Es war eigentlich so eine Art Tralala-Artikel, den die LVZ am 7. Dezember veröffentlichte: „Große Koalition für Jung-Vorstoß. CDU, SPD, Freibeuter und AfD sind für neue ‚Stabsstelle Verkehrsplanung‘“. Immer weiter entfernt sich die Diskussion vom eigentlichen Kern des Problems, den die Wirtschaftsinitiative „Mobilität Leipzig 700 plus“ im August mit ihrem Aktionsplan benannte. Es geht nicht um Kuhhandel. Auch wenn das die CDU im Stadtrat anders sieht.

Dort glaubt man tatsächlich, man könne über die Investitionen in Straße, ÖPNV, Radverkehr schachern so nach dem Motto: Gibst du mir einen Tunnel, geb’ ich dir ein Kilometer Gleis. Und wenn du auf drei Radwege verzichtest, verzichte ich auf eine Straße durch den Auwald.

LVZ-Leser haben wahrscheinlich wirklich langsam das Gefühl, als würde in Leipzig so Verkehrspolitik gemacht.

Tatsächlich reagierte die IHK, als sie ihre Verkehrsstudie in Auftrag gab, auch auf ein Signal aus der Stadtverwaltung. Das gab es im Frühjahr 2016, als das Amt für Statistik und Wahlen die neue Bevölkerungsprognose für Leipzig herausgab bis zum Jahr 2030. Deswegen steht auch die 700 im Namen der gemeinsamen Wirtschaftsinitiative.

Denn wenn Leipzigs Bevölkerung von derzeit 580.000 auf möglicherweise 720.000 oder gar 760.000 im Jahr 2030 ansteigt, dann hat das drastische Folgen auch im Verkehr.

Dann kommen zu den 45.000 zusätzlichen Pkw, die in den letzten Jahren das Parken in Leipzig schon zum Lotteriespiel gemacht haben, weitere zehntausende Pkw. Das kann jeder mit dem Taschenrechner ausrechnen. Wenn sich am gegenwärtigen Zustand nichts ändert, dann steigt das Aufkommen an Pkw-Verkehr in Leipzig um weitere 39 Prozent. Dann ist Leipzig hackezu und hackedicht. Genau so steht es in der Studie, die dann zur Grundlage für den Aktionsplan der Wirtschaftskammern wurde.

Der Name ist ein bisschen irreführend, denn ein richtiger Plan mit benannten Baumaßnahmen und Investitionsgrößen ist es ja noch nicht. Eher so eine Art Forderungskatalog, der vieles von dem komprimiert, was auch die renommierten Autoren der Studie beschrieben und in Überlegung gebracht haben.

Im Grunde kamen sie zum selben Ergebnis wie die Stadtplaner: Wenn es der Stadt Leipzig nicht gelingt, den Umweltverbund tatsächlich von gegenwärtig 60 Prozent Anteil auf 70 Prozent zu steigern, dann steckt diese Stadt nicht erst 2030 im Dauerstau, sondern schon viele Jahre vorher. Der Handlungsdruck ist enorm.

Und auch das haben die Studienautoren benannt: Der Stadtentwicklungsplan STEP Verkehr benennt noch nicht wirklich die Wege, wie Leipzig das erreichen will.

Was übrigens ein Grund dafür war, dass OBM Burkhard Jung die ersten Mobilitätsszenarien aus dem VTA 2016 kassierte. Sie hätten schlichtweg eine Stadt beschrieben, die es so bald nicht mehr gibt. Sie wären für Leipzigs Bevölkerungswachstum zu klein gewesen. Deswegen stecken jetzt auch drei mutigere Szenarien in den sechs Mobilitätsszenarien, die Burkhard Jung im Oktober gemeinsam mit Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau und VTA-Chef Michael Jana vorstellte. Mutiger deshalb, weil sie aufzeigen, wie Leipzig diese 10 Prozent tatsächlich schaffen kann, wenn es wirklich einmal ambitioniert in Straßenbahn und Radwege investiert. Die 1 Milliarde Euro, die Burkhard Jung dafür nannte, ist dafür der absehbare Finanzrahmen.

Der übrigens überhaupt nicht exorbitant ist.

Es sieht nur so aus, weil Leipzig es gerade erst einmal geschafft hat, aus einer 15 Jahre anhaltenden Investitionsflaute herauszukommen.

Alles hängt mit allem zusammen: bei Kitas und Schulen haben es alle schon gemerkt, wo eine wachsende Stadt hingerät, wenn die eigenen Finanzen und die mäkligen Fördergelder des Landes hinten und vorne nicht reichen,  um all das zu bauen, von dem alle wissen, dass es gebraucht wird.

Zu dem seit den 1990er Jahren nie wirklich abgebauten Investitionsstau von 1,5 Milliarden Euro kamen mit dem Wachstum der Stadt und vor allem dem Zuwachs bei den Kindern weitere Investitionsberge.

Allein im Schulbau summieren sie sich bis 2030 auf über 1 Milliarde Euro.

Und dieselbe Größenordnung braucht es auch im Nahverkehr – was die Stadtholding LVV längst genau so auf dem Plan hat.

Es kann also gar keinen Kuhhandel geben, wie die CDU suggeriert. Wenn Leipzig diese Milliarde nicht investiert und 2018 (oder 2019) keinen wirklich ambitionierten Nahverkehrsplan vorlegt, war es das. Dann rebellieren aber nicht zuerst die Autofahrer, sondern die Fahrgäste der LVB. Und zwar zu Recht. Denn schon seit drei Jahren haben sie nicht mehr das Gefühl, dass sie für ihr Geld eine adäquate Leistung bekommen. Der Frust in den Bahnen steigt. Sie fühlen sich wie Melkkühe für eine Leipziger Sparpolitik, die der Hamster nicht mehr versteht.

Die Emotionen brodeln in der ganzen Stadt. Möglich, dass man bei der CDU glaubt, jetzt noch kuhhandeln zu können.

Aber warum sind die Wirtschaftskammern so energisch?

Dazu kommen wir gleich an dieser Stelle.

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