Seit 2010 gelten die Grenzwerte für Stickoxid in Europas Städten. Acht Jahre lang hatten zwei Bundesregierungen Zeit, das Problem zu lösen und die Dieselautobauer in die Pflicht zu nehmen. Seit fast drei Jahren gärt der Dieselskandal. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar war genau so zu erwarten. Danach sind - beschränkte - Diesel-Fahrverbote in deutschen Städten grundsätzlich zulässig.
Selbst der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Frank Heidan, begrüßt das Urteil: „Mit dem heutigen Urteil haben wir jetzt Rechtssicherheit. Allerdings sehe ich nicht, dass in sächsischen Städten jetzt Diesel-Fahrverbote drohen. Hier teile ich die Einschätzung unseres Umweltministeriums. Die Luft in unseren Städten ist bereits deutlich sauberer geworden und wird sich durch technologischen Fortschritt weiter verbessern. Die Reduzierung der Stickstoffdioxidbelastung steht für mich aber weiterhin auf der Agenda. Hier sind vor allem auch Autoindustrie und Bundespolitik gefordert, den Bürgern zügig Lösungen zur EURO 5-Nachrüstung ihrer Dieselfahrzeuge anzubieten.“
Und er betont, dass die Autobauer eigentlich keine Ausrede mehr haben, die betroffenen Dieselfahrzeuge technisch nachzurüsten.
In der vergangenen Woche veröffentlichte der ADAC neue Testergebnisse. Danach kann der Stickstoffdioxid-Ausstoß auch bei EURO 5-Diesel-KfZ durch den Einbau von herstellerunabhängigen Nachrüstmodulen halbiert werden. Flächendeckend ist nachweislich eine 25-prozentige Reduzierung zu erreichen.
Mit Blick darauf betont der CDU-Wirtschaftspolitiker: „Diese ADAC-Testergebnisse zeigen einen möglichen Weg auf. Wir müssen nicht nur neue Autos fördern, sondern die Politik muss den Druck auf die Autoindustrie weiter erhöhen. Beide müssen sich ihrer Verantwortung stellen, der Dieselfahrer darf am Ende nicht auf den Umrüstkosten sitzen bleiben.“
Marco Böhme. Foto: Sebastian BeyerDer ÖPNV hätte längst ausgebaut werden können
Und etwas ganz Naheliegendes sagt zum selben Thema Marco Böhme, der Sprecher für Mobilität der Linksfraktion.
„In keiner deutschen Großstadt wäre ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge notwendig, wenn endlich in einen besseren ÖPNV, Rad- und Fußverkehrsanlagen investiert werden würde. Seit Jahren steigen die Ticketpreise im ÖPNV, die Unfallzahlen bei Radfahrern gehen nicht zurück und eine Verringerung des motorisierten Individualverkehrs wurde nicht erreicht“, erklärt der Landtagsabgeordnete.
„Auch die Landesregierung versagt dabei, ein kostengünstiges und attraktives Angebot für die Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel zu schaffen. Es wäre eine Schande, wenn am Ende zehntausende Menschen darunter leiden müssten, weil ihre Fahrzeuge aus den Ballungszentren ausgesperrt werden. Mittels Fahrverboten würden die oft einkommensschwachen Besitzerinnen älterer Dieselfahrzeuge pauschal ‘bestraft’, zumal das Risiko einer starken Luftbelastung gerade in ärmeren Vierteln größer ist. Auch Gewerbetreibende bekämen große Schwierigkeiten. Nicht zuletzt deshalb müssen die Hersteller verpflichtet werden, nötige Umrüstungen von Soft- und Hardware zu finanzieren.“
Für Gewerbetreibende freilich muss es – so das Bundesverwaltungsgericht – Ausnahmeregelungen geben im Sinne der Verhältnismäßigkeit. Dasselbe gilt übrigens auch für Anwohner. Aber es liegt auf der Hand: Bund und Länder hätten längst mehr Geld in den ÖPNV investieren können. In allerhöchster Not wurde das Stichwort „kostenloser ÖPNV“ in die Runde geworfen.
„Besser und sozial gerechter als neue Umweltzonen wäre ein massiver Ausbau des ÖPNV. Kurzfristig sollte es ein Moratorium für Ticketpreiserhöhungen in allen Kommunen und mittelfristig eine Fahrpreissenkung geben“, zählt Böhme auf.
