Das sechste der am Dienstag von OBM Burkhard Jung vorgestellten Mobilitäts-Szenarien für Leipzig ist nicht nur das auf den ersten Blick teuerste, es ist auch rechtlich nicht umsetzbar. Es hat nämlich mit dem 2014 gestarteten Versuch zu tun, neue Finanzierungsquellen für den ÖPNV aufzutun – wie zum Beispiel das heiß diskutierte Bürgerticket.
Das bekam ja schon am Dienstag gleich heftige Kritik von FDP-Stadtrat Sven Morlok. „Morlok kritisiere ebenfalls die Verknüpfung von Finanzierungsarten für einzelne Szenarien“, meldete sich die Freibeuterfraktion zu Wort und zitierte Morlok mit den Worten: „Wer jetzt das Bürgerticket zur Bedingung eines Szenarios macht, schränkt die Handlungsoptionen ein. Selbstverständlich müssen wir über die Finanzierung reden. Das muss aber im Rahmen des Diskussionsprozesses erfolgen und darf nicht zu Beginn vorweggenommen werden.“
Vorweggenommen ist aber mit den Szenarien noch gar nichts. Und wie das mit den alternativen Finanzierungsmodellen ist, hat OBM Burkhard Jung am Dienstag auch zugeben müssen: Es gibt (außer für die Tourismusabgabe) praktisch keine rechtlichen Grundlagen, auf deren Basis irgendeine Art zusätzliche Abgabe von Bürgern oder Gewerbetreibenden für den ÖPNV verlangt werden könnte.
Und wer sich die Analyse des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes (MDV) zu den Finanzierungsmodellen genauer angeschaut hat, hat auch gesehen, dass meistens nur Krümelbeträge dabei herauskommen – mal 5, mal 10 Millionen Euro im Jahr.
Allein die steigenden Betriebskosten der LVB werden deutlich mehr Geld erfordern.
Aber das ist nicht der einzige Konstruktionsfehler im „Gemeinschafts-Szenario“.
Der Grundgedanke dabei: „Dieses Szenario beschreibt die Option, ein hochattraktives, stark ausgebautes ÖPNV-Angebot zu schaffen, das gemeinschaftlich finanziert wird. Der ÖPNV wird politisch aktiv und vorrangig gefördert und das Angebot unter dem angestrebten Ziel einer umfassenden ÖPNV-Versorgung für alle Leipzigerinnen und Leipziger ausgebaut. Die Finanzierung erfolgt verstärkt durch eine solidarische Abgabe all derer, die von dieser Versorgung im ÖPNV-Gebiet profitieren.“
Was die Planer dann mit folgenden Erwartungen koppeln:
– ÖPNV-Auslastung steigt
– Durchschnittsgeschwindigkeit im ÖPNV und im Kfz-Verkehr bleibt konstant
– Grenzwerte werden eingehalten, CO2-Einsparung, leises Szenario
– Sehr stark ansteigender öffentlicher Finanzierungsaufwand für den ÖPNV, im Durchschnitt sinkende Mobilitätskosten für die Bürger
– Wirtschaftsverkehr/Anlieferung auf heutigem Geschwindigkeitsniveau
– Bisher jedoch keine Rechtsgrundlage für eine gemeinschaftliche Finanzierung gegeben
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Man merkt daran, dass Psychologie nicht unbedingt die Stärke der Planer ist. Kein anderes Szenario ist mit derart hohen Investitionskosten verbunden. 1,38 bis 3,97 Milliarden Euro Investitionsaufwand werden dafür angenommen.
Wobei hier der Blick ins Detail wichtig ist. Denn die fast 4 Milliarden Euro kommen durch ein Projekt zustande, das selbst den fast 1 Milliarde Euro teuren City-Tunnel übertrifft: den so oft zitierten Ost-West-Tunnel, der aber nicht für die S-Bahn, sondern ausschließlich für Stadtbahn vorgesehen ist. Mit den Worten aus der Vorlage: „Angesichts des sehr hohen Fahrgastaufkommens im ÖPNV wird in diesem Szenario zur Absicherung der nötigen Leistungsfähigkeit auch die Möglichkeit eines ausschließlich für die Straßenbahn nutzbaren und ca. 10 km langen Stadtbahn-Tunnels in der Schwerpunktrelation Ost-West als innerstädtische Entflechtungsmaßnahme betrachtet.“
Das wäre dann quasi ein Straßenbahntunnel unter dem S-Bahn-Tunnel. Logisch, dass so ein Projekt gleich mal 3 Milliarden Euro kostet.
