Es ist schon überraschend, wenn selbst die „Zeit“ am 1. Januar in einem Kommentar titelt: „Gebt den Städten mehr Geld für den Nahverkehr“. Sonst war hier eher die Kritik am Umgang mit der Dieselaffäre und den ach so unverständlichen Fahrverboten nun schon in mehreren deutschen Großstädten zu lesen. Aber am 1. Januar hatte die dpa auch eine sehr deutliche Wortmeldung des Deutschen Städtetages veröffentlicht, wo man das Bashing der Deutschen Umwelthilfe (DUH) nicht zu teilen gewillt ist.
Denn dass selbst reiche Städte wie Stuttgart und Hamburg die Probleme der massiven Stickoxidbelastung auf ihren Hauptstraßen nicht gelöst bekommen, hat nur zum Teil mit der Abgas-Trickserei der deutschen Autokonzerne zu tun und auch nur zum Teil mit der massiven Unterstützung der deutschen Bundesregierungen für die Autobauer.
Das Problem ist ein anderes und die Oberbürgermeister der Städte kennen es alle: Ihnen wurden in den vergangenen Jahrzehnten die notwendigen Gelder zum Ausbau des ÖPNV zum Teil massiv gekürzt, zum Teil denkbar knappgehalten. Und das, während die Zahl der Pkw in Deutschland massiv wuchs und damit genau jene Probleme, unter denen die Städte heute besonders leiden: verstopfte Straßen, Schadstoffbelastung, Parkchaos, Lärmbelastung …
„2019 muss ein Jahr der Verkehrswende werden, in dem die Verkehrspolitik viel stärker auf zukunftsgerechte und nachhaltige Mobilität ausgerichtet wird“, erklärte zu Jahresbeginn der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Helmut Dedy. „Unsere Verkehrspolitik ist nicht mehr zeitgemäß. Es muss vor allem mehr attraktive Angebote geben, vom Auto auf die Bahn, auf ÖPNV und Fahrrad umzusteigen. Ohne eine Verkehrswende werden wir bald in Teilen unseres Landes einen Verkehrskollaps erleben.“
Bund und Länder müssten im neuen Jahr ein Gesamtkonzept für nachhaltige Mobilität vorlegen, zitierte ihn dpa. „Wir leiten bereits die Verkehrswende in den Städten ein und wollen unseren Sachverstand in das Gesamtkonzept einbringen“, sagte Dedy. „Allerdings erwarten wir auch, dass Bund und Länder dafür über bisherige Programme hinaus Mittel in Milliardenhöhe einsetzen, zum Beispiel für Investitionen in den ÖPNV und die Verkehrsinfrastruktur insgesamt.“
Und nicht nur beim innerstädtischen Verkehr haben Bund und Länder sich auf Kosten eines umweltfreundlichen Gemeinschaftsverkehrs „gesundgespart“. Als geradezu katastrophal erweist sich mittlerweile der 25 Jahre alte Versuch des Bundes, die Bahn zu einem renditeträchtigen Unternehmen zu machen.
Das Ergebnis sind in den letzten 30 Jahren nicht nur 5.400 Kilometer stillgelegte Strecken gewesen und tausende verkaufte Bahnhöfe. Bis in den technisch besonders teuren Fernverkehr hinein merken die Fahrgäste der Deutschen Bahn, dass überall im System viel zu viel gespart wurde – beim Personal, bei der Instandhaltung im Gleisnetz, bei der Erneuerung der Brücken … Wichtige Strecken sind nicht elektrifiziert, Verspätungen gehören zum Alltag, oft fallen Züge sogar ganz aus, weil die Technik versagt oder der Fahrer fehlt.
Mit einem Unternehmen, das umweltfreundliche Mobilität in Deutschland dauerhaft und verlässlich sichert, hat das nicht mehr viel zu tun. Die einst vorhandenen Puffer wurden weggeschliffen. Das Unternehmen fährt auf dem Zahnfleisch.
Logisch, dass mittlerweile von einer zweiten Bahnreform gesprochen wird, die diese Fehlentwicklungen endlich korrigieren soll. Denn ohne eine belastbare Bahn wird Deutschland die Verkehrswende nicht bewältigen.
Noch am 31. Dezember forderte der Fahrgastverband PRO BAHN, dass, bevor über die Struktur des DB Konzerns diskutiert werde, ordentliche Grundlagen für die Eisenbahn in Deutschland zu schaffen seien.
Das Hauptproblem: Bisher werde auf mehreren Wegen Geld aus dem System entzogen, das dringend gebraucht wird.
Die Fahrgastvertreter forderten daher:
1) Aussetzung der Dividenden mit Umstellung der Infrastrukturgesellschaften auf gemeinnützige Rechtsformen,
2) Reduzierung der Trassengebühren (Schienenmaut) auf Grenzkostenniveau und 3) die Anpassung des Mehrwertsteuersatzes für Fernverkehrsfahrkarten.
