Im Jahr 2016 überraschte die Stadt Leipzig mit einer Bevölkerungsvorausschau, die es so noch nicht gab: Bis 2030 sollen nach der mittleren Variante in Leipzig 722.000 Menschen leben, es könnten nach der oberen Variante sogar 760.000 werden. Noch 15 Jahre zuvor war in der LVZ zu lesen: „Leipzig wird nie wieder die 500.000er Grenze schaffen“.

Während das LVZ-Zitat ungefähr den Zeitpunkt für die 1. Fortschreibung und damit dem aktuell gültigen Nahverkehrsplan markiert, sollte die Prognose Leipzig 2030 dazu führen, dass man in Politik und Verwaltung auf einen starken Bevölkerungszuwachs vorbereitet ist und diesen auch händeln kann. Daher hat OBM Jung den bereits fertigen Entwurf für die 2. Fortschreibung kassiert.

Wer nun allerdings erwartet, dass der im Oktober 2018 vorgelegte Nahverkehrsplan das Bevölkerungswachstum hinreichend berücksichtigt, lebt in einer Täuschung.

Zwischen dem Entwurf 2016 und dem Entwurf 2018 ändert sich im Großen und Ganzen nur eine Zahl. Diese Zahl lautet 20. Der ÖPNV soll bis 2024 auf 20 % Modal Split (Seite 7) erhöht werden. Nach der Strategie Fokus25 der LVB und dem Beschluss des Stadtentwicklungsplans Verkehr und Öffentlicher Raum, wonach der ÖPNV-Anteil auf 23 bzw. 25 % bis 2025 gesteigert werden soll, sieht der Entwurf eine deutlich geringere Steigerung vor.

Entsprechend mager fallen auch die geplanten Maßnahmen bis 2024 aus. Hierbei muss man stets im Hinterkopf haben, dass es sich um einen Plan handelt. D.h. was drinsteht, hat eine Chance auf Umsetzung. Das bedeutet aber nicht, dass es auch tatsächlich umgesetzt wird. Was nicht im Plan steht, wird allerdings mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht umgesetzt.

Die Maßnahmen

Geplant sind für die nächsten Jahre im Prinzip alles Maßnahmen, die seit längerem in bereits beschlossenen Plänen schlummern, aber noch nicht umgesetzt sind. Neue Maßnahmen gibt es im Prinzip nicht, wenn man von der Hochstufung Trassenfreihaltung zur Untersuchungsstrecke absieht. So wird das Stadtbahnprogramm weitergeführt, die Aufweitung des Gleismittenabstandes weiterhin verfolgt und die Barrierefreiheit weiter erhöht.

Grundsätzliche Bestrebungen zur Erhöhung der Fahrgastzahlen sucht man in diesem Planentwurf vergebens. Allerdings ist das auch – siehe Modal Split – nicht Ziel des Plans. Ziel des Plans ist es vielmehr wieder Rechtskonformität herzustellen, um Fördermittel generieren zu können, denn der alte Plan hat theoretisch seit 2013 keine Rechtsverbindlichkeit mehr, weil die Laufzeit eines Nahverkehrsplans in Sachsen nach SächsGVBI maximal 5 Jahre beträgt. Aufgrund dessen, dass der Entwurf schon etwas lagerte, ist ein Teil der Maßnahmen in Umsetzung bzw. umgesetzt.

Die statistische ÖPNV-Erschließung der Stadtteile. Grafik: Stadt Leipzig, Nahverkehrsplan
Die statistische ÖPNV-Erschließung der Stadtteile. Grafik: Stadt Leipzig, Nahverkehrsplan

Tab. 16: Straßenbahn – Maßnahmen mit Umsetzungspriorität 2018-2024

Neubaustrecke
1. Mockauer Str. (zw. Kieler Str. und Tauchaer Str.), mit drei Haltestellen.

Gleiserneuerung mit Achsaufweitung sowie barrierefreier Haltestellenausbau
2. Ratzelstraße zwischen Schönauer Straße und Diezmannstraße
3. Dieskaustraße (zw. Adler und Huttenstraße)
4. Huttenstraße / Pfeilstraße von Breitschuhstraße bis Gleisschleife Großzschocher
5. Zschochersche Straße (zw. Felsenkeller und E.-Zeigner-Allee sowie zw. Industriestraße und Siemensstraße)
6. Adler
7. K.-Heine-Straße (zw. Felsenkeller und Kolbestraße) sowie zwischen Kolbestraße und Klingerweg
8. am S.-Bf. Plagwitz
9. Georg-Schwarz-Straße (zw. Pfingstweide und Philipp-Reis-Straße)
10. G.-Schwarz-Brücken
11. Jahnallee (zw. Angerbrücke und Sportforum, ohne Haltestelle)
12.. Waldstraße (Primavesistraße bis Waldplatz)
13. Sportforum Ost
14. Pfaffendorfer Straße (zw. Goerdelerring und Zoo sowie zw. Zoo und Nordplatz)
15. Gohliser Straße (zw. Menckestraße und Nordplatz)
16. G.-Schumann-Straße (zw. Chausseehaus und Böhmestraße).
17. G.-Schumann-Straße zw. Slevogtstraße und Kirschbergstraße
18. Hallesche Straße (Pittlerstraße bis Haltestelle Stahmeln)

