Wo steht Sachsen wirklich bei der Schaffung der nötigen Mobilitätsstrukturen von Morgen? Darum ging es ja eigentlich in der Fachregierungserklärung von Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) am Mittwoch, 15. März, im Landtag. Für Manchen war sie eine Enttäuschung. Das Thema ist einfach viel zu breit angelegt – reicht von den (klemmenden) Schienenausbauprojekten bis zum Radverkehr. Allein der Nahverkehr ist ein Brand-Thema, das auch die SPD bewegt.
Was dann nach Duligs Rundumschlag immerhin Thomas Baum, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, noch einmal dezidiert ansprach. Denn da draußen warten eine Menge Sachsen darauf, dass die Staatsregierung endlich ein handfestes Zukunftsprogramm auflegt.
„Wir sind gerade mal in der Halbzeit der Legislaturperiode angelangt und haben seitdem schon sehr viel erreicht“, meinte zumindest Thomas Baum. „,Mobilität für Sachsen‘ ist nicht nur eine Beschreibung dessen, was wir bisher erreicht haben. Zum ersten Mal in der Geschichte Sachsens haben wir eine Strategiekommission für den öffentlichen Nahverkehr eingerichtet, in der wir die zentralen Zukunftsfragen der Mobilität diskutieren und gemeinsam nach Lösungen suchen.“
In der Kommission, die langsam aber sicher auf die Zielgerade komme, „geht es einzig und allein darum, wie wir in Sachsen auch in Zukunft bezahlbar, verlässlich und innovativ mobil sein können“.
Für das vierte Quartal 2017 erwartet der Landtag dann den Abschlussbericht samt konkreten Handlungsempfehlungen.
Da kann man schon ungeduldig werden.
Denn das, was derzeit viele Kommunen (nicht nur Leipzig) erleben, ist eine fatale finanzielle Klemme: Aus eigener Kraft können sie kaum noch einen attraktiven Nahverkehr unterhalten, suchen verzweifelt nach „alternativen Finanzierungsquellen“.
Aber alle wissen auch, dass es eine Mobilitätszukunft in Sachsen ohne einen attraktiven Nahverkehr nicht geben wird.
„Sachsen braucht die Verkehrswende mit Bussen und Bahnen an der Spitze. Dazu muss nicht nur der Öffentliche Nahverkehr umfassend reformiert, sondern auch eine gesellschaftliche Debatte über unsere zukünftige Mobilität geführt werden“, kommentiert denn auch Marco Böhme, Sprecher für Mobilitätspolitik der Linksfraktion, die Ministerrede. „Minister Dulig hat die Chance verpasst, zu einer solchen Debatte beizutragen, und auch keine wirkliche Halbzeitbilanz gezogen. Denn zentrale Punkte des Koalitionsvertrages – wie das Bildungsticket für ganz Sachsen – sind noch nicht umgesetzt. Das ist kein Wunder, weil die CDU-SPD-Regierung dem ÖPNV Geld entzieht. Die 50 Millionen Euro an Regionalisierungsmitteln, die seit dem Bund-Länder-Kompromiss im Jahr zusätzlich nach Sachsen fließen, kommen nicht vollständig bei den Zweckverbänden an. Dieses Geld wird dringend gebraucht – für kostenlose Schülerbeförderung, qualitative Verbesserungen im ÖPNV, mehr barrierefreie Stationen, Investitionen in Busse und Bahnen oder ein sachsenweites Sozialticket.“
Und er erinnerte daran, dass Mobilität auch gesellschaftliche Teilhabe bedeutet – oder eben auch Ausschluss davon: „Die soziale Dimension der Mobilität gehört in den Fokus. Uns geht es nicht nur um die Verkehrsart, um Fahrzeuge und Infrastruktur, sondern auch darum, ob alle Menschen ihre Mobilitätsbedürfnisse sicher, kostengünstig und stressfrei befriedigen können. Das ist bisher nicht der Fall. So gibt es nicht wenige Kinder, die stundenlang auf dem Schulweg sind und dabei gefährlichen Verkehrssituationen begegnen.“
Das Auto wird nicht die Verkehrszukunft sein, da ist sich Böhme sicher: „Die soziale und ökologische Verkehrswende wird nicht gelingen, ohne die Verkehrsmittelwahl umzustellen – weg vom herkömmlichen motorisierten Individualverkehr, wo das geht, und hin zu einer besseren ÖPNV-Struktur, mehr Car-Sharing, Fahrradverkehr und Fortbewegung zu Fuß. Sonst wird die Energiewende nicht funktionieren. Zur Umsetzung des Koalitionsvertrages und für mehr Transparenz haben wir heute eine Große Anfrage (Drucksache 6/8865) eingereicht. Wir wollen wissen, wie sich die Mobilitätskosten entwickeln, wie die Bevölkerung Zugang zu Mobilitätsdienstleistungen hat, wie es um die Verkehrssicherheit bestellt ist. Es geht uns um die gesundheitlichen Auswirkungen des Verkehrssystems, um die Erreichbarkeit öffentlicher Einrichtungen, um Mobilitätsbildung und Mobilitätsfinanzierung.“
Und auch Katja Meier, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen, las dem Minister die Leviten.
