Dass über 60 deutsche Städte jetzt mit einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zu tun haben, ist das Ergebnis politischen Versagens. Kein anderes Land hatte so viele Möglichkeiten, die Grenzwerte von Stickoxid in den Städten tatsächlich so nachhaltig zu unterschreiten, wie das Autobauerland Deutschland. Der Diesel-Skandal war so hausgemacht, dass selbst der „Spiegel“ jetzt staunt.
Nicht mehr über die Unverfrorenheit, mit der die großen Diesel-Autobauer zu Werke gingen und dabei auch noch Rückendeckung von einer Bundesregierung bekamen, die das Thema lieber zerredete und in Brüssel für ein Aufweichen der Regeln kämpfte, statt von Anfang an auf eine Einhaltung der beschlossenen Grenzwerte zu dringen.
Denn die überhöhten Ausstoß-Werte waren seit Jahren bekannt. Jeder verantwortliche Verkehrsminister hätte darauf dringen müssen, dass die neuen Automodelle die gesetzlichen Werte auch einhalten. Hat er aber nicht, egal, wie er gerade hieß.
Und selbst der „Spiegel“ staunte, mit welcher Nonchalance Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt einfach wieder Geld ausgibt, um irgendwie die von Fahrverboten betroffenen Kommunen ruhigzustellen.
„Es ist atemberaubend, wie locker das Geld im Bundeshaushalt auf einmal sitzen kann – wenn die Regierung angesichts des Skandals um manipulierte Dieselautos und überhöhte Schadstoffwerte auf deutschen Straßen ein Problem hat, und in knapp drei Wochen Bundestagswahlen stattfinden“, kann man da lesen.
Nur: Es wird nichts nützen. Es ist wieder nur eine Beruhigungspille, denn das Hauptproblem können die Kommunen, die das Geld bekommen, gar nicht so schnell lösen: die Millionen Dieselfahrzeuge, die mit getürkten Abgaswerten unterwegs sind.
Und das, was geholfen hätte, haben die Kommunen auch diesmal nicht bekommen: die Einführung der „Blauen Plakette“. Denn damit hätten sie regulieren können, wer noch in die Stadt darf – und wer aufgrund überhöhter Schadstoffwerte draußen bleibt.
Da sie aber die Luftbelastung nur in Griff bekommen, wenn sie die falsch gelabelten Diesel aussperren, wird es ohne Fahrverbote nicht abgehen. Die nette Art der Bundeskanzlerin, Probleme auszusitzen, führt genau dazu, dass die Probleme nicht gelöst werden.
Übrigens auch in Leipzig nicht, das erst einmal nur knapp an einer Klage der DUH vorbeischrammte. Aber der vermehrte Anteil an Diesel-Fahrzeugen am Leipziger Pkw-Verkehr hat auch hier dazu geführt, dass man den wichtigen Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid je Kubikmeter eben nicht unterschritt. Seit zwei Jahren steigen die Belastungswerte sogar wieder – parallel zum Diesel-Anteil am Pkw-Verkehr.
Und auch beim (zweiten) Diesel-Gipfel am Montag, 4. September, lehnte Bundeskanzlerin Angela Merkel ab, die Autoindustrie dazu zu verpflichten, Dieselfahrzeuge technisch nachzurüsten.
Was dies nun für Leipzig bedeutet, stellt Tino Supplies, verkehrspolitischer Sprecher des Umweltbunds Ökolöwe klar: „Die Stadt Leipzig liegt aktuell mit 42 Mikrogramm knapp über dem Grenzwert für Luftverschmutzung durch Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Eine verpflichtende technische Umrüstung von Dieselfahrzeugen durch die Autoindustrie könnte dafür sorgen, dass Leipzig unter den Grenzwert fällt. Damit wären ein EU-Vertragsverletzungsverfahren und Fahrverbote aufgrund der Stickoxid-Belastung für Leipzig vom Tisch. Leider sieht es nicht danach aus, dass die Bundesregierung an dieser Stelle der Stadt Leipzig beispringt und die Autoindustrie in die Pflicht nimmt.“
Und wie ist das mit der Aufstockung des sogenannten Mobilitäts-Fonds für kommunale Projekte zur Luftreinhaltung von 500 Millionen Euro auf 1 Milliarde Euro, größtenteils finanziert aus dem laufenden Bundeshaushalt?