„Nötig sind gute Park&Ride-Systeme, mehr Tempo-30-Zonen sowie Kaufanreize für Elektrofahrzeuge, die den Betreibern von öffentlichen Verkehrsmitteln, Car-Sharing-Anbietern, Taxiunternehmen, Handwerksbetrieben und Logistikunternehmen zugutekommen. Langfristig muss das öffentliche Gut ÖPNV solidarisch von allen Einwohnern finanziert werden, sodass alle Nutzer kostengünstig und fahrscheinfrei mit dem ÖPNV fahren können. Das werden wir weiter einfordern, ebenso wie den Ausbau von Radverkehrsanlagen. Die Kommunen müssen bei deren Planung durch zusätzliche Personalstellen unterstützt werden. An jeder Hauptverkehrsstraße muss ein sicherer und ausreichend breiter Radweg vorhanden sein!“
Stephan Kühn (MdB, B90/ Die Grünen). Foto: Stephan KühnJetzt droht ein Flickenteppich
„Das Bundesverwaltungsgericht hat heute für das Recht auf saubere Luft und damit pro Gesundheitsschutz für die Bürgerinnen und Bürger geurteilt. Verantwortlich für die künftigen Fahrverbote sind die Autohersteller, die Diesel-Pkw mit überhöhten Abgaswerten produziert haben, und eine Bundesregierung, die die Grenzwerte für Luftschadstoffe seit Jahren ignoriert”, erklärt Stephan Kühn, sächsischer Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Verkehrspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion.
„Bei der Umsetzung der Fahrverbote droht ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher, sodass die Bundesregierung jetzt mit einer blauen Plakette bundesweit einheitliche Vorgaben schaffen muss. Um das Problem schlechter Luftqualität an der Wurzel zu packen, ist die Bundesregierung nun aufgefordert, die Autohersteller zu wirksamen Hardware-Umrüstungen auf Kosten der Industrie zu verpflichten. Die Hardware-Umrüstungen können damit auch die vom Gericht angesprochenen möglichen Wertverluste für die Fahrzeughalter vermeiden. Die Bundesregierung muss jetzt endlich die Verkehrswende einleiten. Ein einmaliges Sofortprogramm für Kommunen ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Notwendig sind jährlich zusätzliche Milliarden vom Bund für den Ausbau des Nahverkehrs und des Fuß- und Radverkehrs für die Kommunen.“
Das ist der Preis für das Nichthandeln der Bundesregierung
„Das Gericht in Leipzig hat deutlich gemacht, die Bundesregierung hat über Jahre nicht gehandelt“, stellt Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, dazu fest. „Die Gewinnerinnen und Gewinner am heutigen Tag, das sind diejenigen, die unter dreckiger Luft leiden. Das Gericht setzt Vorrang für saubere Luft in unseren Innenstädten. Das ist ein großer Erfolg. Jetzt muss die Bundesregierung endlich handeln. Fahrverbote wollen wir nicht, aber sie werden ja offensichtlich unausweichlich sein. Wir brauchen dringend eine verbindliche Nachrüstung für die Pkw. Diese Nachrüstungen müssen die Autohersteller bezahlen – niemand sonst. Die Bundesregierung muss jetzt dafür sorgen, dass es keinen Flickenteppich gibt in Deutschland.
Mobilität geht nun wirklich über kommunale, über Ländergrenzen hinaus, und deswegen muss klar sein, es muss eine einheitliche Regelung her. Und wir brauchen eine blaue Plakette. Also der Aufgabenzettel für die Bundesregierung ist lang. Es ist ein guter Tag für diejenigen, die auf saubere Luft in unseren Städten angewiesen sind. Im Übrigen hat das Gericht auch deutlich gemacht: Es gibt Ausnahmeregelungen beispielsweise für Handwerkerinnen und Handwerker. Das ist so selbstverständlich wie notwendig, aber es führt natürlich auch zu Rechtssicherheit und es führt auch dazu, dass die Menschen jetzt wissen, woran sie sich halten können.“
Generelle Fahrverbote sind nicht zielführend
„Das heutige Urteil des Bundesverwaltungsgericht ist kein Blankocheck für Fahrverbote. Es macht vielmehr deutlich, dass die Verantwortung für saubere Luft bei den Kommunen liegt. Es liegt in ihrer Hand, aus einer Vielzahl möglicher Maßnahmen zur Luftreinhaltung jene auszuwählen, die für die Situation vor Ort am besten passen. Dazu können der Ersatz veralteter Fahrzeugflotten im ÖPNV, attraktivere ÖPNV-Angebote oder Maßnahmen für einen flüssigeren Autoverkehr beitragen”, kommentiert der sächsische FDP-Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst das Urteil.