Was natürlich heißt, dass 1,3 Milliarden Euro in diesem Szenario vor allem für den oberirdischen Ausbau des Straßenbahnnetzes gedacht sind.
Wobei einem bei einem solchen Investitionsaufwand freilich die Zielzahl von 265 Millionen Fahrgästen eher bescheiden vorkommt. Aktuell schaffen die LVB 150 Millionen. Im aktuellen System sind bis zu 170, 180 Millionen möglich, bis es seine Kapazitätsgrenzen erreicht.
Aber nur mal als Rückblende: Vor 50 Jahren, im Jahr 1967, schafften Leipzigs Verkehrsbetriebe 329 Millionen Fahrgäste im Jahr, davon 284 Millionen mit der Straßenbahn. Und wer schon ein Weilchen auf den Füßen ist, weiß, was das für Rumpelkisten waren. Es will nicht einleuchten, dass man mit dem Einsatz von 1 Milliarde Euro nicht mal ähnliche Fahrgastzahlen anpeilt (die damals übrigens schon ein Abwärtstrend waren – vor 60 Jahren schafften die LVB sogar 354 Millionen Fahrgäste). Wobei wichtig ist zu erwähnen: Rund 20 Millionen davon wurden mit dem Obus befördert, den es damals in Leipzig noch gab – zum Beispiel vom Busbahnhof Lindenau über den Schleußiger Weg zur Lipsiusstraße. Oder – heute gar nicht mehr vorstellbar – von der Kurt-Eisner-Straße nach Zwenkau.
Insgesamt versprechen sich die Planer vom „Gemeinschafts-Szenario“ einen Modal Split für den ÖPNV von 28 Prozent. Den Radverkehr sehen sie eher nur bei 20 Prozent.
Entweder funktioniert ihr Gemeinschafts-Denken nicht richtig (alle zahlen, und trotzdem bleibt der Pkw mit 30 Prozent die Nummer 1) oder sie misstrauen der Attraktivität dessen, was für dieses Geld planbar wäre. Denn wie viele Autofahrer könnten bei einem wirklich flüssigen ÖPNV-System tatsächlich auf das Auto verzichten?
Die großen Fragezeichen sind doch gerade die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen im Norden und die von Kitas, Schulen und Einkaufsmärkten.
Parallel soll ja auch der Betriebskostenzuschuss für die LVB deutlich steigen auf über 125 Millionen Euro im Jahr. Das heißt: Die Planer rechnen auch mit deutlich mehr Fahrpersonal und damit Fahrzeugen im System. Was ja für einen verkehrlichen Laien wie mich bedeutet: Der ganze Ärger mit den für eine Großstadt lächerlichen 10- und 15-Minuten-Takten hört auf und die Bahnen auf allen Hauptlinien verkehren mindestens im 5-Minuten-Takt.
Und zwar zentral gesteuert und flüssig, so dass auch diese unsinnigen Zeitverschwendungen an Kreuzungen aufhören, wo die Bahnen auch dann minutenlang stehen, wenn die Straße völlig frei ist. Michael Jana merkte am Dienstag zumindest an, dass bei der intelligenten Verkehrssteuerung einiges anders wird in Leipzig – schon in den nächsten Jahren. Dafür hat der Stadtrat ja 1,1 Millionen Euro bewilligt.
Ein wirklich leistungsfähiges ÖPNV-Netz wird ohne komplette intelligente Steuerung gar nicht denkbar sein. Und Burkhard Jung sprach noch ein Thema an, das man noch gar nicht mit einberechnen konnte: Wie wird das eigentlich mit den fahrerlosen Fahrzeugen? Und zwar nicht nur bei Taxis und Teilautos. Züge und Straßenbahnen werden wahrscheinlich noch viel früher flächendeckend fahrerlos sein – die Personalkosten können also sinken, die intelligente Verkehrssteuerung wird zum Grundprinzip werden müssen.
Gerade dieses sechste Szenario zeigt eigentlich, dass irgendwie wichtige Entwicklungslinien noch fehlen. Und sich die Planer eine Stadt, in der flotte Straßenbahnen das bevorzugte Verkehrsmittel aller Leipziger sind, gar nicht vorstellen können. Nicht mal im Traum.
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
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