Es rumorte schon im kleinen Leipziger Murmelstadl: Wann kommt der neue Straßenbahnwagen XL, der nun im Dezember so geheimnisvoll angekündigt wurde, endlich ins Netz? Stimmt da was nicht beim Hersteller? Selbst Ulf Middelberg, Geschäftsführer der LVB, zeigte sich am Freitag, 2. Juni, sichtlich genervt vom Leipziger Gemurmel. Denn dass der Zulassungstermin für die neue Straßenbahn sportlich werden würde, das hatte man im Dezember schon genau so erzählt.

Es hat sich nichts geändert. Es gab auch keine Katastrophen und auch keine Probleme beim Hersteller Solaris in Poznan, den die Leipziger schon als Busbauer kennen. Aber auch auf dem Feld des Straßenbahnbaus ist Solaris nicht neu.

Völlig neu aber ist der Straßenbahntyp XL. Hätte Leipzig einfach eine Straßenbahn „von der Stange gekauft“, hätte die schon mit Jahresbeginn rollen können. Aber Leipzig wollte eine neue Straßenbahn, eine richtige Neuentwicklung extra für Leipzig. Was eben nicht nur bedeutete, dass man mit Solaris straff darüber verhandeln musste, wo die einzelnen Bauteile herkommen. Immerhin wollte man den größten Teil der Wertschöpfung doch in Deutschland behalten. Knapp 60 Prozent sind es geworden – so wie die Motoren aus Dresden oder die innovative Beleuchtung aus Leipzig.

 

Der neue XL beim Pressetermin im Straßenbahnhof Dölitz. Foto: Ralf Julke
Der neue XL beim Pressetermin im Straßenbahnhof Dölitz. Foto: Ralf Julke

Aber dafür musste das erste Fahrzeug eine komplette Zulassungstour durchmachen, wie sie jeder völlig neue Wagentyp in Deutschland durchmachen muss. Das werde sechs Monate dauern, betonte der technische Geschäftsführer der LVB, Ronald Juhrs, im Dezember, als das erste Fahrzeug auf einem Tieflader in Leipzig-Heiterblick angeliefert wurde. Und das sei für ein komplett neues Fahrzeug schon sportlich.

Die Prüfer waren in den letzten Monaten bei jedem Schritt dabei. Der Zeitplan scheint einhaltbar zu sein. Die ersten Testfahrten durchs Leipziger Stadtgebiet hat der erste Wagen schon hinter sich. Jetzt ist er so weit getestet, dass er in die Fahrerausbildung starten kann. Jeder Straßenbahnfahrer hat in den nächsten Wochen eine zweitägige Ausbildung für das neue Fahrzeug – einen Tag Theorie, einen Tag praktisch.

„Wenn wir erst mal genug Fahrzeuge im Einsatz haben, müssen wir jederzeit auch genug Fahrer haben, die auf dem XLer eingesetzt werden können.“

Die nächsten Wochen sind also erst einmal Fahrschule. Das Fahrzeug selbst laufe rund, so Juhrs: „Alle technischen Systeme funktionieren und sie funktionieren sicher. Das Fahrzeug ist ausreichend getestet.

Fototermin mit Minister Dulig am Steuer der Bahn. Foto: Ralf Julke
Fototermin mit Minister Dulig am Steuer der Bahn. Foto: Ralf Julke

Nur noch das letzte „Go“ der Zulassungsbehörde fehlt. Das wird es möglicherweise Ende Juni, Anfang Juli geben. Dann bekommt der XL seine offizielle Zulassung als neues Schienenfahrzeug auf deutschen Straßen. Auch wenn er eigentlich erst einmal „nur“ eine Spezialanfertigung für Leipzig ist. Und wenn das Fahrzeug die Zulassung hat, dann gehen die bestellten Straßenbahnen Monat für Monat in den Liniendienst.

Die ersten XLer werden auf der Linie 4 eingesetzt, um endlich die erhöhten Fahrgastzahlen in Gohlis und im Waldstraßenviertel aufzufangen.

Insgesamt 14 Fahrzeuge wollen die LVB in diesem Jahr noch in Betrieb nehmen.

Und wenn der erste XLer seine Zulassung hat, dann wollen die LVB sofort die Bestellung der nächsten neun Fahrzeuge in Auftrag geben, die dann 2018 in Leipzig ankommen sollen.

Insgesamt 23 Fahrzeuge hat die sächsische Staatsregierung schon mit Fördergeldern co-finanziert. 18,9 Millionen Euro insgesamt, wie Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) am Freitag beim Termin im Straßenbahnhof Dölitz betonte. Weitere 11 Millionen werden in diesem Jahr fließen.

Insgesamt haben die LVB den Kauf von 41 Solaris-Straßenbahnen beschlossen, die bis 2020 alle im Linieneinsatz sein sollen.

Den Termin in Dölitz nutzte Dulig, um persönlich die Bewilligung für 5,6 Millionen Euro für die Straßenbahnförderung vorbeizubringen.