“Da generelle Fahrverbote weder zielführend, noch praktisch einfach kontrollierbar sind, müssen vorher stets alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft werden. Zudem sollten die ohnehin bereits überlasteten Polizisten nicht noch zusätzlich Fahrverbote kontrollieren müssen. – Erfreulich ist, dass sächsische Autofahrer derzeit keine Fahrverbote befürchten müssen. In Chemnitz, Dresden und Leipzig wurden 2017 die Grenzwerte für Stickoxide vollständig eingehalten. Dies zeigt ganz deutlich, dass die Maßnahmen zur Luftreinhaltung funktionieren.“
Und was wird jetzt in Leipzig passieren?
Die Leipziger Linksfraktion sieht im Urteil die Bestätigung für die Dringlichkeit weiterer Anstrengungen, um Maßnahmen des Luftreinhalteplanes umzusetzen und den öffentlichen Personennahverkehr in Leipzig auszubauen und attraktiv zu gestalten.
„Für uns hat eine saubere, gesunde Umwelt Priorität. Leipzig hat mit den beschlossenen Umweltqualitätszielen, dem Luftreinhalteplan, dem Lärmaktionsplan unter anderem gute Voraussetzungen geschaffen. Leider hängt es jedoch immer wieder an der Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel und der dezernatsübergreifenden konsequenten Umsetzung der Maßnahmen in ihrer Gesamtheit“, geht Franziska Riekewald, verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion, auf die Leipziger Situation ein.
„Die Linke im Stadtrat zu Leipzig wird nach diesem Urteil nun noch hartnäckiger auf die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen drängen. – Ebenso müssen Streckenkürzungen, turnusmäßige Fahrpreiserhöhungen oder die Nutzung einer veralteten Fahrzeugflotte im öffentlichen Nahverkehr endlich beendet werden. Wir hoffen sehr, dass das heutige Urteil auch für den neuen Nahverkehrsplan noch ein Achtungszeichen setzt. Die Stadt darf an diesen Stellen nicht länger sparen, ein Diesel-Fahrverbot kommt für alle teurer.“
Und auch die Grünen-Fraktion begrüßt das Urteil.
„Wir begrüßen, dass das Recht auf Gesundheit aller Menschen höher gewertet wird als das Recht ein Diesel-Auto zu fahren. Das Urteil verdeutlicht die Notwendigkeit bei der Luftreinhaltung ernst zu machen und den Umweltqualitätszielen Priorität einzuräumen. Hierauf werden wir bei der Diskussion über die Mobilitätsszenarien achten und fordern den Oberbürgermeister und die beteiligten Dezernate auf, endlich die längst überfällige Fortschreibung des Luftreinhalteplans vorzulegen“, sagt Daniel von der Heide, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion.
„Auch das Beispiel der seit über einem Jahr im Verfahren befindlichen Petition zur Lärm- und Schadstoffbelastung in der Karl-Tauchnitz-Straße zeigt, dass der Oberbürgermeister keine Entscheidung im Sinne der Anwohnerinnen und Anwohner zulässt. Wir erwarten, dass insbesondere die Probleme der Luftreinhaltung, die dort und anderswo zweifelsohne bestehen, endlich auch von der Stadtspitze ernst genommen werden und der Luftreinhalteplan mutige und wirksame Strategien für mehr Gesundheitsschutz liefert. Die bisherigen Stellungnahmen des Umweltdezernates zum Thema zeigen stattdessen, dass die Verwaltung die Probleme negiert und herunterspielt. So bleibt zu befürchten, dass man nur mit juristischer Auseinandersetzung sein Recht auf Gesundheit, saubere Luft und Ruhe durchsetzen kann.“
René Hobusch (FDP) stellt fest: „Eine Gerichtsschelte oder ein Rumhacken auf den Klägern bringt jetzt nichts. Das Klagerecht ist zentral in unserem Rechtsstaat. Daran dürfen wir nicht rütteln – auch wenn manchem das Ergebnis nicht gefällt.” Vielmehr setzt der Liberale weiter auf die Innovationsfähigkeit der Automobilindustrie und appelliert an die Verantwortung der deutschen Autobauer: „Es war für den Tüfftler Rudolf Diesel sicherlich komplizierter, den nach ihm benannten Motor zu entwickeln, als für Ingenieure im 21. Jahrhundert, den Diesel jetzt umweltfreundlich weiterzuentwickeln.“
Weiter forderte Hobusch: „Keine erneuten Abwrackprämien für Altdiesel! Die Autoindustrie war gewarnt. Sie muss jetzt Lösungen finden und zwar ohne Steuermilliarden. Die bekommt sie über Steuereinsparungen bei sinkenden Gewinnen ohnehin hintenrum zurück.“
Mit Blick auf die Situation in Leipzig müssten nun alle Maßnahmen aus dem Luftreinhalteplan umgsetzt werden, bevor es zu Einfahrverboten für Dieselfahrzeuge käme. Für weniger einschneidende Maßnahmen aus dem Luftreinhalteplan, wie die Umsetzung von Baumpflanzungen, müsse notfalls mehr Geld im Doppelhaushalt 2019/2020 eingeplant werden, um Fahrverbote abzuwenden.