19. Gleisschleife Hänichen
20. Landsberger Straße. (zw. Coppiplatz und Hans-Oster-Str.) sowie zwischen Beyerleinstraße und Gleisschleife
21. Mockauer Straße (zw. Volbedingstraße und Mockau-Post)
22. Volbedingstraße (zw. Mockauer Straße und Zeumerstraße)
23. Gorkistraße (zw. Waldbaurstraße und Ossietzkystraße)
24. Rosa-Luxemburg-Straße (zw. Hahnekamm und Eisenbahnstraße)
25. Dresdner Straße (zw. Kohlgartenstraße und Wurzner Straße)
26. Torgauer Platz inkl. Haltestellen
27. Stötteritzer Straße (zw. Riebeckstraße und S-Bf. Stötteritz)
28. Riebeckstraße (zw. Zweinaundorfer und Eilenburger Straße und zw. Witzgallstraße und Stötteritzer Straße)
29. Prager Straße (zw. Südfriedhof und An der Tabaksmühle)
30. Philipp-Rosenthal-Straße (zw. Straße des 18. Oktober und Linnéstraße)
31. A.-Hoffmann-Straße zwischen Hohe Straße und R.-Lehmann-Straße
32. Karl-Liebknecht-Straße (zw. Scharnhorststraße und Kantstraße)
33. Karl-Liebknecht-Straße (zw. R.-Lehmann-Straße und A.-Nitzsche-Straße)
34. Wiedebachstraße (zw. Bornaischer Straße und Frohburger Straße)
35. Bornaische Straße (zw. Wiedebachplatz und Ecksteinstraße)

Darüber hinaus ist die Einrichtung zusätzlicher Haltestellen geplant. Hierzu gehören bspw. die S-Bahnstationen „Essener Straße“ und „Mockau“, die mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2018 in Betrieb gehen.

Was müsste angegangen werden, wenn sich die ÖPNV-Nutzung erhöhen soll?

Die geplanten Maßnahmen dienen in erster Linie dem Erhalt des Netzes mit kleinen Beigaben, wie barrierefreien Haltestellen und ein paar neuen Straßenbahnhaltestellen. Im Prinzip wird im Plan festgeschrieben, was sowieso getan würde.

Schaut man in Karte 3 auf Seite 23 und wirft dann noch einen Blick in Tab. A3 in der Anlage, so ergibt sich hieraus ein offensichtlicher Handlungsdruck vor dem Hintergrund, dass der wissenschaftlich erwiesene beste Haltestellenabstand im urbanen Gebiet bei 300-350 m liegt.

Die Leipziger Straßenbahn ist im Bereich „Erschließungswirkung“ ein Zwitter aus S-Bahn und Straßenbahn, der sein Potential nur ungenügend ausschöpft. Nicht unzureichend, nicht unbefriedigend, sondern tatsächlich ungenügend. Salopp gesagt, man fährt an viel zu vielen Fahrgästen vorbei – das ist nicht Sinn und Zweck eines ÖPNV-Systems. Zwar sieht der Entwurf ein paar zusätzliche Haltestellen vor, aber am grundsätzlichen Dilemma wird nicht gerüttelt. Als es in grauer Vorzeit noch kein S-Bahnsystem gab und auch nur bedingt fahrende PKW, waren die großen Haltestellenabstände wahrscheinlich okay, diese Zeiten sind jedoch längst vorbei.

Die durchschnittlichen Haltestellenabstände im Straßenbahnnetz. Grafik: Stadt Leipzig, Nahverkehrsplan

Aufgrund der sehr hohen Haltestellenabstände hat ein Teil der Bevölkerung keinen fußläufigen Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, obwohl man mit 300 m Luftlinie zu einer Haltestelle den Einzugsbereich relativ großzügig gewählt hat. 300 m Luftlinie können auch mehr als 500 m Fußweg bedeuten. Das ist dann schon halb so viel, wie der Durchschnittsdeutsche am gesamten Tag zu Fuß zurücklegt.

Zusätzliche Haltestellen bedeuten nicht zwingend auch längere Fahrzeiten. Manche Haltestellen liegen heute so weit auseinander, dass laut Fahrplan 2 Minuten benötigt werden. Hier lässt sich möglicherweise auch eine Teilung in 2×1 Minute realisieren.

Als Zielwert für die Erschließung sollte im Übrigen ein Wert von deutlich über 90 % angestrebt werden. Der Erschließungswert von 91 % für Plagwitz bedeutet bspw., dass 1.500 Plagwitzer*innen keine fußläufige Erschließung zum ÖPNV haben, in Sellerhausen-Stünz sind es 2.500, in Anger-Crottendorf mehr als 3.000 und in Paunsdorf sogar mehr als 3.500 Menschen. Hierbei ist auch zu beachten, dass die Erschließung nicht automatisch ein 10er-Takt mit der Straßenbahn oder Bus bzw. halbstündlich mit der S-Bahn bedeutet. Die Werte in der Karte besagen zunächst, dass es überhaupt ein ÖPNV-Angebot gibt.

Ein ganzes Bündel von Wunscherweiterungen und Wunsch-S-Bahn-Stationen in Leipzigs neuem Nahverkehrsplan

Ein ganzes Bündel von Wunscherweiterungen und Wunsch-S-Bahn-Stationen in Leipzigs neuem Nahverkehrsplan

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Die notwendige Verdichtug des Haltestellennetzes muss nicht zwangsläufig über das Einrichten zusätzlicher Straßenbahnhaltestellen erfolgen. An einigen Stellen ist das natürlich das Mittel der Wahl. Im übrigen Netz wäre aus meiner Sicht die Einrichtung von Quartierbuslinien notwendig. Dafür gibt es im Planentwurf sogar einen Prüfauftrag! Damit dieser zum Erfolg führt, müsste allerdings das Qualitätskriterium dahingehend verändert wird, dass die Fläche mit besserer Erreichbarkeit der Zugangsstellen (der Radius um die Haltestellen ist <200m) noch im Geltungszeiraum des neuen Planes vergrößert werden muss.

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