Als OBM Burkhard Jung am 24. Oktober zusammen mit Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau und VTA-Leiter Michael Jana die sechs Mobilitätsszenarien für Leipzig 2030 vorstellte, ging beinah unter, dass Leipzig damit auch erstmals thematisierte, wie sehr Mobilität heutzutage schon eine Einkommensfrage ist. Und dass über die Ausgrenzung bei Mobilität auch rücksichtslos Politik für Besserverdienende gemacht wird. Und noch etwas passiert da.
Denn über die Art der Mobilität definiert sich auch unser Grad an Umweltzerstörung. Es sei nur daran erinnert, dass ein durchschnittlicher Leipziger Pkw-Besitzer im Jahr auf einen CO2-Ausstoß von 4 Tonnen CO2 allein durch sein Verkehrsverhalten kommt. Bei einem ÖPNV-Nutzer sind es gerade einmal 200 Kilogramm.
Deswegen sind die sechs Mobilitätsszenarien auch bei näherer Betrachtung eher inakzeptabel, denn keines hat eine Senkung des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) unter einen Anteil von 30 Prozent zum Ziel. Heißt im Klartext: Es herrscht nicht mal der Wille, das Auto in wichtigen Mobilitätsbereichen der Stadt bis 2030 überflüssig zu machen.
Das beißt sich aber mit dem beschlossenen Ziel der Stadt, ihr CO2-Aufkommen pro Kopf und Jahr von derzeit über 6 Tonnen auf 2,5 Tonnen zu senken. Mit 30 Prozent MIV klappt das nicht.
Aber Leipzigs Verkehrsplaner wissen auch, dass es bei Mobilität auch um die Geldfrage geht. Sie haben nämlich für jedes einzelne Szenario auch die privaten Mobilitätskosten berechnet. Das ist das Geld, das jeder Leipziger – vom Baby bis zum Greis – ausgibt, um mobil sein zu können.
Wo der Hammer hängt, das hat ja bekanntlich die Bundesregierung vorgegeben, die Kraft ihrer Weisheit beschlossen hat, was Mobilität für Menschen kosten darf, die von Sozialhilfe (sprich „Hartz IV“) abhängig sind. Aktuell beträgt der Satz, der für „Verkehr“ vorgesehen ist, 32,90 Euro pro Monat.
Das reicht gerade so, wenn jemand in Leipzig ein Abo für die Leipzig Pass Mobil Card hat; das kostet im Monat nämlich 31,60 Euro. Wer sich ein einzelnes Monatsticket im Sozialpreissegment kauft, ist mit 35 Euro schon deutlich drüber.
Und nicht zu vergessen: Der weise Gesetzgeber hat bei „Verkehr“ an ÖPNV und eigenes Fahrrad gedacht. Aber Fahrrad ist da nicht drin. Oder man fährt Rad und leistet sich die Straßenbahn nur zu feierlichen Anlässen – etwa beim angewiesenen Stelldichein mit der Jobcenter-Beraterin.
Aber interessant ist der Jahrespreis: Der Gesetzgeber geht augenscheinlich davon aus, dass ein Mensch mit 379 Euro im Jahr mobil sein kann.
Die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) gehen davon aus, dass er es nicht kann. Denn die Leipzig Pass Mobilcard lässt sie sich von der Stadt fördern. Das ungeförderte Jahresticket Abo Premium kostet 63,90 Euro im Monat, also 767 Euro im Jahr.
Aber da Leipzigs Planer in allen sechs Mobilitätsszenarien mindestens 30 Prozent Pkw-Anteil zugrunde legen und beim ÖPNV im besten Fall nur auf 28 Prozent kommen, sind die privaten Mobilitätskosten der Leipziger deutlich höher. Schon im „Weiter so“-Modell stehen da satte 2.429 Euro pro Einwohner und Jahr zu Buche.
Eine Zahl, die natürlich zustande kommt durch die deutlich höheren Kosten im Pkw-Besitz.
Schon 2010 hat die Hans-Böckler-Stiftung sehr vehement Stellung genommen dazu, dass im „Hartz IV“-Satz ein Auto nicht vorgesehen ist. Was vor allem für „erwerbsfähige Leistungsbezieher“ auf dem flachen Land eine Rolle spielt, wo der ÖPNV zusammengestrichen wurde.
Nur so als Seitengedanke: Einsparungen beim ÖPNV treffen immer und zuerst die Einkommensschwachen.
Auch darauf ging die Hans-Böckler-Stiftung ein. Denn die 15 Prozent der einkommensschwachen Haushalte gaben 2010 im Schnitt nur 60 Euro im Monat für Mobilität aus. Mehr war nicht drin. Daran hat sich ja nicht viel geändert. Wenn die LVB fortwährend an der Preisschraube drehen, fassen sie vor allem jenen in die Tasche, die eh nicht viel haben. Was nicht bedeutet, dass ÖPNV nur etwas für Arme ist. Aber Menschen mit geringen Einkommen sind zwingend darauf angewiesen, weil das Halten eines Autos oder eines Pferdes für sie nicht bezahlbar sind.
Wenn man die 2.429 Euro, die Leipzigs Planer für private Mobilität ausgerechnet haben, hochrechnet auf die 580.000 Einwohner der Stadt, kommt man auf die erstaunliche Zahl von 1,4 Milliarden Euro.
So viel Geld zahlen die Leipziger jedes Jahr, um mobil zu sein. Privat. Der Löwenanteil davon fließt in den Erhalt und Betrieb der Leipziger Pkw-Flotte.
An die LVB fließen von dieser Riesensumme gerade einmal 90 Millionen Euro. Das war der Stand 2016. Logisch, dass da die Frage auftaucht: Was könnte dieser ÖPNV leisten, wenn mehr Leute umsteigen würden?
Das steckt nur zum Teil in den berechneten Mobilitätskosten. Aber es ist sichtbar: Überall dort, wo es in den sechs Szenarien gelingt, den Anteil von ÖPNV und Radverkehr deutlich zu steigern, sinken die Mobilitätskosten für den Einzelnen. Am stärksten im Nachhaltigkeitsszenario – auf 2.115 Euro pro Nase. Und das vor allem, weil der Anteil des ÖPNV von 18 auf 28 Prozent steigt und der Anteil des MIV von 40 auf 30 Prozent sinkt.
Was im Klartext heißt: Je umweltfreundlicher der Modal Split in Leipzig wird, umso geringer werden die durchschnittlichen Mobilitätskosten. Denn – logisch – man schafft gemeinschaftlich eine sinnvollere Verkehrsstruktur.
Die Leipziger „sparen“ dann rund 200 Millionen Euro im Jahr. Gleichzeitig steigt der Zuschussbedarf der LVB von 55 auf 141 bis 155 Millionen Euro.
Man erhält also Einsparungen, wenn man den Mut hat, deutlich mehr in den ÖPNV zu investieren.
Und das bei einem gar nicht wirklich ambitionierten Ziel von 30 Prozent MIV-Anteil.
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
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