Sie zitierte gleich mal aus dem Koalitionsvertrag von CDU und SPD: „Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Sachsen muss mit dem Ziel der wirksamen Anbindung des ländlichen Raums an die Ballungszentren weiterentwickelt werden. Die Erschließung einer Region ist Aufgabe der Daseinsvorsorge und darf nicht allein aus wirtschaftlicher Perspektive bewertet werden.“
Auch sie kritisierte Dulig für das noch immer fehlende Bildungsticket. „Sie wollten ein einheitliches, sachsenweit gültiges und kostengünstiges Bildungsticket einführen. Bis zum 31.12.2015 sollte ein Vorschlag für die Einführung eines solchen Bildungstickets vorliegen. Der Termin ist seit fast 15 Monaten verstrichen und bisher wurde kein Konzept zum Bildungsticket vorgestellt. Ja, ich weiß, die Umsetzung ist sehr komplex und schwierig. Aber nun – wie es derzeit in Rede steht – das Bildungsticket nur in einer Modellregion zu testen, ist doch Nonsens“, stellt sie fest. „Ein Bildungsticket hat doch nur Sinn, wenn es sachsenweit gültig ist.“
Man merkt, dass die Landtagsabgeordnete regelrecht enttäuscht ist. Denn auch ein grünes Kernprojekt – nämlich der Integrierte Taktfahrplan – hatte in den Koalitionsvertrag Einzug gehalten. Aber die Umsetzung fehlt.
„All das sollte idealerweise in der ÖPNV-Strategie-Kommission abgearbeitet werden. Ja die Kommission ist etabliert, ja sie arbeitet und ich hoffe, dass im Sommer auch endlich was auf dem Tisch liegt“, so Meier.
Aber sie glaubt nicht so sehr wie Thomas Baum, dass die Strategiekommission tatsächlich Wunder vollbringt.
„Ich sehe aber nach langer und sehr aktiver Teilnahme zwei wesentliche Defizite: Diese Kommission hat keine konkreten Ziele formuliert, was sie eigentlich am Ende erreicht haben will. Und genau das haben Sie von Anfang an so kalkuliert: je unkonkreter, umso weniger konkrete Handlungsempfehlungen, die auch Geld kosten könnten, lassen sich ableiten. Legendär sind Aussagen vor der Haushaltsverhandlung Ende letzten Jahres, dass die Kommission keine Empfehlungen für den Doppelhaushalt geben werde. Das ist verrückt!“, sagte Meier am Rednerpult.
Sie ging auch auf die fehlenden Konzepte für den Radverkehr ein und das schleppend vorankommende Thema Elektromobilität.
Mit einer Großen Anfrage wollen die Grünen auch gern ein paar grundlegende Zahlen zur sächsischen Verkehrspolitik bekommen. Denn Sachsens Mobilitätspolitik verliert sich nach wie vor in vielem Kleinklein. Das große, umfassende Gesamtpaket fehlt. Und die Zweifel, ob die nun seit zwei Jahren arbeitende Strategiekommission so etwas vorlegen wird, waren unüberhörbar.
Martin Duligs Rede „Mobilität in Sachsen“.
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