„Einfahrverbote für Dieselfahrzeuge haben wirtschaftliche Folgen insbesondere für Arbeitnehmer, Pendler und Unternehmer. Umso wichtiger ist es, im Rahmen der aktuellen verkehrspolitischen Debatte in unserer wachsenden Stadt Leipzig einen attraktiven und leistungsfähigen ÖPNV weiterzuentwickeln“, so der Freidemokrat Hobusch.
BVerwG: Du kommst hier nicht rein
Mit dieser Entscheidung ist der Weg nun frei für Fahrverbote in deutschen Kommunen, auch ohne ein entsprechendes Bundesgesetz. Diesem Urteil ging ein langer Prozess voraus, der schließlich vor dem höchsten deutschen Gericht endete, mit Erfolg. Eine erneute Vorlage vor dem EuGH ist nicht möglich. Dazu Cornelia Ernst, stellvertretendes Mitglied im abgeschlossenen EP-Sonderuntersuchungsausschuss zum Emissionsskandal (EMIS) und energiepolitische Sprecherin der Delegation Die Linke im Europaparlament: „Endlich haben wir es nun von den Richterinnen und Richtern des Bundesverwaltungsgerichts amtlich bestätigt: Die erlassenen Fahrverbote zur Linderung der Luftverschmutzung waren, sind und bleiben rechtens. Ich begrüße dieses Urteil ausdrücklich, und stehe hinter den Fahrverboten: Drecksschleudern raus aus den Städten!“
„Nach einer Übergangsfrist und frühestens ab September 2018 können Kommunen nun Fahrverbote auch ohne ein entsprechendes Bundesgesetz erlassen. Wieder einmal hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erfolgreich die Unzulänglichkeit der Politik ausgeglichen und durchgesetzt, was führende Politiker*innen nicht vermochten. Dafür gebührt der DUH großer und aufrichtiger Dank, denn ohne sie wäre es nie zu diesem famosen Sieg für den Gesundheits-, Umwelt- und Naturschutz gekommen.“
„Für Die Linke ist es ein Achtungserfolg, der bedeutet, dass unsere Position einen Weg markiert, der richtig und wichtig für unsere Zukunft ist. Es kann nicht weiter hingenommen werden, dass jährlich hunderte bis tausende Menschen durch die Folgen der Abgasbelastung sterbenskrank werden, und das nur weil die aggressiv unbewegliche deutsche Autoindustrie die Luft immer weiter verschmutzt, ja sogar verpestet und damit unser aller Recht auf Leben beschränkt.“
„Trotz der Euphorie und Notwendigkeit gilt es nun seitens der Politik sicherzustellen, dass betroffene Verbraucher*innen eine faire Möglichkeit bekommen, für ihren Diesel, mit dem sie bald nicht mehr in Städte wie Stuttgart oder München fahren dürfen, von den Herstellern einen adäquaten Ersatz zur Verfügung gestellt bekommen. So muss die Möglichkeit bestehen, das alte gegen ein neues, weniger schmutziges Fahrzeug tauschen zu können. Richtig ist auch, dass es Ausnahmeregelungen für beispielsweise kleine Handwerksbetriebe geben soll. So wird vermieden, dass Existenzen von heute auf morgen zerstört werden, weil die Neuanschaffung von Fahrzeugen für solche Unternehmen häufig nicht zu stemmen ist. Auch hier muss die Politik tätig werden und den Betroffenen Hilfe zubilligen.“
„Jetzt gilt es, für eine baldige Umsetzung des Urteils zu streiten. Wir als Linke werden dies immer unter dem Aspekt der Wahrung von Interessen der Umwelt und Natur sowie der sozialen Verträglichkeit tun, sei es in den Parlamenten oder vor den Gerichten, wie bei der Demonstration in der vergangenen Woche vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.“
Bundesverwaltungsgericht gibt Grünes Licht für beschränkte Fahrverbote in deutschen Großstädten
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