Selbst Polizeidirektor Frank Gurke, Leiter des Referats Einsatz und Verkehr der Polizeidirektion Leipzig, freute sich ein bisschen. Seit Jahren sinkt die Zahl der Verkehrsunfälle. Zumindest derer, die bei der Polizei angezeigt werden. Lag die Zahl 2013 noch bei 14.010, so sank sie 2016 auf 13.758 und 2017 nun auf 13.409. Klingt gut. Aber die Zahl allein trügt eher.

Nicht nur weil – nach Schätzungen der Polizei – ein Drittel aller Verkehrsunfälle gar nicht angezeigt wird, weil sich die Unfallgegner z. B. schon selbst miteinander über die Versicherungsfragen geeinigt haben. Und dazu kommt: 11.000 der aufgenommenen Unfälle sind in der Regel reine Blechschäden.

„Das tatsächliche Verkehrsunfallaufkommen kann aufgrund der Dunkelziffer in den Bereichen der nicht angezeigten Unfälle und Selbsteinigungen nicht beziffert werden“, erläutert Polizeidirektor Frank Gurke. „Zu Auswertungszwecken stellen sich die Daten zu Verkehrsunfällen mit schwerem Personenschaden deutlich repräsentativer dar und sollten daher Grundlage der Bewertung sein. Daneben verdeutlicht der jährlich aus Verkehrsunfällen resultierende volkswirtschaftliche Schaden den Stellenwert der Arbeit der Verkehrsunfallkommission in der Stadt Leipzig. Etwa 160 Millionen Euro Schaden pro Jahr sind Antrieb, die drei Säulen der Verkehrssicherheitsarbeit – Ingenieurswesen, Verkehrsüberwachung und Öffentlichkeitsarbeit – als verzahntes Handeln weiter zu forcieren.“

Da wird es auch in Leipzig deutlich komplizierter, denn die Zahl der Unfälle mit Personenschaden stieg von 1.940 im Jahr 2012 bis 2016 mit 2.146 Fällen deutlich an.

Die Zahl der Verletzten für 2016 hat die Polizei inzwischen auf 2.165 nach oben korrigiert. Dafür ging deren Zahl augenscheinlich 2017 auf 2.061 zurück, die der Verkehrstoten sank von 14 auf neun, bei Radfahrern von fünf auf zwei. Jedoch stieg die Anzahl der Unfälle mit mindestens einem Schwerverletzten von 331 auf 393, bei Unfällen mit Radfahrern von 139 auf 163.

Die Suche nach Unfallhäufungsstellen

Grund genug für das Verkehrs- und Tiefbauamt, die Zahlen jedes Jahr genau unter die Lupe zu nehmen und Schwerpunkte und Unfallhäufungsstellen herauszuarbeiten, um in der Folge notwendige Maßnahmen zu entwickeln. Am Donnerstag, 21. Juni, stellte Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau den Stand dieser Arbeit zusammen mit Thomas Schulze, Leiter der Abteilung Straßenverkehrsbehörde im Verkehrs- und Tiefbauamt, vor. Dass die Jahnallee inzwischen als Arbeitsschwerpunkt akzeptiert wurde, darüber haben wir schon berichtet. Aber es ist nicht die einzige Straße, wo sich – gerade für Radfahrer – enormes Gefahrenpotenzial ballt.

„Dass es in Leipzig 2017 insgesamt weniger Unfälle gab als 2016, ist erfreulich“, kommentierte Leipzigs Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau bei der Vorstellung des Berichtes der Verkehrsunfallkommission und des Verkehrsberichtes 2017 der Polizeidirektion Leipzig. „Zufrieden können wir allerdings nicht sein – jeder Tote im Verkehr ist einer zu viel und wir sehen ja leider an den ersten Monaten dieses Jahres, dass Aufmerksamkeit und gegenseitige Rücksichtnahme keine Floskel aus den StVO-Paragraphen sind, sondern buchstäblich über Leben und Tod entscheiden. Wir lassen in unseren Bemühungen nicht nach, den Verkehr in Leipzig sicherer zu machen – dazu gehört aber auch, dass der Bund Abbiegeassistenten in LKW zur Pflicht macht.“

