Die Fahrradmitnahme in den Bahnen des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes wird zu einem großen Streitthema. Die Ferien sind zu Ende, die Menschen fahren wieder zur Arbeit – und immer mehr mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln wie der S-Bahn. Und viele nehmen ihr Fahrrad mit, um am Zielort noch den Rest der Strecke zu radeln. Aber am 10. August schockte die Deutsche Bahn die Reisenden: Die Fahrradmitnahme werde ab sofort limitiert.
Fast vergisst man, dass schon 2016 heftig über das Thema diskutiert wurde. Auch damals wurden ausgerechnet die Fahrradfahrer für die fehlenden Zugkapazitäten im Netz verantwortlich gemacht – bis sich herausstellte, dass die Deutsche Bahn gerade auf der hoch nachgefragten Strecke Leipzig – Halle mit weniger Zugmaterial unterwegs war als vom ZVNL bestellt. Die fehlenden Wagen waren in der Regel in der Werkstatt – entweder durch Vandalismus beschädigt oder durch Graffiti beschmiert.
Und nach vielen Diskussionen schien die Bahn das Problem in den Griff bekommen zu haben.
Aber dass sie gleich zum Schuljahresstart von sich aus ein Limit für die kostenlose Fahrradmitnahme verkündet, deutet darauf hin, dass die Kapazitätsprobleme keineswegs gelöst sind.
Der Fahrgastverband PRO BAHN e.V. lehnt die – spontane – Einführung der Limitierung von Fahrrädern in den S-Bahnzügen ab. Die von der DB Regio AG vorgesehenen Regelungen verschärfen aus seiner Sicht nur die Probleme, statt sie zu lösen.
Carsten Schulze-Griesbach als Sprecher der PRO-BAHN-Region Leipzig/Halle hat sich Gedanken gemacht über das Problem. Er beobachtet es ja selbst schon länger.
„Auf einigen Fahrten, insbesondere zwischen Halle und Leipzig und im Berufs-/Schülerverkehr, kommt es jedoch zu Überfüllungen, wobei als vermeintliche Ursache mitgenommene Fahrräder angesehen werden. Doch diese Schlussfolgerung ist nicht nur falsch, sie verhindert eine fachlich korrekte Analyse“, stellt er fest.
Er sieht das Problem im viel zu kleinen Fahrzeugpark, mit dem die Deutsche Bahn das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz befährt. So habe PRO BAHN mehrfach und über viele Jahre das Problem der deutlich zu kleinen Fahrzeugflotte kritisiert.
„Abhilfe wurde nicht geschaffen. Weder hat der Betreiber DB Regio AG Nachbeschaffungen eingeleitet, noch haben die Besteller das Problem gelöst und auch nicht die zuständigen Landesregierungen“, benennt er die Verursacher des Problems aus Sicht des Fahrgastverbandes. „Auf organisatorischer und operativer Ebene wurde das Dilemma ausgesessen.“
Die Meldung der DB zur Begrenzung der Fahrradmitnahme klang zwar sehr forsch. Da sah man die Schaffner schon emsig damit beschäftigt, im Zug die Fahrräder zu zählen und die Fahrgäste an den Türen abzuweisen.
Aber aus der Sicht von Schulze-Griesbach ist die neue Regelung zu der Obergrenze mitgenommener Räder weder vom Zugpersonal noch von den Fahrgästen einhaltbar.
