Am Donnerstag, 23. März, hat die IHK zu Leipzig wieder ein paar Daten aus ihrer Verkehrsstudie bekannt gemacht und daraus eine lange Forderungsliste für die Stadt abgeleitet, die vor allem Investitionen in neue Straßen bedeutet. Doch dieselben Daten können auch zu völlig anderen Erkenntnissen und Lösungen führen, stellt Franziska Riekewald, verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Stadtrat, fest.

Auch Die Linke wolle, dass der Wirtschaftsverkehr flüssig von A nach B rollen kann. „Wenn sich die IHK, wie behauptet, wirklich für den Wirtschaftsverkehr stark machen will, dürfte es ihr nicht allein um ein Mehr an Straßen gehen. Auch die IHK müsste ein Interesse an der Reduzierung des Berufsverkehrs haben, um Staus und verstopfte Straßen zu minimieren“, meint Riekewald.

Noch mehr Straßen aber bringen Autofahrer nicht zum Umsteigen. Im Gegenteil: Sie erhöhen das Gefühl, dass man mit dem motorisierten Mobil eben doch noch besser durchkommt als etwa mit Bus oder S-Bahn. Eigentlich ist das auch den Leipziger Stadtplanern längst bewusst, auch wenn der ÖPNV in den vergangenen zehn Jahren eher ausgebremst als gefördert wurde. Aber nichts bringt eine moderne Großstadt so zum Singen wie ein leistungsstarker ÖPNV. Der schafft nämlich auch das weg, was dem Wirtschaftsverkehr die Straßen versperrt.

„An dieser Stelle sollte man eher über Investitionen in P&R-Plätze und Jobtickets nachdenken, als in der Art einer tibetanischen Gebetstrommel stets nur mehr Straßen zu fordern. Nur wenn wir auf mehr Rad- und Fußverkehr setzen und natürlich den Öffentlichen Personennahverkehr stärken, werden die Pendler angeregt, ihr Auto auch mal stehen zu lassen. In diesem Sinne könnte sich sogar die Wirtschaft an der Finanzierung des ÖPNV beteiligen“, meint die Stadträtin der Linken.

Denn das beliebte Jobticket gibt es in Leipzig nur für größere Unternehmen, obwohl alle – von der IHK bis zum Wirtschaftsdezernat – wissen, dass 87,5 Prozent der Unternehmen in Leipzig weniger als 10 Beschäftigte haben – und damit für das viel gepriesene Jobticket gar nicht infrage kommen. Was dann wieder heißt: Die meisten Erwerbstätigen zahlen entweder für die immer teurer werdenden Normal-Abos. Oder sie fahren dann doch lieber mit dem Auto.

Es ist auch und gerade die Leipziger Verkehrspolitik, die völlig auf dem Kopf steht und die Leipziger geradezu dazu bringt, über das Aussteigen aus den Bussen und Bahnen nachzudenken. Denn Preis und Leistung klaffen an wichtigen Stellen einfach auseinander.

Und dann sind da noch die endlosen Blechkolonnen in den Straßen, auf Bürgersteigen und Kreuzungen. Wohin damit, fragt Riekewald.

„Auch das große Problem mit dem Parken lösen wir nicht durch mehr und breitere Straßen. Im Gegenteil, auch hier gilt es, den Rad- und Fußverkehr zu stärken. Es muss konsequent das Ziel der Stadt der kurzen Wege verfolgt werden. Nur wer Kindergarten, Schule, Einkaufen bei sich zu Hause um die Ecke hat, kann auf das Auto verzichten“, sagt sie.

Denn dadurch, dass die Stadt alle Kraftfahrzeugströme über die Radialen direkt auf den hochbelasteten Innenstadtring führt, sorgt sie auch dafür, dass der Platz für einen guten Ausbau von ÖPNV, Fuß- und Radwegen fehlt. Dadurch stecken alle Pläne, den „Umweltverbund zu stärken“, in der Sackgasse, stecken wichtige Veränderungen im ÖPNV- und Radwege-Netz in der Warteschleife. Und die Diskussion um die Szenarien für den Nahverkehrsplan hat schon gezeigt, dass die Verwaltungsspitze zögert, wirklich ein zukunftsfähiges Nahverkehrs-Programm aufzulegen. Es wäre kein Wunder, wenn das Ganze wieder in einem Kleinklein endet, das die grundlegenden Probleme gerade auf dem City-Ring nicht löst.

„Was die IHK anscheinend komplett außen vorlässt: Es geht eben nicht nur um leerere Straßen, sondern auch um andere Effekte“, merkt Franziska Riekewald noch an. „Zu viel Autoverkehr und breite Straßen können krank machen. Eine Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs kann durchaus gesundheitsschädliche Lärm- oder Staubbelastungen mindern. Davon profitieren alle Leipzigerinnen und Leipziger. Auch für Touristen ist eine grüne Stadt mit weniger Autos attraktiv und sollte somit auch für wirtschaftliche Effekte für Gaststätten, Hotels, Einzelhandel usw. sorgen.“

Sie gesteht der IHK durchaus zu, dass sie die richtige Erkenntnis gewonnen hat, dass nämlich „bei der aktuellen Aufteilung der Verkehrsarten der Pkw-Verkehr bis 2030 um 34 Prozent, der LKW-Verkehr um 32 Prozent steigen würde.“

„Genau das ist das Problem“, sagt sie dazu. „Wir benötigen eine veränderte Aufteilung der Verkehrsarten. Wir benötigen die im STEP Verkehr beschlossene Reduzierung des privaten motorisierten Individualverkehrs bis 2025 auf 25 Prozent. Nur so bleiben die Straßen frei für den Wirtschaftsverkehr.“

Diese Reduzierung hatte ja bekanntlich IHK und CDU auf die Barrikaden gebracht. Sie interpretierten den Wert als Ausbremsung des Kraftverkehrs. Aber tatsächlich steht hinter diesem Wert eine völlig andere Aufgabe: Eine echte Leistungssteigerung im ÖPNV.

Wenn es die mit dem jetzt zu beratenden neuen Nahverkehrsplan nicht gibt, dann ist der Beschluss sowieso für den Papierkorb. Dann ändert sich nichts, weil das Grundproblem nicht gelöst ist: die Zukunftstauglichkeit des öffentlichen Verkehrssystems, an dem gebastelt wird, als hätte man ein Jahrhundert Zeit, um mal auf eine höhere Leistungsstufe zu kommen. Hat man aber – wenn man den beschlossenen „Modal Split“ betrachtet – nicht. Denn den Sprung haben Leipzigs gewählte Vertreter für das Jahr 2025 beschlossen. Ernsthafte Ansätze, daraus ein belastbares Projekt zu machen, sind noch immer nicht zu sehen.

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