Die Grunderkenntnisse von Stadtplanern und Wirtschaftskammern zum drohenden Verkehrskollaps spätestens 2030 in Leipzig sind ziemlich deckungsgleich. Das verblüfft zumindest all jene nicht, die die entsprechenden Papiere tatsächlich gelesen haben. Dass Leipzig da mächtig hinterherhinkt, war selbst im Stadtrat bekannt. Deswegen ist ja der Jubel über die neu zu besetzenden Stellen im Stadtplanungsamt so groß.
Denn ein Grund dafür, dass Leipzig keine Konzepte für die wachsende Stadt und ihre benötigten Verkehrsstrukturen hat, liegt eben auch darin, dass das nötige Planungspersonal über Jahre hin eingespart wurde.
Den Leipzigern ist überhaupt nicht bewusst, welche Folgeschäden die sächsische Austeritätspolitik, die das Land vor allem auf Kosten der Kommunen finanziell „entlastete“, angerichtet hat. Jetzt finde mal einer noch die benötigten Fachkräfte, um eine derart schnell wachsende Stadt zu planen. Das wird schwer genug. Mit den sechs Mobilitätsszenarien hat die Verwaltung zumindest schon mal versucht, so eine Art Rahmen zu setzen, quasi sechs mögliche Entwicklungen aufzuzeigen. Noch nicht mit konkreten Projekten untersetzt, aber mit der Grundaussage: Was passiert, wenn wir welche Mittel in welche Verkehrsbereiche lenken?
Die wichtigste Aussage war eigentlich: Wenn alles so weiterläuft wie bisher, wird es eine Katastrophe.
Auch für den Wirtschaftsverkehr.
Ein Grund dafür ist eine Grundfeststellung aus der IHK-Studie: Leipzig ist eine Stadt mit einem konsolidierten Straßennetz. Es ist praktisch unmöglich, abseits dieses Netzes neue Straßen, Brücken, Tunnel durchzusetzen – entweder weil dabei ganze Wohngebiete in Mitleidenschaft gezogen werden und die Bewohner wohl zu Recht auf die Barrikaden gehen, oder weil schlicht Naturschutz- und Lärmschutzgesetze dagegen stehen. Und vor allem Finanzierungsfragen.
Denn keine Straße, kein Tunnel wird heutzutage noch von Bund oder Land gefördert, wenn der Neubau nicht wirklich nachweisliche Verkehrsverbesserungen nach sich zieht.
Deswegen konzentriert sich auch die IHK-Studie darauf, dort Verbesserungen im Straßennetz vorzuschlagen, wo das auch wirtschaftlich Sinn macht.
Und da ist man beim Anlass, warum die IHK die Studie in Auftrag gab und an den Hauptausfallstraßen die Autofahrer danach befragen ließ, ob ihre Fahrt wirtschaftlichen oder auch beruflichen Zwecken dient. Das gehört auf den ersten Blick nicht zusammen. Auf den zweiten schon. Denn wenn die Stadt weiter so wächst, bedeutet das auch genauso wachsende Zahlen von Arbeitsplätzen – nicht nur im Nordraum der Stadt, sondern auch im Süden, garantiert auch in der Mitte. Heißt im Klartext: Auch die Zahl der Berufspendler wird sich massiv erhöhen. Um 30.000? Um 40.000?
Was Berufsverkehr heute schon heißt, wissen die meisten Leipziger: Stop-and-go auf dem Ring und den wichtigsten Ausfallstraßen. Aber auch vollgestopfte Straßenbahnen. Und das vor allem, weil der Hauptverkehr über ganz wenige Routen und vor allem immer wieder über den Innenstadtring läuft.
Berufsverkehr ist also aufs Engste mit Wirtschaftsentwicklung verbunden. Und wenn das ausgereizte System nicht ausgerechnet im Berufsverkehr zusammenbrechen soll, braucht es dafür schnelle und funktionierende Lösungen. Für alle drei Hauptverkehrsarten.
Ist dann der Komplettausbau des Mittleren Rings die Lösung?
Wahrscheinlich nicht. Das wird schon am Geld scheitern.
Tatsächlich ist es heute schon so, dass vor allem Entlastungsstrecken in Nord-Süd-Richtung fehlen. Deswegen schlagen die Studienautoren auch Lösungen vor allem im Mittleren Ring Südwest und im Osten vor. Damit die Berufspendler nicht immer über den Ring müssen oder das ähnlich enge Tangentenviereck. Aber selbst das sind Projekte für ein Jahrzehnt und entsprechend teuer.
