In den ersten beiden Beiträgen dieser Serie habe ich dargelegt, welche Fahrgastzahlen für den Citytunnel und das Mitteldeutsche S-Bahnnetz erwartet wurden und wo man gerade steht. Im Dritten Teil geht es darum, die Potentiale zu nutzen. Als am 22. Juni 2017 der Entwurf zur 3. Fortschreibung des Nahverkehrsplans zur Öffentlichkeitsbeteiligung herauskam, verblieb noch 1 (in Worten: ein) Arbeitstag vor den Sommerferien, um rechtzeitig zum 31. Juli 2017 eine Stellungnahme zum 173-seitigen Werk abzugeben.
Der Blick ins Abwägungsprotokoll zeigt dann auch ganz deutlich, dass von den überwiegend ehrenamtlich agierenden Organisationen wie ProBahn, VCD, BUND und ADFC nichts eingereicht wurde. Stellung genommen haben ausschließlich Organisationen, die hauptamtlich mit Nahverkehr zu tun haben bzw. die Städte und Landkreise. Die Sicht der Nutzer*innen des ÖPNV ist in Folge nicht vertreten.
“Die bislang im Nahverkehrsplan beschriebenen Zielstellungen greifen allerdings die städtische Zielstellung nur unzureichend auf. Insbesondere bei der prognostizierten Fahrgastgewinnung bleibt der Nahverkehrsplan bei sehr konservativen Zielen. ln Anlage 17 wird eine Steigerung der SPNV-Nachfrage bis zum Jahre 2025 über alle Linien mit 4,9% prognostiziert, während gleichzeitig Tabelle B auf Seite 52 ein Bevölkerungswachstum bis 2025 von 12,2% im ZVNL-Gebiet und von 21,4% in der Stadt Leipzig beschreibt. Dies passt nicht zusammen und bedeutet sogar eine Verschlechterung des Modal Splits. Aus Sicht der Stadt Leipzig sollte die Prognose für den ZVNL überarbeitet werden und für das gesamte Verbandsgebiet eine Fahrgaststeigerung von mindestens 30% und im Stadtgebiet eine Fahrgaststeigerung von 50% angestrebt werden. Diese überarbeitete Prognose sollte auf der Analyse der heutigen Fahrgastzahlen beruhen und ihr sollte eine Schwachstellenanalyse zur Seite gestellt werden, aus der sichtbar wird, in welchen Relationen oder durch welche Maßnahmen die Fahrgäste gewonnen werden können.”
Dieses Zitat stammt aus der Stellungnahme der Stadt Leipzig zur 3. Fortschreibung des Nahverkehrsplans des ZVNL. Im zweiten Teil dieser kleinen Serie hatte ich bereits aufgezeigt, dass man mit dem Citytunnel und der Schaffung eines Mitteldeutschen S-Bahnnetzes Großes bewirken wollte, aber noch weit hinter den Erwartungen zurückbleibt. Das ist insofern erstaunlich, da man bspw. mit dem Nord-Süd-Fernbahntunnel (Tiergartentunnel) in Berlin die Fahrgastzahlen im SPNV erheblich mehr gesteigert hat, als prognostiziert wurde und auch da waren Kritiker*innen davon ausgegangen, dass man diesen enormen Zuwachs niemals schaffen würde. Was läuft in Leipzig also falsch?
Hangeln wir uns an der Stellungnahme der Stadt Leipzig lang.
“Im Weiteren sollte der Nahverkehrsplan mit all seinen Maßnahmen darauf ausgerichtet werden diese Zielstellung auch erreichen zu können. Dies betrifft neben den harten Fakten des Fahrtenangebotes und den angebotenen Platzkapazitäten auch die richtigerweise im Nahverkehrsplan beschriebenen vielen weichen Maßnahmen. Im Detail sieht die Stadt Leipzig vor allem in der besseren Verknüpfung der Verkehrsträger, der Errichtung zusätzlicher S-Bahn-Stationen, der besseren Ausstattung und Vermarktung der Stationen sowie in der Verbesserung der Fahrgastinfomation die größten Potenziale zur Erreichung dieser Ziele.”
Hier werden zwei ganz wichtige Punkte angesprochen. Obwohl man die S-Bahn vor allem als einen Verkehrsträger für die Leipziger*innen und zur Vernetzung mit dem direkten Umland geschaffen hat, fehlt es in Leipzig nach wie vor an Stationen. Pauschal müsste man sich zum Ziel setzen, in Leipzig bis zum Jahr 2025 mindestens 10 weitere S-Bahnstationen in Betrieb zu nehmen.
“Insgesamt zeigt sich, dass erheblicher Untersuchungsbedarf für neue S- Bahn-Stationen besteht. Auch wenn eine erste Untersuchung dazu bereits beauftragt wurde, sollte die Zielstellung im Nahverkehrsplan nochmals festgehalten werden. Gleichzeitig kann mit einer solchen Untersuchung auch geklärt werden, ob für die bislang im Nahverkehrsplan, Regionalplan Westsachsen oder im Stadtentwicklungsplan Verkehr und öffentlicher Raum enthaltenen Optionen für zukünftige S~Bahn-Stationen in Althen, Paunsdorf (Richtung Anger-Crottendorf) oder Marienbrunn weiter verfolgt werden sollten.”
