Uns fehlt ja immer irgendwas. Immer wieder haben wir das dumme Gefühl, dass in Umfragen der Stadt nur die Hälfte abgefragt wurde und das Wichtigste fehlt. Auch in der Befragung von 5.000 älteren Leipzigern für die Umfrage „Älter werden in Leipzig 2016“. Nicht nur nach den arbeitenden Senioren über 65 hat man nicht gefragt, man hat auch das Mega-Thema Mobilität verpennt. Wirklich verpennt.

Da schickt sich die ganze Stadt an, ernsthaft über den neuen Nahverkehrsplan und die Mobilität der Zukunft zu debattieren – und der hochweise Seniorenbeirat benimmt sich, als hätte er es immer noch mit den Tattergreisen des Jahres 1950 oder 1850 zu tun, alten Knackern, die nur noch zu Hause sitzen, von Wehwehchen geplagt und auf Gehhilfen angewiesen.

Keine Frage. Die gibt es auch. Aber wenn immer mehr Leipziger immer älter werden, heißt das zwar auch, dass irgendwann (zumeist jenseits des 85. Lebensjahrs) die Pflegebedürftigkeit steigt, aber vorher sind auch die meisten Leipzigerinnen und Leipziger im Rentenalter quietschfidel, unternehmungslustig und geistig fit. Und die Umfrage hat deutlich gezeigt, dass sie auch noch jenseits von 75 alles tun, um ihren Alltag selbst zu gestalten und ihr Leben ohne ständige Bemuddelung und Bevormundung zu organisieren.

Etwas, was Kerstin Motzer, die Seniorenbeauftragte der Stadt, regelrecht verblüffte: Die Alten wollen gar nicht unbedingt in barrierefreie Wohnungen irgendwo anders hin umziehen.

Deutlicher kann auch eine Seniorenbeauftragte gar nicht äußern, dass die komplette Seniorenpolitik der Stadt Leipzig auf eine Art Senioren abgestellt ist, die es so nicht (mehr) gibt.

Das wird auch in der Wichtung der Fragen deutlich, die allesamt im hochweisen Seniorenbeirat der Stadt ausgekaspert wurden. Und das Thema Mobilität fällt als Fehlstelle regelrecht auf.

Obwohl es auch dazu mehrfach Warnzeichen gegeben hat – in den „richtigen“ Bürgerumfragen, bei denen alle Altersjahrgänge der Leipziger jährlich befragt werden. Da wurde 2015 sehr deutlich, dass das Pkw-Problem in Leipzig auch eines der älteren Verkehrsteilnehmer ist. Denn wo die Jungen schon längst begonnen haben, auf den fahrbaren Untersatz zu verzichten, ist der Autobesitz der Leipziger Senioren über all die Jahre immer weiter gestiegen. Kaum eine Bevölkerungsgruppe ist reicher mit Pkw ausgestattet als Rentnerpaare. Nur in 12 Prozent der Haushalte von Rentnerpaaren gibt es kein Auto.

Und das hat Gründe.

Aber nur einen hat man in der Befragung der Älteren abgefragt: Die Erreichbarkeit der nächsten ÖPNV-Haltestelle im Umkreis von 300 Meter. Auf den ersten Blick sieht das Ergebnis gut aus: zwischen 75 und 90 Prozent der Befragten gaben an, dass es eine solche Haltestelle in Wohnungsnähe gibt.

Und trotzdem verzichten gerade Rentnerehepaare nicht aufs Auto.

Ein Grund dafür wurde in der „Bürgerumfrage 2015“ sichtbar: Das Ding steht nämlich gleich vorm Haus. 75 Prozent der Leipziger, die in Mietwohnungen leben, bezahlen nullkommanix für den Parkplatz draußen auf der Straße, bei Eigentumswohnungen und Eigenheim steigt dieser Wert noch. So sehen Leipzigs Straßen dann auch aus – selbst tagsüber, wenn die Erwerbstätigen alle auf der Arbeit sind: zugeparkt mit Autos, die oft nur einmal in der Woche für den großen Einkauf bewegt werden.

Aber warum fahren denn die Senioren dann nicht mit dem ÖPNV?

Die Antwort war schon 2015 so deutlich: Weil der ÖPNV in Leipzig als zu teuer empfunden wird.

Verwaltung und Stadtrat müssen nur in die Bürgerumfrage schauen und sehen, dass 71 Prozent der Rentner den ÖPNV als zu teuer empfinden. Was übrigens nur 2 Prozentpunkte über dem Wert aller Befragten liegt. Es ist ja nicht so, dass die Mehrzahl der Jüngeren in Geld schwimmt.

Der Hauptgrund für das Nichtnutzen des ÖPNV war und ist der als zu hoch empfundene Fahrpreis.

Nach Barrierefreiheit wurde leider nicht gefragt.

Aber zum Glück haben Leipzigs Statistiker 2015 die Frage auch anders herum gestellt: Welche Gründe gibt es eigentlich für die häufige ÖPNV-Nutzung?

Und da sagen auch die Senioren ziemlich eindeutige Dinge.

61 Prozent geben die günstig gelegene Haltestelle an, 44 Prozent betonen, sie müssten dann eben keinen Parkplatz suchen, 29 Prozent bestätigen, dass sie dann kein Auto brauchen. Nur das mit dem Fahrpreis ist für die wenigsten ein Grund, in Bahn und Bus zu steigen.

Die Botschaft war eigentlich schon sehr deutlich: Leipzig braucht ein gerechteres Tarifsystem, das die möglichen Nutzer nicht abschreckt.

Und noch eine Aussage war deutlich, auch wenn die Botschaft bei der Mehrheit der Stadträte noch nicht angekommen ist: Die Mehrheit der Leipziger lehnt ein „Bürgerticket“ ab. Bei den Älteren liegt die Ablehnung bei 59 Prozent gegenüber 24 Prozent Befürwortern.

Und noch eine Information steckt in der Bürgerumfrage: Nicht genutzt wird der ÖPNV vor allem dort, wo das Liniennetz dünn ist und damit die Alternative Auto oder ÖPNV ganz deutlich Richtung Auto ausschlägt.

Wenn jetzt also über den Nahverkehrsplan und das künftige Liniennetz debattiert wird, dann muss auch die ältere Bevölkerungsgruppe mitgedacht werden. Bis hin zu der Tatsache, dass man den ÖPNV so barrierefrei macht, dass man auch jenseits der 65 problemlos aufs Auto verzichten kann.

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