Die Freibeuter-Fraktion im Leipziger Stadtrat war ja forsch: Sie hat – vorm Hintergrund der Debatte um drohende Diesel-Fahrverbote – einfach mal beantragt, den Leipziger Luftreinhalteplan komplett durchzufinanzieren. Seit 2009 hat Leipzig so einen Luftreinhalteplan. Und wer die Bewertungen für die umgesetzten Maßnahmen durchliest, sieht, dass vieles aus Geldgründen schlicht nicht umgesetzt wurde.
Der jetzt vorgelegte Entwurf zum neuen Luftreinhalteplan versteckt das zwar hinter diversen Symbolen, die nicht wirklich verraten, wie viel von den 2009 beschlossenen Maßnahmen wirklich umgesetzt wurde. Aber wer sich mit den einzelnen Themen beschäftigt, weiß, dass viele wirklich wichtige Maßnahmen nun einmal auch viel Geld kosten.
Das schien 2009 nicht mal der Verwaltung wirklich klar zu sein. Man hat den Luftreinhalteplan zusammengezaubert, am Ende auch noch die Umweltzone hineingestopft.
Aber in jedem Folgejahr wurde sichtbar, dass die meisten Maßnahmen überhaupt nicht mit ausreichend Geld untersetzt waren. Das unterfinanzierte Straßenbaumprogramm ist das bekannteste Beispiel dafür. Und da ging es nur um 500.000 Euro im Jahr.
Nur. Auch wenn das in Leipzig nach viel Geld klingt. Aber auch in Leipzig haben sich alle Verantwortlichen in einem seit zwei Jahrzehnten schleichenden Prozess daran gewöhnt, dass Kommunen in Deutschland bewusst und systematisch unterfinanziert sind. Die ganzen hübschen Steuersenkungsprogramme für die Reichen und Besitzenden wurden mit einer Unterfinanzierung der Kommunen bezahlt.
Ergebnis: Sie haben fast überall alle notwendigen Zukunftsinvestitionen auf ein Mindestmaß eingedampft und einen Investitionsstau in Milliardenhöhe aufgebaut. Auch Leipzig.
„Die Vollfinanzierung des Luftreinhalteplans würde im Übrigen mindestens 500 Millionen Euro kosten, weil es nicht nur um ein paar städtische Autos geht, sondern um Stadtbahnausbau in Größenordnungen“, benennt Alexander John vom ADFC Leipzig die Größenordnung dessen, was in einen ernsthaft gemeinten Luftreinhalteplan gesteckt werden müsste.
„Es kostet der Neu-/Umbau 1 km Straßenbahninfrastruktur im Schnitt 10 Millionen Euro. Da man aber den gesamten Straßenquerschnitt bauen muss, ist man schnell bei 20-25 Mio. Euro/km und ein Hybridbus kostet ca. 650.000 Euro und nicht nur 350.000 Euro. Macht bei 100 Bussen schon mal 30 Mio. Euro Mehrkosten aus. Die LVB haben aber sogar 150 Busse, die keine Hybridbusse sind. Zudem steht da auch noch die Modernisierung der Straßenbahnflotte mit drin. Auch wenn die LVB nun 41, demnächst 61 XL-Bahnen bestellt haben, reicht das nicht, um die Tatra endgültig aus dem Verkehr zu ziehen. Es bedarf zusätzlich noch 45m-Bahnen für die Linien 1 und 3 (spätestens ab 2020), die LVB gehen allerdings davon aus, dass sie diese erst ab 2024 bestellen werden – eine Verstärkerlinie für die 3 ist vorerst auch nicht geplant, weil man dafür auch Rollmaterial bräuchte, das man nicht hat. Damit hat man aber am Ende auch ein anderes Problem: Man schafft den im Luftreinhalteplan angestrebten Modal Split für den ÖPNV nicht, das gehört aber zur Ausfinanzierung mit dazu.“
Alexander John kennt die ganzen Zahlen, weil sich der ADFC seit Jahren ernsthaft mit allen Mobilitätsplänen der Stadt beschäftigt. Nicht nur mit der Radfahrersicht. Denn wenn man sich als Radfahrer ernsthaft mit Stadtverkehr beschäftigt, dann berücksichtigt man immer auch, wie gut es um alle anderen Verkehrsarten bestellt ist. Dann weiß man, was ein flüssiger Verkehr ist und welche Rolle dabei ein gut ausfinanzierter ÖPNV spielt.
Leipzig hat keinen gut ausfinanzierten ÖPNV.
Und da ist es schon erhellend, wenn in der Auswertung des Luftreinhalteplans von 2009 bei „Fortführung des Straßenbahnausbauprogramms“ als Bewertung nur ein „teilweise“ steht: Man hat nur einen Teil des Ausbaus gestemmt, weil für einen wirklich zukunftsfähigen Ausbau das Geld nicht da war. Auch deshalb nicht da war, weil die „Förderung von ÖPNV“ (auch das ein Punkt aus dem Luftreinhalteplan) eher knauserig ausfiel. Auch wenn dort ein dickes „vollständig“ steht. Wer nur drei Viertel der beauftragten Leistung beim eigenen Nahverkehrsunternehmen wirklich fördert, der kann eigentlich nicht von „vollständig“ reden.
Dass der Misch-Masch-Punkt „Weitere Erhöhung der ÖPNV-Attraktivität durch verstärktes Marketing (…), Optimierung des S-Bahn-Netzes nach Eröffnung des City-Tunnels“ mit einem „überwiegend umgesetzt“ bewertet wird, ist schlichtweg peinlich und stimmt nicht. Sonst müsste im Jahr 2018 nicht über ein Dutzend fehlender S-Bahn-Haltepunkte in Leipzig diskutiert werden. Auch das ein Geldthema: Die ganzen neun Jahre waren die finanziellen Spielräume nicht da, die fehlenden Stationen in die Planung aufzunehmen. Zwei sind jetzt endlich in der Umsetzung der Bahn (Essener Straße und Taucha), aber das ist nach fast fünf Jahren City-Tunnel eigentlich erschreckend wenig.
Es hat aber damit zu tun, dass niemand den Mumm hatte, die notwendigen Gelder für den wirklich zukunftsfähigen ÖPNV auch zu beziffern und einzufordern.
Die 500 Millionen Euro sind auch nur die Unterkante des Benötigten. Die sechs Mobilitätsszenarien, die im Oktober vorgelegt wurden, beziffern die eigentlich nötigen Investitionen in den ÖPNV bis 2030 in der Größenordnung von 900 Millionen Euro.
Was im Klartext eben auch heißt: Im Bereich des ÖPNV hat Leipzig neun Jahre eigentlich verschenkt, schon einmal die Basis dafür zu legen, dass mehr Leipziger vom (Diesel-)Auto auf S-Bahn, Straßenbahn und (irgendwann Elektro-)Bus umsteigen. Man hat vor allem auf Bestanderhalt gesetzt – und trotzdem nicht verhindern können, dass sich die Langsamfahrstellen und Verspätungen im Straßenbahnnetz massiv vermehrt haben.
Erst seit 2016 stecken die LVB vermehrt Geld in die Beseitigung der Langsamfahrstrecken. Und seitdem rollt auch erst wieder das Anschaffungsprogramm für 41 neue Straßenbahnen. So lange steckte Leipzigs ÖPNV für die Fahrgäste im Stock-und-Schleich-Modus. Und wirklich vorbei ist die Zeit nicht, weil die Engpässe im Netz die Bahnen immer noch ausbremsen.
Und das hat alles mit der Investitionskraft der Stadt zu tun, die nicht einmal reicht, den riesigen Investitionsstau bei Straßen und Brücken abzuarbeiten. Immer mehr Projekte, die man eigentlich vor 2020 umsetzen wollte, sind schon längst in die Zeit nach 2020 gerutscht. Darunter viele Brücken, die die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben. Und viele Projekte aus dem Radverkehr.
Und Straßen und Brücken betreffen eben fast immer auch Straßenbahn und Bus – die leiden dann genauso wie der Autoverkehr unter desolatem Straßenzustand, Sperrungen und Umleitungen.
Da all diese fatalen Folgen falscher Sparpolitik aber ganz unten, in den Kommunen auftauchen, kommt niemand auf die Idee, diese Zustände mit den Fehlentscheidungen auf Landes- und Bundesebene in Verbindung zu bringen. Beide Ebenen haben sich in den vergangenen 15 Jahren ihre „schwarzen Nullen“ und „Neuverschuldungsverbote“ auf Kosten der Kommunen zusammengespart.
Jetzt kann man gespannt sein, ob es OBM Burkhard Jung gelingt, den neuen Luftreinhalteplan tatsächlich mit den benötigten Millionensummen zu untersetzen. Da es zu einem großen Teil den ÖPNV betrifft, spielt das in den neuen Nahverkehrsplan genauso hinein wie in das bevorzugte Mobilitätsszenario.
Wo stecken die ÖPNV-Maßnahmen eigentlich im neuen Luftreinhalteplan?
Dazu kommen wir gleich an dieser Stelle.
Warum so eilig oder Wie wird man wieder Herr seiner Zeit? – Die neue LZ Nr. 52 ist da
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