Aller paar Jahre lässt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die Bundesbürger zu ihrem Mobilitätsverhalten befragen. Das ändert zwar nichts an der Politik des Ministeriums, aber es liefert einige belastbare Zahlen, die auch aktive Lobby-Vereine bestätigen in ihrer oft zermürbenden und entmutigenden Arbeit – zum Beispiel für bessere Fußwege in den deutschen Städten.
Das Problem dabei ist oft genug, dass es die Nutzer der umweltgerechten Verkehrsarten mit einer Stadt zu tun haben, die seit über 60 Jahren systematisch für das Automobil umgebaut wurde. Sie sind überall die schwächeren Verkehrsteilnehmer. Und noch immer müssen sie darum kämpfen, dass ihre Verkehrsart endlich als gleichwertig bearbeitet wird. Da geht es ÖPNV-Nutzern genauso wie Radfahrern und Fußgängern.
Und weil Fußgänger scheinbar keine Extra-Aufmerksamkeit brauchen, wird ihre Verkehrsart fast immer ins letzte Glied geschoben. Über zwei Jahrzehnte hat auch Leipzig gebraucht, um endlich einen Fußwegebeauftragten zu bekommen.
In Deutschlands größten Städten legen die Menschen mehr Wege zu Fuß zurück als hinterm Steuer. Und sie tun das gern, stellt nun der FUSS e.V. fest, nachdem das Befragungsergebnis für „Mobilität in Deutschland“ für 2017 veröffentlicht wurde. Die in Umfragen bekundete Freude am Laufen ist größer als unter den Benutzern von Autos, Fahrräder, Bussen und Bahnen die Freude am Fahren.
Der FUSS e.V., Fachverband Fußverkehr Deutschland, fordert deshalb Konsequenzen aus der Studie: „Breitere Gehwege ohne Fahrräder und parkende Autos, sichere Übergänge, fußgängerfreundliche Ampeln ohne ewiges Rot“.
Für die Studie „Mobilität in Deutschland“ hat das Infas-Institut fast eine Million Wege von mehr als 300.000 Menschen analysiert. Die Wege sind nach Bundesländern aufgeschlüsselt. In Berlin und Hamburg, den größten Städten und zugleich Stadtstaaten, bewältigen die Einwohner jeweils 27 Prozent aller Wege zu Fuß. Auch Autofahrer, Radfahrer und ÖPNV-Nutzer laufen ja zu Fuß, erst recht, wenn es um wohnortnahe Erledigungen geht.
Die letzte Leipziger Erhebung stammt zwar aus dem Jahr 2015, aber auch danach legten die Leipziger 25,4 Prozent aller Wege zu Fuß zurück. Leipzig lag also durchaus im Durchschnitt.
Der sächsische Wert lag 2017 übrigens bei 23 Prozent.
Bundesweit die meisten Fußgänger gibt es unter ganz Jungen und Alten, Menschen mit geringem Einkommen und ohne eigenes Auto.
Die Befragten mit laut Infas „sehr niedrigem Einkommen“ legen pro Stichtag 28 Prozent ihrer Wege zu Fuß zurück, bei denen mit hohem Einkommen sind es nur 19 Prozent. Unter Kindern und Senioren wurden bis zu 35 Prozent der Wege zu Fuß zurückgelegt, unter den 40- bis 49-Jährigen waren es nicht einmal halb so viele – nur 17 Prozent.
Dazu der FUSS e.V.: „Das Gehen hat auch eine große soziale Bedeutung. Es sichert die Basismobilität der Menschen mit weniger Geld und gehört nicht zuletzt gefördert, um soziale Nachteile auszugleichen.“
Man kann es auch so formulieren: Autopolitik ist vor allem eine Politik für die Besserverdienenden.
Einen Vorsprung haben Gehende bei der Zuneigung zu ihrem körpereigenen Verkehrsmittel. Infas fragte in acht Altersgruppen: „Gehen Sie gern zu Fuß?“ und „Fahren Sie gern Auto, Rad, Bus oder Bahn?“ In sechs der acht Gruppen war der Anteil der gern Gehenden am höchsten. Das Auto kam auf Rang 2, Fahrrad und öffentlicher Verkehr liegen mit weitem Abstand dahinter, so der FUSS e.V.
Der die Daten aus der Befragung nun so einschätzt: „Die Studie zeigt, dass das Gehen von Verkehrsplanern und in der öffentlichen Diskussion immer wieder unterschätzt wird. Dabei ist es gerade in großen Städten die beliebteste und beste Verkehrsform. Es schont die Umwelt, spart Platz, gefährdet keinen anderen, ist gesund und kostet am wenigsten.“
Was schon verblüfft. Aber über 80 Prozent der Deutschen gehen gern zu Fuß. Das Zufußgehen wird also als positives Erlebnis empfunden. Was ja darauf hindeutet, dass man Verkehrsentscheidungen der Bürger auch über positives Erleben steuern kann. Die Aussagen zu Radverkehr und ÖPNV zeugen eher von einer Menge Frustrationserlebnisse.
Der Fachverband der Fußgänger mahnt die Stadtplaner: „Fürs Gehen muss mehr getan werden. Autos und Fahrräder müssen runter vom Bürgersteig. Wir brauchen viel mehr Zebrastreifen und andere Querungshilfen, an denen man Fahrbahnen sicher und leicht überqueren kann. 462 getötete und rund 30.000 verletzte Fußgänger im vorigen Jahr sind ein gesellschaftlicher Skandal.“
FUSS e.V. fordert Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Ortschaften. „Das kommt letztlich allen zugute. Auch wer oft Auto, Bus, Bahn oder Fahrrad fährt oder wer im Rollstuhl sitzt, ist zeitweise auf dem Gehweg unterwegs und profitiert von sicheren Übergängen.“
Andererseits bringt einen die MiD-Umfrage ins Grübeln. Denn wenn 82 Millionen Menschen nur 93 Millionen Kilometer pro Tag zu Fuß zurücklegen, müssten es eigentlich allesamt fette Klopse mit Atembeschwerden sein, denn da kommt ja gerade mal ein bisschen über 1 Kilometer pro Nase heraus. Selbst als ÖPNV-Nutzer in Leipzig kommt man am Tag locker auf 3 bis 5 Kilometer, die man zwischen Wohn- und Arbeitsort und Haltestelle zurücklegen muss.
Vielleicht ist es tatsächlich so: Die meisten gehen viel zu wenig zu Fuß. Und wer nicht zu Fuß geht, ärgert natürlich seine Gemeindeverwaltung nicht mit Beschwerden über unmögliche Fußwege.
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