Manchmal muss man ja auch mal bei Anderen lesen, wie die das sehen mit dem ÖPNV und so. Kann ja sein, wir sitzen hier in Leipzig in unserem Mustopf und sehen die Dinge völlig falsch. In ihrer neuesten Ausgabe hat sich jetzt die „Zeit“ einmal das Angebot in den deutschen Großstädten vorgeknöpft. Leipzig kommt dort – was zu erwarten war – natürlich nicht in der Spitzengruppe vor.
Auch wenn es manch Verantwortlicher in Leipzig dort wohl erwartet hätte. Aber was bisher nur ein lokales Bauchgefühl war, bestätigt der Vergleich von Angebot und Preis, den die beauftragte Agentur Civity für „Zeit“ vorgenommen hat. Wobei das Neue dabei ist, dass diesmal sämtliche Abfahrten im Netz mit der Einwohnerzahl der Stadt direkt in Beziehung gesetzt wurden. Denn ein Nahverkehrssystem in einer Stadt ist umso attraktiver, je mehr Möglichkeiten des Einsteigens und Umsteigens es gibt. Im dichtvertakteten Angebot spiegele sich das hohe Interesse der Politik an einem wirklich attraktiven ÖPNV, betont „Zeit Online“, wo der Beitrag seit Donnerstag, 9. Februar, abrufbar ist.
In Leipzig wird zwar immer wieder gern das hohe politische Interesse am ÖPNV betont. Aber selbst wenn man nur die Leipziger Fakten allein betrachtet, sieht man, dass das so ernst nicht wirklich gemeint war. Dafür, dass Leipzig das zweitgrößte Straßenbahnnetz in Deutschland besitzt, ist das tatsächliche Angebot nur mittelmäßig.
Der Fahrgast bekommt tatsächlich nur, was die hohe Politik gnädig zugestanden hat.
Oder mit der Worten der „Zeit“: „Hinter den großen Unterschieden stecken laut Civity vor allem politische Gründe. Die Güte des jeweiligen Nahverkehrs spiegelt den Stellenwert wider, den eine Stadt ihren Bussen und Bahnen über Jahrzehnte eingeräumt hat.“
Wobei das große Gleisnetz der Straßenbahn vor allem das hohe Interesse der Politik am ÖPNV in den Jahren zwischen 1896 und 1990 widerspiegelt. Mit einigem guten Willen kann man auch noch die Zeit bis 2006 dazurechnen. Aber dann begannen die rigorosen Zuschusskürzungen sowohl auf der Landesebene als auch in Leipzig. Denn Politik wird über Geld gemacht.
Und Mancher will es einfach nicht einsehen: Wer Gelder für den ÖPNV kürzt, macht eindeutig Politik gegen den ÖPNV. Da kann er so oft Auto fahren, wie er will und noch so gute Gründe dafür haben, die Stadtholding LVV endlich zu sanieren. Denn wer sich erinnert: Die Kürzungen der Zuschüsse für die LVB wurden beschlossen, um die LVV zu entlasten, nicht um irgendwelchen europäischen Vergaberegeln zu genügen.
Das Ergebnis heute sieht genau so aus, wie es die „Zeit“ beschreibt: „Doch mit den Einnahmen lassen sich die dringend notwendigen Investitionen – insbesondere Sanierungen von Infrastruktur und der Ersatz betagter Fahrzeuge – nicht finanzieren. Schon heute schleppen die Verkehrsbetriebe einen Investitionsstau in Milliardenhöhe mit. Der wird sich auch in Zukunft kaum auflösen lassen, denn der Spagat zwischen Kosten und Einnahmen wird immer schwieriger.“
Über diesen Investitionsstau muss übrigens im Rahmen der Neugestaltung des Leipziger Nahverkehrsplans in diesem Jahr zwingend gesprochen werden. Die Zahlen gehören auf den Tisch. Die Ratsfraktionen wissen es, auch wenn sie sehr zaghaft dabei vorgingen, als sie den Zuschuss ab 2018 nur um 3 Millionen Euro erhöhten. Die Umweltverbände in Leipzig gehen zu Recht davon aus, dass die LVB nicht nur 45 Millionen Euro, sondern 60 Millionen Euro Zuschuss brauchen. Denn der aktuelle Zustand führt auch dazu, dass die steigenden Betriebskosten ganz allein über die Fahrpreise abgefedert werden.
Bei den Abo-Kosten liegt Leipzig zwar im Mittelfeld, ist aber schon deutlich teurer als Dresden, das im Vergleich aber mit einem deutlich besseren Angebot auffällt: Mit Würzburg und Bonn führt es die Tabelle bei den Abfahrten je 100 Einwohner an. Das sind 35 Abfahrten pro 100 Einwohner und das ist bundesweite Spitze.
Leipzig landet mit 25 Abfahrten im Mittelfeld. Schlusslichter sind Duisburg und Köln mit 17 Abfahrten.
Und das führt wohl – wie „Zeit“ vermutet – genau zu dem Effekt, der im Leipziger Modal Split zu beobachten ist: Der Anteil des ÖPNV an den täglichen Wegen der Leipziger stagniert bei 17 Prozent, während Städte wie Frankfurt, Stuttgart und Berlin auf deutlich über 20 Prozent kommen. Städte, die man nicht außer Acht lassen darf, denn alle drei haben gewaltige Pendlerströme zu bewältigen, genau das Thema, das auch in Leipzig immer stärker wird. Dazu braucht man einen wirklich leistungsstarken ÖPNV. Da hilft die derzeit praktizierte Gnadenbrot-Politik in Leipzig überhaupt nicht. Das braucht wirklich mutige Entscheidungen.
Ob es die freilich gibt, wo jetzt alle von „alternativen Finanzierungsmodellen“ träumen, die das von öffentlicher Hand gerissene Loch stopfen sollen, ist zumindest beim gegenwärtigen Stand der Dinge sehr fraglich.
Und damit nicht alle traurig sind, gibt es auch einen Fortschritt zu besichtigen:
Zum ersten Mal haben alle Leipzigerinnen und Leipziger auf der Verbrauchermesse „Haus-Garten-Freizeit“ vom 11. bis 19. Februar die Möglichkeit, die XL, die neue Leipziger Straßenbahn von Solaris, von Innen und Außen zu erleben. Vor der Glashalle der Messe präsentieren die Verkehrsbetriebe das neue Fahrzeug und bieten vor Ort Führungen an.
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