Zu Jahresbeginn jährte sich die Bahnreform zum 25. Mal. Vom Vorstand der DB wird jetzt zwar ein Konzept für die Zukunft erwartet. Aber wie stabilisiert man ein Unternehmen, dem die Milliarden für die wichtigsten Investitionen fehlen?
Keine Strukturänderung allein könne die Eisenbahn in Deutschland zum Erfolg führen, egal ob die Struktur von der Politik, Beratern oder der DB AG selbst kommt, kommentiert das PRO BAHN.
„Wenn die Bundesregierung von der DB fordert, eine neue Struktur vorzulegen, die alle Probleme löst, ist das so, als würde ein Bauherr einen Architekten beauftragen ein Haus zu bauen, während er gleichzeitig immer wieder das Fundament abträgt,“ kommentiert Lukas Iffländer, stellvertretender Vorsitzender des Fahrgastverbands PRO BAHN, den aktuellen Eiertanz.
Denn der Bund entziehe dem System Eisenbahn an vielen Stellen Geld. Um dies zu ändern, fordern die Fahrgastvertreter drei Maßnahmen:
1) Der Deutschen Bahn fehlt das Geld an allen Ecken und Enden. Dabei wären neue Fahrzeuge und Digitalisierung dringend angebracht. Die Dividende, die vom Gewinn an den Bund geht ist daher dauerhaft auszusetzen. Bei den Infrastrukturgesellschaften (Schienennetz, Bahnhöfe, Stromtrassen) gehen die Forderungen des Fahrgastverbands noch weiter.
„Es ist nicht nachzuvollziehen, warum ein natürliches Monopol einen Bargewinn abwerfen und ausschütten soll“, stellt Karl-Peter Naumann, Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbands PRO BAHN, klar. „Stattdessen sollten diese Gesellschaften in eine gemeinnützige Rechtsform umgewandelt werden und die Ausweitung des Schienenverkehrs als oberstes Ziel in deren Satzungen verankert werden.“
2) Als nächstes müssen die Trassenpreise – die Maut auf der Schiene – reduziert werden.
„Ein Hochgeschwindigkeitszug kostet bis zu 11,90 € pro Kilometer, die unmittelbaren Kosten betragen aber nur 1,24 €. Also bis zu 10,66 € mehr. Der kleinere Wert sollte eigentlich die europaweite Regel sein. Unter anderem Deutschland hat aber durchgeboxt, dass mehr verlangt werden kann. Und der Unterschied macht viel aus. „Bei Tempo 300 sind das 53,30 – das entspricht gut 13 Weißbieren im Bordrestaurant – pro Zug und Minute, die z. B. in bessere Wartung gesteckt werden könnten“, rechnet Iffländer vor.
3) Zuletzt muss noch der Steuersatz für Fahrkarten ab 50 Kilometer angegangen werden.
„Während viele andere EU-Länder hier keine Mehrwertsteuer oder einen reduzierten Satz verlangen, gilt in Deutschland der volle Satz. Eine unnötige Verteuerung von Fernverkehrstickets“, beklagt Naumann.
Die Bahn leidet also unter denselben falschen Weichenstellungen wie der Nahverkehr in den Städten. Oft überschneiden sich die Systeme und sind – wie etwa S-Bahnen in München oder Frankfurt – völlig überlastet, weil der Bau neuer Strecken und eine Erweiterung des von Pendlern gern genutzten Systems über Jahre verzögert wurden.
Die Pläne zu neuen Strecken können nicht erst entwickelt werden, wenn die Städte schon im Stau ersticken. Und dass gerade der ÖPNV massiv zur Senkung der Lärm- und Luftbelastungen beitragen kann, ist auch nicht so neu. Wo gut funktionierende ÖPNV-Systeme existieren, werden sie auch genutzt und verzichten die Pendler nur zu gern auf ihr Auto.
Aber bevor Neubauten überhaupt antragsreif werden, vergehen in der Regel fünf, zehn, oft noch mehr Jahre. Das sind die Jahre, die heute in Städten wie Stuttgart und Hamburg fehlen, wo man sich jahrelang auch in der Hoffnung wiegte, die kleine DUH würde vor deutschen Gerichten kein Recht bekommen, wenn sie das Recht der Stadtbewohner auf saubere Luft einklagt.
In Leipzig ist zumindest der Stadtrat so weit, die Herausforderung zu sehen. Aber noch liegen keine Pläne auf dem Tisch. Auch hier tickt die Uhr. Zumindest die Kostengröße ist umrissen: 800 Millionen bis 1 Milliarde Euro bis 2030. Und zwar ohne Tunnel oder Schwebebahn, die würden den Kostenblock regelrecht sprengen. Aber noch ist vollkommen offen, wo Leipzig diese Milliarde herbekommen soll.
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