Aber auch daran zu erinnern, dass die von ihm eingesetzte Strategiekommission für den ÖPNV noch immer ihre Köpfe rauchen lasse. Denn Sachsen hat ja noch keine nachhaltige ÖPNV-Strategie. Die Kommission soll Vorschläge machen, wie der Freistaat einen ÖPNV bekommt, der wirklich sinnvoll und zukunftsfähig ist.

Leipzig ist da auch für Dulig ein Beispiel dafür, wie hoch die Herausforderungen sind. 2016 haben die LVB ihre Fahrgastzahl um 10 Millionen Passagiere erhöht – ein Plus von 7,6 Prozent. „Deutlich überm Bevölkerungswachstum“, wie LVB-Geschäftsführer Ulf Middelberg betont. Und zumindest hat man Dulig schon gesagt, dass es im Leipziger Straßenbahnnetz „räumlich und zeitlich begrenzt“ schon zu Engpässen kommt, dass das System also dringend eine Erweiterung braucht.

Norbert Mencke, Geschäftsführer der Stadtholding LVV, zu der die LVB gehören, sprach von den „Lebensadern der Stadt“, von denen eine zwingend der ÖPNV sei.

Aber Lebensadern müssen durchlässig sein. Und in Nebentönen hörte man durchaus auch bei Dulig heraus, dass es mit der Anschaffung neuer und größerer Straßenbahnen nicht getan sein könnte, dass der ÖPNV – gerade in den wachsenden Großstädte – auch finanziell noch mehr Unterstützung braucht.

Auf Pressefahrt in Connewitz: der neue XL. Foto: Ralf Julke
Auf Pressefahrt in Connewitz: der neue XL. Foto: Ralf Julke

Manches, was neu ist am XL, war dann beim Pressetermin schon zu besichtigen. Mancher hat es auch bei dessen Ausstellung vorm Messegelände zur Haus-Garten-Feizeit schon gesehen. So hat das Fahrzeug jetzt vier Doppeltüren, die noch deutlich breiter sind als beim XXL, damit das Ein- und Aussteigen auch mit Kinderwagen oder Rolli schneller und einfacher geht. Die entsprechenden Aufstellflächen sind ebenfalls größer – gerade für Kinderwagen, wie Ronald Juhrs betont. Sogar die großen Panoramafenster sind höher, damit auch Zwei-Meter-Fahrgäste wie er im Stehen aus dem Fenster schauen können. Im Fahrzeug wird das neue Lichtkonzept auf LED-Basis sichtbar. Und an den Türen fallen die farbigen Leuchtleisten auf: Das sind Statusanzeigen dafür, ob die Türen noch problemlos passierbar sind – dann leuchten diese Statusanzeigen grün. Wenn die Türen sich beginnen zuschließen, schalten sie auf rot.

Besonders gravierende Änderungen gab es für die Fahrer, die das Fahrzeug künftig per Touchscreen steuern und dabei auch noch (wie es einige Autofahrer schon kennen) auf ergonomischen Sitzen mit Memory-Funktion sitzen. „Darüber wird sich auf jeden Fall der Betriebsarzt freuen“, sagt Juhrs. Denn die Sitzeinstellung erfolgt beim Betriebarzt, der darauf achtet, dass die Fahrerinnen und Fahrer wirklich in einer gesunden Haltung sitzen. Diese bekommen dann eine Chipkarte, mit der sie bei der Übernahme der Straßenbahn den Sitz gleich auf ihre eigenen Bedürfnisse einstellen können.

Leuchtstreifen an den Türen zeigen den Öffnungsstatus an. Foto: Ralf Julke
Leuchtstreifen an den Türen zeigen den Öffnungsstatus an. Foto: Ralf Julke

Künftig können sie auch alle Türen per Video überwachen, so dass es künftig deutlich weniger Konflikte bei unübersichtlichen Ein- und Aussteigesituationen geben sollte.

Der anwesende Minister durfte das neue Fahrzeug auch gleich mal selbst fahren. Und die eingeladenen Gäste durften auch schon die erste Runde mitfahren, Richtung Märchenwiese hin und zurück.

Bleibt noch die Frage: Warum gab’s die Zulassung nicht gleich, wo doch das Fahrzeug ohne Probleme fährt?

Die Fahrerausbildung ist Teil des Zulassungsverfahrens, betonen die LVB. Sie dient auch dazu, im Praxistest weitere Optimierungen und Anpassungen vorzunehmen. Denn je mehr unterschiedliche Fahrer das Fahrzeug testen, umso mehr Eigenschaften kommen bei unterschiedlichen Fahrweisen zum Tragen. Genau festlegen, ob es die endgültige Zulassung noch im Juni gibt, mag sich Ronald Juhrs nicht. Lieber etwas langsamer und dafür richtig, das sei ihm lieber, betont er.

Der XL als Star im Hintergrund der großen Wagenhalle in Dölitz. Foto: Ralf Julke
Der XL als Star im Hintergrund der großen Wagenhalle in Dölitz. Foto: Ralf Julke

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