„Technisch unnötig hilft sie nicht, die zeitweiligen Füllgrade auf wenigen Fahrten zu entspannen. Einzig das Konfliktpotenzial von Fahrgästen untereinander sowie zwischen Kundenbetreuern und den Fahrgästen wird steigen, das Klima rauer werden. Beides kann weder Ziel noch Methode werden“, sagt er und wird dann – aus jahrelangen Erfahrungen mit Nicht-Lösungen gewitzt – ein bisschen sarkastisch: „Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen ermöglichen offenbar nur dann einen pünktlichen und zuverlässigen Betrieb, wenn keine Fahrgäste diesen stören. Was ironisch klingt, ist nichts anderes als die Umsetzung der Reglementierung, denn das Gros der fahrradmitnehmenden Fahrgäste macht dies im Berufsverkehr. Das Rad ist kein Spaß oder Selbstzweck, sondern notwendig um die Arbeits- und Ausbildungsplätze abseits der Stationen zu erreichen.“
Oder einmal so formuliert: Erst mit der Schaffung des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes 2013 bekam die Region Halle/Leipzig überhaupt erst das Rückgrat für einen modernen und umweltfreundlichen Pendlerverkehr. Die Erwartungen an das S-Bahn-System sind entsprechend hoch. Und es macht nicht viel Sinn, ausgerechnet die Pendler zu verprellen, die das System so umweltfreundlich wie möglich nutzen. Das ist dann wieder die altbekannte Politik gegen den ÖPNV, die immer wieder gerade Berufstätige frustriert und sie das zusammengesparte System wieder verlassen lässt.
Und drumherum sieht es oft noch schlimmer aus, wie Schulze Griesbach feststellt: „Auch innerhalb der Großstädte ist die Anbindung mit Straßenbahn und Bus teilweise mangelhaft, dass ohne Fahrradmitnahme die Nutzerzahlen der S-Bahn deutlich zurückgehen und wichtige Stammkunden fehlen. Mehr PKW-Verkehr und Kundenverlust kann und darf nicht die Folge einer Regulierung sein.“
Lösungen statt Verbote – die seien nicht nur wünschenswert, sondern dringend notwendig angesichts der Herausforderungen einer wachsenden dynamischen Region Leipzig/Halle, betont Schulze-Griesbach. PRO BAHN fordere deshalb das umgehende Zurücknehmen der Gängelungen und stattdessen konstruktive Vorschläge.
„Auch einen Dialog, bevor noch mehr Schaden angerichtet wird“, sagt er. „Die Fahrgäste mit Fahrrädern werden es danken, die mit Kinderwagen auch, ebenso die zahlreichen Fluggäste am Flughafen, die sich mit großem Gepäck bislang in viel zu kurze und zu wenige Züge quetschen müssen. Alle Verantwortlichen sind zum Handeln aufgerufen, insbesondere zum vorherigen gründlichen Nachdenken. Denn wenn in die falsche Richtung geritten wird, bringt auch galoppieren nichts.“
Regelungen zur Fahrradmitnahme bei der S-Bahn Mitteldeutschland zum Schulbeginn
Regelungen zur Fahrradmitnahme bei der S-Bahn Mitteldeutschland zum Schulbeginn
Es gibt 3 Kommentare
Doppelstockzüge sind in einem S-Bahnsystem sehr ungünstig. Sie haben relativ wenige Türen und der Fahrgastwechsel dauert ewig. Zudem bleiben viele Fahrgäste in der Nähe der Türen stehen und gehen nicht die Treppen hoch, wenn sie doch nur 2, 3 Stationen fahren wollen. Selbst in München fahren deshalb keine Doppelstockzüge.
Und was die Relation Halle – Leipzig anbelangt: Auf der S3 könnte man einen 20er Takt einführen und größere Züge einsetzen (400 statt 300 Sitzplätze) und auf der S5/X sollte es perspektivisch auch einen 20er Takt geben.
In der sächsischen Schweiz fahren solche Doppelstockzüge. Perfekt. Viele Menschen mit Fahrrad passen hinein, aber auch Reisende.
Ziel in dieser sich verdichtenden Region kann nur sein, Mitfahrer zu gewinnen und zu transportieren, und nicht mit hausgemachten Versäumnissen wieder auszuladen.
Warum nicht mal mit altem “Zugmaterial” fahren? So schick die Talent-Züge auch sind, für Räder sind sie unpraktisch.
Es gab doch lange die roten Doppelstock-Wagons. Fuhren (fahren immer noch?) auf der Strecke Dessau/WB – Leipzig. Unten massig Platz für Räder/KiWa, oben Sitzplätze.
Lösung: Von 6-9 und 16-18 Uhr einfach mal diese Züge zwischen Halle und Leipzig hin und her schicken.