Die Mittel aus dem milliardenschweren Mobilitäts-Fond der Bundesregierung für spezifische Projekte zur Luftreinhaltung in den Kommunen könnten Leipzig zumindest ein wenig helfen, die Einhaltung des Grenzwertes zu schaffen.
„Leipzig wird allerdings keinen Cent aus Merkels Mobilitäts-Fond bekommen“, sagt Tino Supplies. „Durch Nachfrage beim Bundesministerium für Umwelt haben wir erfahren, dass fast ausschließlich westdeutsche Großstädte bedacht werden. Das ist eine schlechte Nachricht für Leipzig.“
Wahrscheinlich wird Angela Merkel mit ihrer Politik sogar etwas bewirken, was gar nicht beabsichtigt war: Sie wird die großen Städte zwingen, zunehmend Pkw-Verkehr aus der Stadt zu verdrängen und statt der breiten Autotrassen leistungsfähige ÖPNV-Systeme zu bauen.
„Die gute Nachricht ist: Leipzig hat mit seinem elektrischen Straßenbahnsystem und dem aktuell zu verzeichnenden Fahrradboom beste Voraussetzungen, den Grenzwert aus eigener Kraft einzuhalten, die Gesundheit der Leipziger zu schützen und Fahrverbote zu vermeiden“, beschreibt Supplies den Weg, den wohl auch die Mobilitätsszenarien des OBM demnächst vorzeichnen werden. Denn um einen Verkehrskollaps mit verstopften Straßen zu vermeiden, kann nur ein leistungsfähiger ÖPNV die Lösung sein. Und den gibt es halt nicht mit der merkelschen Abwarte-Methode, den gibt es nur, wenn man wirklich ernsthaft investiert.
Supplies: „Das muss jetzt ganz schnell weiter ausgebaut werden. Schwerwiegende Probleme haben eher Kommunen wie Stuttgart, die in den letzten Jahrzehnten nach dem Leitbild der autogerechten Stadt umgebaut worden sind – mit Schnellstraßen, Ringsystemen, Stadtautobahnen und vielem mehr. Dort sind Fahrverbote kaum noch zu verhindern. Es wird Jahrzehnte dauern und sehr teuer sein, das alles zu korrigieren. Aus diesen Fehlern sollte Leipzig lernen.“
Deshalb wird es jetzt gerade in den autoaffinen Weststädten richtig teuer und die 1 Milliarde Euro wird nicht weit reichen.
Jüngst bezifferte Burkhard Jung allein die notwendigen Investitionen in Leipzigs ÖPNV auf 1 Milliarde Euro bis 2030. Und die wird es auch brauchen, wenn der ÖPNV-Anteil deutlich über 20 Prozent steigen soll. Aber wenn Leipzig das macht, könnte es wirklich mal ein vorbildliches Straßenbahnsystem bekommen, in dem man surfen kann und Wahlentscheidungen hat zwischen Linien – und nicht immer nur im Nadelöhr am Hauptbahnhof landet.
Der Ökolöwe empfiehlt nun, den Luftreinhalteplan der Stadt Leipzig diesen neuen Erkenntnissen schnell anzupassen und daraufhin kurzfristig und selbstständig für die Einhaltung der Grenzwerte zu sorgen, indem zum Beispiel die zu geringen Mittel für die Förderung von Bus und Bahn sowie Rad- und Fußverkehr deutlich erhöht werden.
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Hi,
und wenn ich mir den Autoverkehr nach Markkleeberg West ansehe und das die Linie 9 dahin eingestellt wurde, ist da noch sehr viel umdenken nötig.