Das Szenario einer richtigen Fahrradstadt Leipzig ist natürlich sehr konsequent gedacht. Aber eigentlich für Leipzig kein Weihnachtsmärchen. Denn andere Städte – man denke an Münster oder Kopenhagen – schaffen locker Fahrradanteile am Verkehr von über 30 Prozent. Leipzig, obwohl es flach in der Mitteldeutschen Tiefebene liegt und ideale Bedingungen zum Radfahren hätte, kommt gerade mal auf die Hälfte.
Ein paar Pünktchen mehr. Und: Tendenz steigend. Von 5 Prozent hat sich der Anteil ständig emporgearbeitet auf 16. Und es geht weiter. Was OBM Burkhard Jung als ideale Fahrradlage sieht, animiert schon längst hunderttausende Leipziger, regelmäßig mit dem Rad zu fahren, tausende tun es auch im Alltagsverkehr. Wozu oft genug eine Menge Mut gehört. Denn das bisherige Radnetz ist stellenweise unübersichtlich, unlogisch, nicht existent oder kaputt.
Der BUND fährt demnächst mal alle kaputten Stellen ab, die die Leipziger beim Naturschutzverein gemeldet haben. Aber L-IZ-Leser waren ja bei einer kleinen Schnuppertour zu den gefährlichsten Stellen schon mal dabei. Andererseits ist Radfahren gesund und entlastet nicht nur den Kraftfahrzeugverkehr, sondern senkt auch deutlich die Luftbelastung.
27 Prozent Radverkehr können sich die Verkehrsplaner vorstellen. Aber das bräuchte wohl 104 Millionen Euro zusätzliche Investitionen ins Radnetz. Für diesen Effekt? Warum nicht?
Dafür würden die Kosten für den Ausbau des ÖPNV-Netzes etwas geringer – 518 Millionen Euro extra, also nicht die von OBM Burkhard Jung benannte Milliarde. Ohne zusätzliche Linien und Fahrzeuge und Haltestellen ginge es trotzdem nicht. Aber die Leipziger bekämen quasi beides: ein exzellentes Radnetz und einen deutlich leistungsfähigeren ÖPNV.
Der Grundgedanke beim „Fahrradstadt-Szenario“:
„Der Umweltverbund spielt auch in diesem Szenario die Hauptrolle bei der Bewältigung des durch die wachsende Bevölkerungszahl steigenden Verkehrsaufkommens, wobei die individuelle Mobilität mit dem Fahrrad im Vordergrund steht. Um die Radnutzung zu erhöhen, wird bevorzugt in ein durchgängiges, ganzjährig nutzbares Radverkehrsnetz investiert. Auch der ÖPNV gewinnt als Rückgrat des Umweltverbundes weiter an Bedeutung.
Logisch, dass auch dieses Szenario zu den dreien gehört, mit denen Leipzig viele seiner Verkehrs- und Luftreinhalteziele ereicht.
In kurzen Stichpunkten:
– Steigerung der Attraktivität des Radverkehrs
– Leichte Steigerung der Fahrgastzahlen des ÖPNV
– Durchschnittsgeschwindigkeit im ÖPNV und im Kfz-Verkehr sinkt leicht
– Die Grenzwerte bei Stickoxid und CO2 werden eingehalten, leisestes Szenario mit höchster CO2-Einsparung
– Steigender öffentlicher Finanzierungsaufwand für ÖPNV
– Wirtschaftsverkehr/Anlieferung auf heutigem Geschwindigkeitsniveau
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Dafür müsste es eigentlich spontanen Beifall aus den Wirtschaftskammern geben. Denn so schafft die Stadt ihre Umweltziele und der Wirtschaftsverkehr rollt weiter. So ungestört wie heute, muss man hinzufügen. Vielleicht ungestörter, denn man bekommt so eine Ahnung, dass die künftigen Generationen mit ÖPNV und Rad viel selbstverständlicher unterwegs sein werden als die ältere Generation. Sie brauchen nicht unbedingt mehr ein Auto zum Mobilsein.
Wobei nicht vergessen werden darf: Die Stadt unterlässt in keinem Szenario die Investitionen in Straßen und Fußwege. Und wer genau hinschaut, sieht: Auch hier steigen die zusätzlichen Investitionen deutlich. Denn dass Leipzig überhaupt in der Klemme steckt, hat auch beim Verkehr mit einem enormen Investitionsstau zu tun, den wir an dieser Stelle einmal mit 1 bis 1,5 Milliarden Euro beziffert haben.
Die Vorlagen zum Mobilitätskonzept bestätigen diese Schätzung. Auch wenn sie die Schwerpunkte der notwendigen Mittelverteilung teilweise ein bisschen anders setzen. Straßen sind aber zwangsläufig immer dabei, denn ohne Straßen rollt auch kein ÖPNV und kein Radverkehr.
Zwei Szenarien haben wir noch.
Eines davon freilich ist praktisch unmöglich.
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
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