2017 waren insgesamt 1.171 Fahrradfahrer an Unfällen beteiligt, was, obwohl der Radverkehr weiterhin zunimmt, einen Rückgang um 7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2016 bedeutet (1.262 Unfallbeteiligte). Die Zunahme des Radverkehrs spiegelt sich allerdings auch darin wider, dass die Gesamtzahl der Unfälle mit leichten Personenschäden zwar ab-, die mit schweren Personenschäden aber zugenommen hat, da Radfahrer insbesondere bei Kollisionen mit Kraftfahrzeugen deutlich gefährdeter sind. Daher sieht die Kommission weiterhin deutlichen Handlungsbedarf bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit.

Besonders intensiv betrachtete die Verkehrsunfallkommission im Jahr 2017 den Straßenzug Ranstädter Steinweg – Jahnallee, den die von der Polizei geführte Elektronische Unfalltypensteckkarte als einen Schwerpunkt ausgewiesen hatte. In den Analysen der Kommission ergaben sich drei sogenannte Unfallhäufungsstellen, die aber alle nicht in der aktuell in der Diskussion stehenden Inneren Jahnallee liegen. Die Innere Jahnallee als nun festgestellte Unfallhäufungslinie ist ein Thema für sich. Und zumindest hat die Stadt das dauerhaft geparkte Mobiliar („ruhender Verkehr“) mittlerweile als wichtigste Unfallursache erkannt, auch wenn sie sich mit Händen und Füßen noch immer gegen die Einrichtung sicherer Radstreifen sträubt.

Einige Unfallschwerpunkte:

Jacobstraße: Aber der Blick auf diese Streckenführung hat auch weiter vorn an der Einmündung zur Jacobstraße einen Unfallschwerpunkt ausgemacht: So kam es auf dem Ranstädter Steinweg häufig zu Unfällen zwischen in die Jacobstraße rechtsabbiegenden Kfz mit geradeaus fahrenden Radlern. Als Konsequenz wurde dort die Radfurt rot eingefärbt, um an dieser Stelle mehr Aufmerksamkeit der Autofahrer zu erreichen, betont die Stadt

Das Problem ist hier, dass der Radweg mit großem Abstand zur Fahrbahn angelegt wurde. Gerade abbiegende Lkw-Fahrer sehen die dort fahrenden Radfahrer zu spät oder gar nicht. Ein Konstruktionsproblem der Straße, die ja extra für die WM 2006 umgebaut wurde. Auch damals wusste man schon, wie gefährlich diese Konstruktion von Radwegen ist. Aber man setzte sich über alle Bedenken hinweg. „Heute dürfte man so gar nicht mehr bauen“, sagt Thomas Schulze.

Coblenzer Straße: Kaum ein Mensch weiß, dass westlich des AOK-Gebäudes an der Jahnallee die Coblenzer Straße auf die Jahnallee stößt. Hier steht man bestenfalls im Stau. Aber gerade das ist das Gefährliche. An der gegenüber der Arena Leipzig gelegenen Einmündung der Coblenzer Straße in die Jahnallee kommt es gehäuft zu Unfällen zwischen stadteinwärts in der linken Spur am Stau vorbeifahrenden Fahrzeugen und Fußgängern, die an dieser Stelle über die Jahnallee zur Haltestelle wollen.

Wenn sie zwischen den im Stau stehenden Kraftfahrzeugen auf der rechten Spur hervorkommen, werden sie erst im letzten Moment für Fahrer auf der linken Spur sichtbar.

Abhilfe soll hier die Reduzierung der Fahrstreifenanzahl bzw. der spätere Beginn der Linksabbiegespur Waldplatz schaffen. Aus der rechten Spur soll übrigens ab 2019 ein Radsteifen werden, sodass sich die Situation für Radfahrer verbessert. Fußgänger haben es also nur noch mit einem einsehbaren Radweg und einer einzigen Kfz-Spur zu tun.

