Die gute Nachricht lautet: Es wird diskutiert. Es wird auch weiter diskutiert. Vor über zwei Jahren bekam der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) von seinen Mitgliedskommunen den Auftrag, nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten für den ÖPNV zu suchen. Denn wenn es keine gibt, drohen die Kostensteigerungen das Angebot von Bus und Straßenbahn zu zerfressen.
Wie alle anderen Dinge in dieser Welt steigen auch im Nahverkehr die Kosten: Sprit und Strom werden teurer, das Personal hat Anspruch auf Tarifsteigerungen, die neuen Fahrzeuge und das Bauen von neuen Gleisen werden immer teurer, die Dienstleistungen Dritter werden ebenso teurer.
Mit rund 3 Prozent Kostensteigerung rechnet der MDV pro Jahr. „Schön wäre es, wenn es auch nur 1,5 Prozent wären“, sagt Steffen Lehmann, Geschäftsführer des MDV. „Aber dann haben wir das Problem auf niedrigerer Stufe trotzdem.“
Denn aufgefangen wurden die Kostensteigerungen in den vergangenen Jahren nicht nur durch die steigenden Fahrpreise, über die sich die Nutzer des ÖPNV so ärgern. Immerhin mussten sie Jahr für Jahr zwischen 2,5 und 5 Prozent Preisaufschläge verkraften.
Aber genauso haben die 20 Mitgliedsunternehmen im MDV selbst durch massive Restrukturierungsmaßnahmen dafür gesorgt, dass ihre Eigenkosten sanken oder zumindest nicht weiter stiegen.
Was dazu geführt hat, dass die Unternehmen im MDV derzeit eine ordentliche Finanzlage haben. Aber die Einspareffekte im Betrieb sind fast ausgereizt. Da geht kaum noch was. Dabei haben alle Unternehmen im MDV gut gewirtschaftet, betonte Lehmann am Montag, 5. Dezember, als er die Vision für mögliche künftige Finanzierungen der Presse vorstellte. Eben jene sechs Vorschläge, die nun auch schon fast zwei Jahre durch den Blätterwald geistern, von einer hellhörigen Zeitung einfach mal kurz zu „Bürgerticket“ zusammengebunden und mit Karacho in die Debatte befördert.
Dabei geht es gar nicht nur um ein mögliches Bürgerticket. Wenn überhaupt. Denn eines ist auch beim MDV nach zwei Jahren Umgang mit dem Thema klar: Die Entscheidungen, ob überhaupt eines der sechs vorgeschlagenen Finanzierungsinstrumente umgesetzt wird, liegen ganz allein bei den politischen Gremien. Oberbürgermeister und Landräte haben die sechs umfangreichen Gutachten jetzt überreicht bekommen. In den Kreistagen und Ratsversammlungen muss jetzt diskutiert werden.
Dabei hat sich bei der Prüfung schon jetzt herausgestellt, dass fünf der vorgeschlagenen Finanzierungsinstrumente ohne den Willen der drei betroffenen Landesregierungen gar nicht eingeführt werden können, denn damit Landkreise und Städte ÖPNV-Beiträge etwa von Arbeitgebern, Übernachtungsgästen oder gar Hausbesitzern im Einzugsbereich des ÖPNV-Netzes verlangen können, müssen alle drei Bundesländer (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) ihre kommunalen Abgabengesetze anpassen. Denn zu solchen Sondereinnahmen für den ÖPNV sind Kommunen in Mitteldeutschland bis heute nicht berechtigt.
Die Gutachten müssen also auch noch an die drei Regierungen und Landesparlamente, damit sich auch dort die Politik Gedanken macht. „Wenn die Landespolitik Nein sagt, wird es die einzelnen Instrumente nicht geben, auch wenn die Kommunalparlamente sie wollen“, sagt Lehmann.
Wobei die Diskussion natürlich anders laufen wird, wenn jetzt die Kommunalparlamente für sich entscheiden, dass sie doch eins der Instrumente einführen möchten. Und die Diskussion ist längst im Gang. Nicht nur der Leipziger Stadtrat diskutiert seit zwei Jahren über das Thema und will sich 2017 damit auch noch einmal extra befassen. Ähnliche Diskussionen gibt es in Halle und im Landkreis Leipzig.
Frühestens innerhalb von 12 Monaten rechnet Lehmann mit entsprechenden Rückmeldungen aus der Lokalpolitik. Bei der Landespolitik wird man wahrscheinlich sogar mit einer kompletten Wahlperiode rechnen müssen, denn bislang hat keines der drei Landesparlamente so eine Änderung der kommunalen Abgabengesetze auf der Agenda, auch wenn das Thema ÖPNV deutlich mehr Gewicht bekommen hat. Jahrelang war es nur ein Thema, bei dem Landespolitik den Rotstift ansetzte und auch die notwendigen Investitionssummen radikal kürzte.
Und auf kommunaler Ebene wurde ebenso gespart, verließ man sich seit fünf Jahren darauf, dass die Nahverkehrsunternehmen mit den gekürzten Beträgen trotzdem irgendwie auskommen und dann eben neue Einsparpuffer im Unternehmen finden. Aber die gibt es nicht mehr. Die Grenze ist erreicht.
Wobei Lehmann die Erwartungen dämpft, dass es eine schnelle Entscheidung zu zusätzlichen Finanzierungsformen geben kann. Auch wenn eine von den Kommunen sogar in eigener Hoheit eingeführt werden kann, weil diese Steuer sowieso in ihrem Ermessen liegt: das ist die Grundsteuer, die jährlich im Umfang der Kostensteigerung im ÖPNV erhöht werden könnte, so dass mit den höheren Grundsteuereinnahmen der ÖPNV querfinanziert wird. 1,5 Prozent mehr pro Jahr würde das etwa in Leipzig bedeuten, im Ergebnis rund 5 Millionen Euro.
Aber ob überhaupt eine der sechs untersuchten Varianten spruchreif wird, entscheiden allein die Kommunalparlamente. Wenn sie sich nicht dafür entscheiden, stehen sie trotzdem vor der Frage, wie die steigenden Kosten aufgefangen werden können. Und dann steht auch wieder die Erhöhung der Zuschüsse im Raum.
Und mal auf Leipzig heruntergebrochen: Leipzig kann gar nicht anders, als die LVB besser zu finanzieren, wenn das Ziel von 23 Prozent Anteil am Verkehr überhaupt jemals ernst gemeint gewesen ist. Derzeit schafft der ÖPNV gerade mal 17,6 Prozent. Und selbst all die ehrgeizigen Klima- und Nachhaltigkeitsziele der Stadt sind nur zu schaffen, wenn die LVB leistungsfähiger und attraktiver werden. Allein über jährliche Preissteigerungen auf Kundenseite ist das nicht zu erreichen.
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