Trotzdem hat sich die Verwaltung dem Anliegen der Kammern nicht verschlossen. Es gibt mittlerweile eine richtige Arbeitsgruppe von IHK, Handwerkskammer und Verkehrs- und Tiefbauamt, bestätigt Dr. Thomas Hofmann, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Leipzig. Die wird sich im Januar das nächste Mal treffen. Dann geht es um Projekte. Denn viele Probleme im Leipziger Verkehrsnetz sind hausgemacht. Der Verkehr staut sich nicht im ganzen Straßennetz, sondern immer wieder an denselben Engstellen. Die sind bekannt. Für einige liegen längst Pläne in der Schublade – immer wieder verschoben und nicht umgesetzt, weil das Geld fehlte.
Man wird immer wieder auf den Haushalt der Stadt zurückkommen: Was kann Leipzig mit dem Geld, das tatsächlich zur Verfügung steht, tatsächlich auch umsetzen?
Und zwar gleichzeitig. So sieht es auch Thomas Hofmann. Denn dass derzeit gerade der Nordraum mit dem Leipziger ÖPNV sehr unattraktiv angebunden ist, weiß auch die Verwaltung. Dazu gibt es einen Extra-Passus im Integrierten Stadtentwicklungskonzept (INSEK). S-Bahn, Straßenbahnen, Busse – für alle braucht es kluge Pläne, wie sie den Nordraum besser erschließen und damit einen Großteil des motorisierten Berufsverkehrs überflüssig machen.
Problem gelöst?
Noch nicht. Denn das macht das innerstädtische Straßennetz noch nicht durchlässiger, wo es die meisten Konflikte gibt. Die gibt es auch – so sieht es Hofmann – weil Leipzig noch immer kein modernes und vor allgemeinintelligentes Verkehrsleitsystem hat, das dafür sorgt, dass der Verkehr fließt und es gar nicht erst zu Verstopfungen kommt. Ohne alternative Routen in den Norden und Süden der Stadt werde es nicht gehen. Vom Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) erwarte man jetzt eine Liste mit Vorschlägen, was in den nächsten Jahren angepackt werden kann.
Und die Radfahrer? Sollten die nicht auf Nebenrouten?
„Schön wäre das schon“, sagt Hofmann. Aber tatsächlich gibt es nach wie vor keine separaten Radschnellwege in Leipzig. „In Kopenhagen hat man vor 25 Jahren angefangen“”, sagt Hofmann. „Heute funktioniert das dort reibungslos.“
25 Jahre. Da ist die Frage: Hat Leipzig überhaupt schon angefangen? Denn existierende Radschnellrouten würden natürlich noch viel mehr Leipziger dazu animieren, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren.
Womit man wieder bei den sechs Mobilitätsszenarien der Stadt wäre, von denen drei natürlich genau das aufzeigen: Dass Leipzigs Straßen besonders entlastet werden, wenn es bessere ÖPNV- und Rad-Hauptrouten gäbe.
Die Bevölkerungsprognose vom Frühjahr 2016 hat alle Beteiligten aufgeschreckt. Und sie hat deutlich gemacht, wie schwer sich ein Tanker wie die Stadt Leipzig drehen lässt, der tatsächlich 20 Jahre rigide Sparpolitik hinter sich hat und all die Jahre viel zu wenig investiert hat. Auch in Verkehr. 30 Millionen Euro für Straßen und Brücken in so einer Stadt jedes Jahr sind ein Witz. 70 Millionen für den ÖPNV ebenso. Und 3 Millionen Euro für Radwege erst recht. Aber an diese Summen haben sich alle gewöhnt. Erst jetzt steigen sie so langsam wieder.
Was aber nicht die Bohne nützt. Denn jetzt steht das nächste Problem im Raum: Leipzig bekommt seine Bauaufträge nicht mehr fristgerecht an den Baustart. Förderpolitik und ausgereizter Baumarkt bremsen alles aus. Und auch die Sanierungsliste dehnt sich wie zäher Kaugummi.
Dazu gleich mehr an dieser Stelle.
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Wenn es denn mal 3 Mio. Euro/Jahr für Radwege gegeben hätte. In den letzten 10 Jahren gab es stets zwischen 0,9 und 1,8 MIo. Euro/Jahr, im Mittel ca. 1,2 Mio. Euro/Jahr.