Anfang März veröffentliche das Leipziger Wirtschaftsdezernat ein Maßnahmen- und Umsetzungskonzept „Leipzig – Stadt für intelligente Mobilität“, das sich, bei genauerem Lesen, wieder nur als ein Sammelsurium unterschiedlicher Maßnahmen las, die irgendwie alle zu einer „Stadt für intelligente Mobilität“ zusammenfließen sollen. Aber selbst die SPD-Fraktion ist mit dem Papier nicht zufrieden.

„Die Vorlage ist ein wichtiger Meilenstein für den Anspruch, Leipzig zur Elektromobilitätshauptstadt zu entwickeln. Allerdings ist der Charakter als Informationsvorlage recht unverbindlich“, stellt die SPD-Faktion nun in einem Änderungsantrag fest. „Gerade die Projektverantwortlichkeiten und Zeitpläne sind bisher nur als Absichten formuliert. Mit einem bewussten Auftrag an die Stadtverwaltung, die Maßnahmen weiter voranzutreiben, sollen die tatsächliche Umsetzung des Maßnahmenkonzepts, insbesondere die Erstellung der endgültigen Einzelbeschlussvorlagen unterstützt und beschleunigt werden.“

Ein Problem des Papiers – für das das Wirtschaftsdezernat extra das Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH in Berlin nebst einem Dutzend  Leipziger Akteure einbezogen hat – ist die Tatsache, dass es sich eigentlich in das von OBM Burkhard Jung geplante Mobilitätskonzept der Stadt eintakten muss. Alle Pläne für spezielle elektrische Einzelprojekte nutzen ja nichts, wenn die Gesamtvision der Stadt eine völlig andere Gewichtung der Mobilität vorsieht.

„Das Maßnahmen- und Umsetzungskonzept soll als Grundlage dafür dienen, die Stadt Leipzig gemeinsam mit Unternehmen, Wissenschaft und den Bürgern als ‚Stadt für intelligente Mobilität‘ zu etablieren. Es stellt eine Konkretisierung und praktische Umsetzung des Grundsatzbeschlusses zur Förderung intelligenter Mobilitätslösungen dar. Dabei fungiert die Elektromobilität als Schlüssel für intelligente Mobilitätskonzepte“, meint das Wirtschaftsdezernat.

Davon konnte aber die SPD-Fraktion nichts finden.

Man nehme nur das Handlungsfeld E-ÖPNV, zu dem das Papier verrät: „Der elektrische Antrieb im ÖPNV ist gegenwärtig noch auf eine weitestgehend ununterbrochene Stromzufuhr durch eine Oberleitung – seltener auch durch eine Stromschiene – angewiesen. Alternative Stromversorgungen sind bisher über ein Technologieerprobungs- und Versuchsstadium nicht hinausgekommen. Derzeit wird jedoch nicht nur unter Umweltgesichtspunkten, sondern insbesondere auch vor dem Hintergrund steigender Preise für fossile Energieträger, neuen Formen der elektrischen Antriebstechnik beim ÖPNV – und hier insbesondere auch der Stromversorgung – eine große Aufmerksamkeit gewidmet: Im Vordergrund stehen der vollelektrische Bus mit Batteriebetrieb und Möglichkeiten der induktiven Zwischenladung an Haltestellen im Linienverlauf. In Wien und in Genf werden gegenwärtig in einem der EU geförderten Projekt auch technische Lösungen für eine konduktive Zwischenladung erprobt. Die
Alltagstauglichkeit eines E-Busses wird in Dresden und Leipzig im Rahmen des Schaufensterprojektes erprobt (BMVI 2014, Difu 2014).“

Auf ÖPNV und den Nahverkehrsplan geht das Papier zwar noch einige Male ein. Aber nirgendwo gerinnt es zu dem, was der Titel der Broschüre verspricht: „Leipzig – Stadt für intelligente Mobilität“.

Das Problem ist nicht das E, sondern das I.

Denn die aufgezählten E-Projekte kennt man alle schon. Jedes einzelne wird immer wieder als Durchbruch zu einer neuen Innovationsstufe gefeiert, als grandiose Technik der Zukunft. Und immer wieder bleibt der Hype in den Mühen des Tages stecken. Beim Elektroauto betont es die Broschüre sogar extra.

Man fragt sich sogar, was das Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) eigentlich an innovativem Beitrag zu dieser Broschüre beigetragen hat, denn das Versprochene fehlt: die Definition, was eine intelligente Mobilität in einer modernen Großstadt eigentlich ist. Das ist das fehlende I.

Stattdessen springt die Broschüre sofort auf die Stichworte „postfossile Mobilität“ und „Elektromobilität“: „Die Transformation der Verkehrslandschaft in eine postfossile Mobilitätskultur wird weltweit als eine große Herausforderung verstanden, insbesondere vor dem Hintergrund der weltweiten Diskussion um die Verknappung nicht erneuerbarer Energieträger und dem Klimawandel. Auf dem Weg zu einer postfossilen Mobilitätskultur hat das Thema Elektromobilität in jüngerer Vergangenheit eine Renaissance erfahren.“

Denn schon ein wenig Nachdenken über Mobilität in Leipzig sagt, dass ein Großteil der Mobilität künftig auch ohne E auskommen wird, dass eine moderne Großstadt ihre Bewohner sogar dazu animieren wird, den Großteil ihrer Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückzulegen.

