Für FreikäuferWenn man keine Themen hat oder gar starke Aufhänger, dann erfindet man sich eben welche. Zum Beispiel behauptet man einfach mal, in der Leipziger Verkehrspolitik hätte es gerade eben mal schnell einen „Sinneswandel“ gegeben. Und man schreibt den „Sinneswandel“ dann einfach fort, wenn ein FDP-Mann ihn bejubelt, obwohl er ihn auch nur in der LVZ gelesen hat. Glaubt man dort tatsächlich an die eigenen Erfindungen?

Denn nichts in dem kurzen Artikel, in dem man Michael Jana vom Verkehrs- und Tiefbauamt nach dem Mittleren Ring und dem Tangentenviereck befragt hatte, war neu. Es steckte nicht ein Gran „neue Verkehrspolitik“ drin. Alle Einzelabschnitte des einstigen Großprojektes Mittlerer Ring, die Jana benannte, sind seit Jahren in der Planung. Einige mit heftigem Widerstand wie der Streckenabschnitt im Leipziger Nordosten und im Südosten, gegen die die Bürgerinitiative „Mittlerer Ring Ost/Südost – contra Bahnvariante“ und der Bürgerverein Sellerhausen-Stünz seit Jahren mit guten Argumenten ankämpfen.

Ihr wichtigster Erfolg war ja, dass die Stadt auf zwei von drei Varianten verzichtet hat und nur noch die sogenannte „Bahnvariante“ übrig blieb, und zwar eine ganze Nummer kleiner, weil sich im Leipziger Osten eine vierspurige Schnelltrasse einfach nicht unterbringen lässt, ohne wertvolle Schutzgüter zu zerstören.

Und auch bei dieser Variante prüfe man erst einmal, hat Jana gesagt.

Ein „Sinneswandel“ ist das nicht.

Genauso wenig wie beim geplanten Umbau der Essener Straße, gegen den niemand protestiert, weil er beim jetzigen Straßenzustand sogar notwendig ist. Dasselbe gilt für den Umbau des Knotens Wundtstraße/Schleußiger Weg.

Hingegen die Streckenführung durch den südlichen Auenwald ist tot. Richtig tot, weil es keine solche Schnellstraße durch ein Naturschutzgebiet geben wird. Auch keine Untertunnelung, von der der Handwerkskammerpräsident Claus Gröhn so schwärmte.

Logisch, dass der Ökolöwe den LVZ-Beitrag hanebüchen fand. Und jetzt, wo die LVZ auch noch so tut, als wäre die FDP-Wortmeldung in irgendeiner Weise kompetent, haben auch die Grünen genug, glauben der erfindungsreichen Zeitung aber tatsächlich, die Stadtverwaltung wolle „den Ausbau des Straßenverkehrsnetzes“ prüfen.

Nein, will sie gar nicht. Das zuständige Amt prüft nur jene Projekte, die eh auf seinem Tisch liegen und für die bis dato belastbare Finanzierungen und Stadtratsbeschlüsse fehlen.

Das Gesamtprojekt zum Mittleren Ring kommt nicht wieder auf den Tisch.

„Leipzig gehört zu den am stärksten mit Feinstaub und Stickstoff belasteten Städten in Deutschland. Damit geht es hier um die Frage der Gesundheit der Einwohner von Leipzig. Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion um den erneuten Ausbau des Straßennetzes verantwortungslos“, meldet sich jetzt Matthias Jobke, Sprecher des Grünen-Kreisverbandes, zu Wort.

Tatsächlich tut die LVZ ja so, als würde der Aktionsplan der Initiative „Leipzig 700plus“ jetzt einfach schnell mal umgesetzt.

Als würde so ein Wind von außen einfach mal die komplette Entscheidungsfindung in der Stadt umwerfen. Es wird sozusagen einfach weggepustet, was der Stadtrat erst 2015 mit dem neuen Stadtentwicklungsplan Verkehr beschlossen hat.

So aber funktionieren Richtungsentscheidungen in Leipzig nicht. Im Gegenteil: Jede Grundsatzentscheidung hat viele Jahre Vorlauf, es wird um Gelder und Schwerpunkte gerungen. Und wer auch nur ein bisschen aufgepasst hat, was zur Vorstellung des neuen Integrierten Stadtentwicklungskonzepts „Leipzig 2030“ (INSEK) zum künftigen Mobilitätskonzept gesagt wurde, der weiß, dass der enge Stadtraum geradezu dazu zwingt, alle Kraft auf den Ausbau von ÖPNV und Radverkehr zu richten. Weshalb OBM Burkhard Jung, wie man hört, in den nächsten Wochen auch ein eigenes Radverkehrskonzept präsentieren will.

Anders bekommt Leipzig weder seine Verkehrsprobleme noch seine Luftprobleme in Griff. Was übrigens so auch in der Studie zu lesen steht, die dem Aktionsplan von „Leipzig 700plus“ zugrunde liegt. Man muss sie nur einmal lesen.

Aber darauf verzichtet man ja im Peterssteinweg lieber.

„Statt immer neue Straßen zu bauen um die alten zu entlasten, müssen Alternativen zum KfZ gefördert werden. Die immer weiter steigenden Preise im ÖPNV, kaputte Fußwege und fehlende Radverbindungen sind keine Alternative zum Auto. Hier muss eine vernünftige Politik ansetzen. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu absurd, dass SPD und CDU gegen das Tarifmoratorium im ÖPNV gestimmt haben und damit dafür sorgen, dass der ÖPNV weiter teurer wird“, erklärt Volker Holzendorf, der für die Grünen Direktkandidat zur Bundestagswahl in Leipzig Nord ist. Genau da, wo sowohl das Integrierte Stadtentwicklungskonzept als auch die Studie für „Leipzig 700plus“ den größten Handlungsbedarf sehen.

„Neue Straßen führen zu immer mehr Autoverkehr. Die jetzt geführte Diskussion erinnert an die verkehrspolitische Rückkehr in die 50er Jahre. Es ist enttäuschend, dass immer noch ernsthaft geglaubt wird, dass neue Straßen bestehende Verkehrsprobleme lösen“, findet Holzendorf. „Jetzt müssen wir die Möglichkeiten für alle Verkehrsarten schaffen, statt mit rückwärtsgewandter Politik umweltfreundlichen Verkehr auszubremsen. Wir können jeden Euro nur einmal ausgeben. Wer nun in neue Straßen investiert, sorgt für Stau und Stillstand in der Stadt. Mit mehr Radverkehrsförderung halten wir dagegen den Verkehr in Bewegung. Das sind wir einer wachsenden Stadt wie Leipzig schuldig.“

Dass die Grünen dabei die Alternative tatsächlich im Ausbau der Car-Sharing-Struktur, der Förderung des Radverkehrs, in der Reparatur von Fußwegen und einem bezahlbaren ÖPNV in einem engmaschigen Taktfahrplan sehen, entspricht nicht zufällig den Grundgedanken in den ersten Strukturen zur Leipziger Mobilitätsstrategie: Es geht gar nicht mehr anders.

Die 30 Prozent Zunahme des Kfz-Verkehrs, die jetzt befürchtet wird, gibt es nämlich genau dann (so betont es die Studie ja), wenn der Umweltverbund nicht massiv gefördert wird, also alle Kraft auf einen besseren ÖPNV und ein besseres Radnetz gesetzt wird.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar