Da hat aber der Wirtschaftsjournalist Helge-Heinz Heinker was angerichtet, als er bei einer Pressekonferenz mit Oberbürgermeister Burkhard Jung am Dienstag, 28. Februar, mal so beiläufig nach neuen Tunnelbauplänen fragte. Und siehe da: Der OBM lässt zumindest darüber nachdenken. Und das gibt jetzt richtig Feuer im Stadtrat.
Denn eigentlich schwenkt er damit auf eine Linie, die die Ratsversammlung in den vergangenen fünf Jahren erst mühsam verlassen hat, nachdem man festgestellt hatte, dass all die alten Pläne zu Tunneln, Tangenten und Ringen das Verkehrsproblem in Leipzig weder entschärfen noch lösen. Im Gegenteil: Die enorm teuren Straßenbauprojekte zeigen kaum die Wirkung, die man sich ursprünglich von ihnen versprochen hat. Deswegen hatte die Ratsmehrheit ja darauf gedrungen, dass endlich ein neuer Nahverkehrsplan für Leipzig entwickelt wird. Denn es ist der Nahverkehr, der nun seit Jahren das Stiefkind der Stadtpolitik war und auch noch immer ist, auch wenn die LVB in diesem Jahr endlich wieder 16 neue Straßenbahnen bekommen.
Was an der Begrenztheit des Systems nichts ändert. Wenn Leipzig künftig den Verkehrskollaps verhindern will, braucht es ein deutlich besser ausgebautes ÖPNV-System. Die Ratsfraktionen wurden sogar noch konkreter und beantragten drei verschiedene Szenarien, über die dann diskutiert werden könnte.
Aber irgendwie will es OBM Burkhard Jung noch größer, hat die drei Szenarien wieder kassiert und möchte jetzt eine übergreifende Mobilitätsbetrachtung – in der dann wieder eine Menge Autoverkehr steckt. Was dann seine Äußerungen vom Dienstag erklärt, mit denen er auch bestätigte, dass über einen Ost-West-Tunnel für die S-Bahn genauso nachgedacht wird wie über die mögliche Untertunnelung des Leipziger Auwaldes im Süden, um dort für den Kfz-Verkehr einen Lückenschluss herzustellen.
Ursprünglich war hier eine Schneise für den sogenannten Mittleren Rig vorgesehen – das Traumprojekt aus Zeiten des Leipziger Stadtplaners Engelbert Lütke Daldrup, mit dem der Kfz-Verkehr schon weit vor dem überlasteten Innenstadtring umgeleitet werden sollte. Die Pläne im südlichen Auenwald waren das erste, was gestrichen werden musste, denn der Naturschutz verbietet ein solches Projekt hier schlichtweg.
Und gescheitert ist das Projekt eigentlich auch im Nordwesten, dort, wo für über 60 Millionen Euro tatsächlich ein erster Abschnitt gebaut wurde. Denn die Autofahrer nutzen diese ausgebaute Strecke kaum. Noch immer strömt ein Großteil des Verkehrs auf die Georg-Schumann-Straße, die man eigentlich entlasten wollte, und fädelt sich dann ziemlich chaotisch, wie Jung feststellt, in die diversen Verbindungen Richtung Innenstadt. Ein ungelöstes Problem. Was tun?
Augenscheinlich neigt der OBM dazu, nun wieder die alten Pläne zu Ringen und Tangenten aus der Schublade zu ziehen und die Stadtplaner zu animieren, über große technische Lösungen nachzudenken, obwohl das Beispiel sämtlicher westdeutscher Großstädte zeigt, dass mehr Straßenbauwerke nur noch das Kfz-Aufkommen verstärken – das Problem aber nicht lösen. Die rapide Zunahme des Kfz-Bestands in Leipzig macht ihm sichtlich Sorgen.
Da sieht nun die CDU-Fraktion wieder eine Rückkehr zur alten Politik.
Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat, Frank Tornau, begrüßt die Überlegungen des Oberbürgermeisters zu einem zweiten S-Bahn-Tunnel und Tunnellösungen für den Individualverkehr.
„Auf Nachhol- und Entwicklungsbedarf im Bereich des Autoverkehrs weist die CDU-Fraktion seit Jahren hin. Ich freue mich, dass der Oberbürgermeister nun offenbar selbst eine Kehrtwende in der Leipziger Verkehrspolitik einläutet, nachdem die zuständige Bürgermeisterin sich dieser Herausforderung seit ihrem Amtsantritt kontinuierlich verweigert“, so Tornau.
Die Reaktion der Stadtverwaltung auf die Vergrößerung des Kfz-Bestandes sei „die Abschaffung von PKW-Stellplätzen und die exzessive und willkürliche Installation von Fahrradbügeln“ gewesen, meint seine Fraktion. „Das hatte die CDU-Fraktion bereits in der Haushaltsdebatte kritisiert und angemahnt, dass sich die Führungsspitze des Planungsdezernates aus ihrem ideologischen Gefängnis befreit.“
Zuerst mit einer Trogidee war dann auch die CDU-Fraktion aufgetaucht. Die CDU hatte im Dezember 2016 beantragt, eine Tieferlegung des Autoverkehrs vor dem Hauptbahnhof mittels einer Troglösung zu prüfen.
Den nun vorliegenden positiven Verwaltungsstandpunkt zum CDU-Antrag hält Tornau für ein ermutigendes Zeichen: „Wir glauben nicht, dass der Öffentliche Nahverkehr und der Individualverkehr einer künftigen Dreiviertelmillionenstadt Leipzig noch auf einer Ebene abwickelbar ist. Das habe ich bereits in der Haushaltsrede am 18. Januar 2017 im Rat gesagt. Ich freue mich, dass der Oberbürgermeister das mittlerweile genauso sieht“, so Tornau weiter und verspricht abschließend: „Auf die Unterstützung der CDU bei einer Neuausrichtung der Verkehrspolitik kann Herr Jung sich verlassen.“
Das ermutigende Zeichen kann trügen. Denn postwendend weist die Grünen-Fraktion darauf hin, dass der Stadtrat den OBM eben nicht beauftragt habe, Tunnellösungen für den Kfz-Verkehr zu prüfen, sondern neue Szenarien für den Nahverkehr.
Von einem Handstreich des Oberbürgermeisters spricht Daniel von der Heide, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Es ist schon erstaunlich, wie der Oberbürgermeister immer wieder meint, sich über Stadtratsbeschlüsse hinwegsetzen zu können und sich so zum vermeintlichen Heilsbringer aufspielt. Die vom Stadtrat beauftragte Erarbeitung einer Strategie zur weiteren Stärkung des Umweltverbundes wird durch seinen drastischen Schwenk zugunsten des motorisierten Individualverkehrs ad absurdum geführt. OBM Jung ignoriert damit nicht nur die Vorgaben der politischen Mehrheit sondern auch sämtliche fachlich fundierten Vorschläge der entsprechenden Fachverwaltungen. Selbst bei öffentlichen Auftritten scheint er nicht darauf zurückgreifen zu wollen.“
Und dann hat er einfach den Stadtratsbeschluss von 2016 aus der Schublade geholt und hineingeschaut. Und eindeutig verkehren die Ideen für neue Ring- und Tangentenlösungen den bestätigten Verwaltungsvorschlag vom Januar 2016 ins Gegenteil.
„Ich frage mich dabei, woher der selbsternannte Verkehrsfachmann Jung das Selbstverständnis nimmt, sowohl die beschlossenen Ziele des Stadtentwicklungsplanes Verkehr und Öffentlicher Raum (STEP Verkehr) zu konterkarieren, als auch die Strategien zur Stärkung des Umweltverbundes zu untergraben“, sagt von der Heide. Und kommt dann auf das Hauptproblem zu sprechen, das mit neuen Straßen- und Tunnelbauprojekten auftaucht: Sie werden alle richtig teuer. „Im übrigen würde ein Tunnel von Ost und West aufgrund von Planungsvorlauf, Bauphase usw. keinesfalls bis 2030 fertiggestellt sein – von der finanziellen Dimension mal ganz abgesehen – und ist daher keine Lösung für die Verkehrsprobleme, vor denen Jung selbst warnt. Die Mobilitätsszenarien hätten ja die Chance geboten, sich dem Problem fachlich fundiert zu nähern. Aber Herrn Jung ist ein großer Auftritt offensichtlich wichtiger, als sich auch mit unbequemen Ergebnissen ernsthaft auseinanderzusetzen. Er zeigt damit nicht nur, dass er den STEP Verkehr nicht im Ansatz verstanden hat.“
Eigentlich war man da mit dem Beschluss zum Nahverkehrsplan nach zehn Jahren Stillstand endlich an den Punkt gekommen, über die Weiterentwicklung des ÖPNV in Leipzig nachzudenken. Denn die Großstädte der Zukunft werden nur noch funktionieren, wenn sie einen gut ausgebauten Nahverkehr haben. Dass die Menge der Autos wächst, hat ja seine Ursachen auch darin, dass der ÖPNV den Herausforderungen in vielen Teilen nicht mehr genügt.
„Die wachsende Stadt zwingt uns natürlich dazu, einem drohenden Verkehrskollaps entgegenzuwirken. Dass dies nicht dadurch gelöst werden kann, indem man dem motorisierten Individualverkehr zusätzlichen Raum zur Verfügung stellt, sondern über einen attraktiven Verbund aus ÖPNV, Radverkehr und Car-Sharing sowie einer Stadt der kurzen Wege, hat offenbar noch nicht den Weg in sein Verständnis gefunden“, kritisiert von der Heide.
Und Norman Volger, umweltpolitischer Sprecher, fügt hinzu: „Es ist schon absurd, dass Herr Jung mit Vorschlägen vorprescht, Leipzigs grüne Lunge, den Auwald, untergraben zu wollen, um dem Autoverkehr mehr Raum zu geben. Nicht nur die Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik sind ihm fremd, auch von Umweltpolitik hat er keine Fachkenntnis. Vielleicht sollte er lieber stärker auf den entsprechenden Sachverstand der Fachexperten zurückgreifen, statt wieder einmal eine wilde Sau durchs Dorf zu treiben.“
Und er sieht noch ein Problem.
Volger: „Mit seiner Pressekonferenz wird darüber hinaus einmal mehr deutlich, wie weit er sich eigentlich von der eigenen Verwaltung entfernt hat. Die eigens ins Leben gerufenen Führungsleitlinien haben sich als nicht mehr als ein laues Lüftchen entpuppt, welches keiner mehr durchkreuzt als der, der sie in Auftrag gegeben hat. OBM Jung sollte sich endlich durch eigene Zurückhaltung und Achtung der fachlichen Expertisen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf eine Stärkung des Wir-Gefühls der eigenen Verwaltung bemühen, statt in allen Dezernate nach eigenem Gutdünken und vermeintlichen Sachverstand in allen Fachfragen durchzuregieren, Sachverstand von Führungskräften zu übergehen und wiederholt durch Besserwisserei und Machtgehabe in nahezu allen Bereichen aufzufallen und so die fachlich verantwortlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gegeneinander auszuspielen. Wir fordern den Oberbürgermeister dazu auf, mit Politik und Verwaltung zusammenzuarbeiten, Ihre Kompetenzen anzuerkennen und zu fördern, statt diese zu spalten bzw. zu ignorieren!“
Der im Januar 2016 vom Stadtrat gefasste Beschluss:
Im Rahmen der Erarbeitung des Nahverkehrsplans werden mindestens 3 Szenarien zur Weiterentwicklung des ÖPNV in Leipzig untersucht. Neben den unterschiedlichen Leistungsbeschreibungen mit Schätzungen der Kosten und Zuschüsse sollen dabei auch zukunftsweisende Kriterien in die Erarbeitung der Szenarien einbezogen werden. Die Ergebnisse sind mit Bürgerschaft und Politik zu diskutieren.
Begründung:
Es ist ausdrücklich zu begrüßen, als nächsten großen Schritt zur Weiterentwicklung des Nahverkehrs in Leipzig, in Szenarien Möglichkeiten der Ausweitung des ÖPNV-Angebotes zu betrachten. Dabei sollten aber nicht nur das Leistungsangebot und der Zuschussbedarf der öffentlichen Hand betrachtet werden, sondern weitere zukunftsweisende Kriterien einbezogen werden, um die beschlossenen Ziele des Stadtentwicklungsplans Verkehr und öffentlicher Raum zu erreichen. Dies sind z. B. die Ausweitung des Straßenbahnnetzes (Neubaustrecken), die Entwicklung des Fahrzeugparks (neue Straßenbahnen), die Verringerung des Fußweges bis zur Haltestelle (kürzere Haltestellenabstände, Quartiersbusse) oder generell der barrierefreie Ausbau des ÖPNV. Diese Szenarienbetrachtung sollte nicht von vornherein durch das Setzen von finanziellen Grenzen eingeschränkt werden, sondern das bestmögliche Gesamtpaket für eine Weiterentwicklung des ÖPNV in Leipzig ermitteln. Diese Ergebnisse sind dann mit Bürgerschaft und Politik zu diskutieren.
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