Was übrigens auch im Leitideal der Stadt so niedergeschrieben ist: Stadt der kurzen Wege.

Es ist schlicht zu kurz gesprungen, den Großteil der heute überflüssigerweise mit fossilen Brennstoffen zurückgelegten Wege künftig mit Elektromotoren zurückzulegen.

Das heißt – für dieses Konzept genauso wie für das von Burkhard Jung angedachte Mobilitätskonzept – die Klärung der Frage: Wie viel Raum welche Verkehrsarten künftig im Leipziger Mix bekommen sollen und wie man sich den Mobilitätsmix künftig intelligent gestaltet vorstellt. Was mindestens zwei Implikationen hat: den nicht steuerbaren und auch nicht zu steuernden Individualverkehr mit Rad und Schusters Rappen, der dennoch die besten Bedingungen vorfinden muss. Und ein intelligentes Mobilitätssystem aller motorisierten Verkehrsarten.

Denn – das fehlt im Konzept ebenfalls – der heutige motorisierte Verkehr in Leipzig ist ein mehr oder weniger stark reguliertes Chaos. Die Möglichkeiten einer wirklich vernetzten und (hier kommt das I) intelligenten Verkehrsflussregulierung werden gar nicht genutzt. Denkbar ist die nämlich schon: ein komplett vernetztes System, das die Durchflussgeschwindigkeiten in allen Hauptstraßen reguliert, Straßenbahnen und Bussen wirklich Vorfahrt verschafft und den Motorisierten Individualverkehr ebenfalls beim Fluss durch die Stadt steuert. Wenn man den Verkehr nun mit E einfach wieder genauso chaotisch passieren lässt, hat man ja nichts gewonnen.

Manches steckt ja schon als Nukleus in den ganz unverbindlich aufgelisteten Projektbausteinen. Etwa in „D.9 Konzept für die Nutzung von Smart Metern als intelligentes Mobilitätsvernetzungssystem“. Was übrigens sowieso passieren wird: „In Leipzig sind bereits ca. 3.000 Smart-Meter installiert. Es soll erforscht werden, ob diese als Schnittstelle Zugang zu Mobilitätsangeboten bieten sowie ggf. Ladeinformationen eines Elektrofahrzeugs übermitteln können.“

Die Welt der Stromerzeugungsanlagen, der Speicher, Abnehmer und Fahrzeuge wird künftig wirklich vernetzt sein, schon allein, um die Energieströme optimal leiten zu können.

Der Denkschritt zur Optimierung der Verkehrsströme liegt auf der Hand. Während für viele aufgezählte Einzelprojekte die Entscheidungshoheit gar nicht in Leipzig liegt. Und manche sind schlicht sehr aufwendig, ohne dass absehbar ist, dass sie in nahen Zeiträumen irgendeinen wirtschaftlichen Sinn ergeben. Es sei denn, die Stadt hat den Mumm, ganze Stadtquartiere nur noch für E-Fahrzeuge befahrbar zu machen oder gar das Thema autofreier Quartiere auf die Agenda zu nehmen. In dem Papier steckt noch immer der Glaube, man könne intelligente Mobilität nur mit noch mehr Technik erlangen.

Und wenn Vieles so vage bleibt, liegt die Vermutung nahe, dass über Sinn und Notwendigkeit etlicher Vorschläge überhaupt nicht richtig nachgedacht wurde.

Was die SPD-Fraktion nun zu dem Antrag bringt: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, die in der Informationsvorlage benannten Maßnahmen weiter voranzutreiben und dem Stadtrat in Einzelbeschlussvorlagen vorzulegen. Dazu sollen in einem ersten Schritt die Projektverantwortlichkeiten und die Zeitpläne für die Einzelmaßnahmen verbindlich festgelegt werden. Die Fachausschüsse Stadtentwicklung und Bau sowie Wirtschaft und Arbeit werden hierüber und über den weiteren Fortgang der Maßnahmenentwicklung regelmäßig informiert.“

Was ja, wenn man es ernst nimmt, bedeutet, dass die Zahl der vorgeschlagenen Projekte deutlich eingedampft werden muss – nämlich auf die, die überhaupt eine realistische Chance zur Umsetzung in den nächsten Jahren und in Leipziger Hoheit haben.

Alle anderen bilden nur Füllmaterial, das nach „viel“ aussieht, aber von niemandem in Leipzig wirklich geleistet wird.

Erst wenn man das Machbare definiert hat, kann man Umsetzungsfristen definieren und diese dann auch einfordern, wie es die SPD will.

Weniger ist manchmal eine ganze Ecke mehr.

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