Cottaweg: Diese Unfallhäufung war schon 2017 Thema. Der Grund ist, dass der Radweg auf der Nordseite der Jahnallee hier in beide Richtungen befahrbar ist. Was Thomas Schulze zwar für falsch hält. Aber die Radwegebeziehungen zwischen Cottaweg, Erich-Köhn-Straße, Palmengarten und Kleinmessegelände sind nun einmal altertümlich und nicht durchdacht. Radfahrer fahren hier ja nicht aus Dummdideldei auf der linken Straßenseite Richtung Arena oder Cottaweg. Hier gibt es weit und breit keine sinnvolle Querung für sie über die Jahnallee. Die Straßenbahngleise sind separiert.

Ergebnis: An der Einmündung des Cottaweges in die Jahnallee sind Vorfahrtunfälle zwischen Ausbiegern aus dem Cottaweg und stadteinwärts auf dem linksseitigen Gehweg fahrenden Radlern das Problem. Zwar weisen Schilder und Asphalt-Piktogramme darauf hin, dass hier auch Radfahrer von rechts kommen. Aber für viele Autofahrer ist nur das Linksgucken Routine – sie fahren den ankommenden Radfahrer über den Haufen, sofern der selbst trantütig unterwegs ist und glaubt, er brauche nur zu fahren – andere müssten reagieren. Ein kompliziertes Eckchen, für das sich die Verkehrsbehörde jetzt etwas ausgedacht hat, was beim ersten Anhören regelrecht Bauchschmerzen verursacht.

Hier soll die Querungsstelle der Fußgänger und Radfahrer etwas in den Cottaweg hinein verlegt werden, sodass die rechts abbiegenden und sich nur noch nach links orientierenden Fahrzeuglenker die Konfliktstelle mit dem Radverkehr vorher passiert haben, wenn sie eine Lücke im Verkehr der Jahnallee abwarten.

Das heißt: Man nimmt auch die stadtauswärts fahrenden Radfahrer aus dem Sichtfeld der Kraftfahrer auf der Jahnallee. Noch arbeite man an der genauen Ausgestaltung der Stelle, sagt Thomas Schulze.

Merseburger Straße: Wenn man sich nicht auf Unfallschwerpunkte konzentriert, sondern ganze Straßenabschnitte als Unfalllinie betrachtet, rückt auch die Merseburger Straße ins Blickfeld, denn zwischen Queckstraße und Hauschildstraße kam es in der letzten Zeit vermehrt zu Unfällen vor allem mit Fußgängern, die hier die stark befahrene Merseburger Straße zu überqueren versuchten. Ursächlich dafür ist augenscheinlich der Lidl-Markt, zu dem es bislang keine direkte und sichere Fußgängerquerung gibt.

Das Problem will die Stadt mit dem barrierefreien Ausbau der Bushaltestelle der Linie 131 lösen, zu der zusätzlich noch eine gebaute Querungsinsel in der Straßenmitte geschaffen werden soll.

Lützner Straße: Ein brandgefährlicher Ort für Radfahrer ist auch die Einmündung der Endersstraße in die Lützner Straße. Wenn Radfahrer auf der Lützner Straße gerade im Berufsverkehr stadteinwärts fahren, prallen sie oft unverhofft an der Endersstraße auf Fahrzeuge, die zwischen dicht auffahrenden Autos in die Endersstraße einbiegen wollen. Auch hier hat die Stadt den Radstreifen schon rot eingefärbt. Aber schwarze Bremsspuren auf dem Rot zeigen eindeutig, so Thomas Schulze, dass es weiterhin sehr knappe Situationen gibt. Endgültige Lösung also nicht in Sicht.

Die Zahlen

Zum Zeitpunkt der ersten diesjährigen Sitzung der Kommission am 16. März waren insgesamt 69 Unfallhäufungsstellen in Bearbeitung. In 26 Fällen konnten bereits Maßnahmen umgesetzt werden. Die restlichen 43 Fälle erfordern häufig umfangreichere bauliche Veränderungen bzw. Ampelanpassungen, die einen längeren Vorlauf brauchen oder in geplante Vorhaben integriert werden sollen. 2018 widmet sich die Kommission insgesamt 66 Unfallhäufungsstellen.

Und ein Grundproblem, wie Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau bestätigt: Zur Entschärfung der Unfallstellen steht kaum Geld zur Verfügung. Deswegen dauert es oft Jahre, bis eine Lösung auch umgesetzt wird.

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