Des Weiteren fehlt es an Beförderungskapazitäten. Bereits jetzt kommt es im Berufsverkehr teils zu Überfüllungen auf einzelnen Linien, obwohl man von der Zielprognose noch meilenweit entfernt ist. Wie kann das eigentlich sein? Hat man bei der Bestellung damals nur nach dem Geld geschaut und nicht nach den Prognosezahlen?
“Neben weiteren Angebotsverbesserungen durch Taktverdichtungen und ausreichende Fahrzeugkapazitäten ist vor allem die bessere Vernetzung mit dem Liniennetz der LVB ein wesentlicher Schlüssel für die Steigerung der innerstädtischen Nachfrage. Die Verknüpfung ist an vielen Stellen noch unzureichend.”
An den unzureichenden/mangelhaften Verknüpfungen könnte auch die Stadt Leipzig selbst aktiver werden. Nicht nur als Eigentümerin der LVB, sondern auch als Bauherrin. So fehlt bspw. noch immer der städtische Teil der Brücke zwischen S-Bahnhof Connewitz und der Straßenbahnhaltestelle Klemmstraße. Zwischen Leipzig Süd (offiziell Leipzig MDR) und den umliegenden Stadtvierteln verkehrt nur eine Buslinie im 10er Takt, obwohl an der S-Bahnstation im 5er Takt/Richtung S-Bahnen verkehren. Das ist nicht sonderlich attraktiv zum Umsteigen.
Kapazitäten schaffen
Da wir als ADFC selbst keine Stellungnahme abgegeben haben, freuen wir uns besonders über diese Aussage der Stadt Leipzig:
“Grundsätzlich müssen sich die Mitnahmekapazitäten am Bedarf orientieren. Dies gilt insbesondere für die Zusammenstellung bzw. Bestückung entsprechender Zuggarnituren. lm Nahverkehrsplan sollte ein klares Bekenntnis zur Fahrradmitnahme erfolgen.”
Wer nun erwartet hat, dass im ZVNL-Gebiet wenigstens die Klappsitze ausgebaut werden bzw. bei zukünftigen Bestellungen diese untersagt, unterliegt einer Täuschung. Ein echtes Fahrradabteil wird es auf absehbare Zeit nicht geben – das ist hier eben Sachsen und nicht Berlin/Brandenburg.
In der Beschlussfassung des Nahverkehrsplans liest sich das auf Seite 62 dann so: “Die im SPNV im Gebiet des MDV kostenfreie Fahrradmitnahme trägt zur Verschärfung des Problems bei.”
Gelöst werden soll das Problem mit Fahrradstationen, Erweiterungen der Bike&Ride-Anlagen sowie dem Aufbau eines verbandsweiten Fahrradverleihsystems. “Verbandsweit” meint hier übrigens den ZVNL, der aus der Stadt Leipzig und den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen besteht.
Die Stadt Leipzig weist in ihrer Stellungnahme auch zurecht darauf hin, dass bei der Erweiterung des Bike+Ride-Angebotes zu beachten ist, dass
“…. insbesondere die einsteigerstärksten Zugangsstellen erheblichen Nachrüstbedarf aufweisen. Dies betrifft z. B. den Leipziger Hauptbahnhof, den Wilhelm-Leuschner-Platz, den Bayerischen Bahnhof und den Haltepunkt „Leipzig MDR“. Neben der Anzahl der Abstellanlagen ist auch deren Qualität (teilweise nicht überdacht, keine Fahrradboxen, keine beschränkt zugängigen Bereiche) zu erhöhen. Auch wenn dies in erster Linie eine Aufgabe der Kommune ist, sollte die Zielstellung im Nahverkehrsplan des ZVNL verankert werden.”
Wie bekommt man den Spaßverkehr in den ÖPNV?
“Insgesamt ist festzuhalten, dass der Nahverkehrsplan keine Aussagen zu den relevanten Freizeitzielen in der Region (mögliche Neukundengewinne) macht. Es erscheint der Eindruck, dass der Freizeitverkehr noch keine relevante Größenordnung im Gegensatz zu anderen Regionen Deutschlands erreicht hat.”
Wenn man bedenkt, dass a) mindestens ein Drittel aller Wege in der Freizeit zurückgelegt werden, also in die Rubrik “Spaßververkehr” gehören und b) in erster Linie in der Nebenverkehrszeit erfolgen, so erstaunt es, dass man diese Zielgruppe bisher gar nicht im Fokus hatte, denn gerade in der Nebenverkehrszeit gibt es noch viele freie Kapazitäten im Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Aber nicht nur den Spaßverkehr hat man zu wenig im Blick, auch beim Pflichtverkehr (Berufspendler*innen) ist man offensichtlich nicht so hinterher:
“In der Prognose der zukünftigen Fahrgäste wird anscheinend aber nur die Bevölkerung hochgerechnet. Da der Bildungs-/Qualifizierungs- und Berufs-Pendlerverkehr ca. 40% des Verkehres ausmacht, wäre es hilfreich, diesen in den Prognosen zu beachten.”
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