Womit wir wieder beim Geld wären, das gerade denen, die keins haben, als letztes Argument immer wieder vorgesetzt wird, dass etwas nicht möglich sein soll. Logisch, dass immer mehr Menschen das Gefühl bekommen, dass in Deutschland nichts mehr geht.

Die Petition.

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