Selbst wenn es um Wirtschaftsverkehr in Leipzig geht, steht die Frage: Wie kann der auch in Zukunft noch rollen, wenn Leipzigs Straßen mit immer mehr Pkw verstopft sind? Sollte der Pkw-Bestand bis 2030 genauso wachsen wie die prognostizierte Bevölkerung, dann landet Leipzig mitten im Verkehrschaos. Nichts geht mehr. Also muss sich die Verkehrspolitik deutlich ändern.
Eigentlich wissen es Leipzigs Planer und Verkehrsstrategen. Aber sie knicken immer wieder ein, wenn es darum geht, aus dem Wissen auch eine klare Verkehrsstrategie zu entwickeln. Leipzig braucht eine „stadtverträgliche Mobilität“, betont deshalb auch die neueste Stellungnahme des Koordinierungskreises der Agenda 21. Und die heißt nicht nur: Abschied vom Verbrennungsmotor.
Schon jetzt zeigt das Parkchaos in den meisten innerstädtischen Ortsteilen, dass mehr Pkws eigentlich nicht in die Stadt passen.
Für Prof. Dieter Rink, den Sprecher des Koordinierungskreises, heißt das: „Leipzig müsste eigentlich in vielen Ortsteilen der Innenstadt ein Parkraumbewirtschaftungskonzept einführen.“ Denn zum kostenlosen Zuparken ist der Straßenraum in der Stadt eigentlich zu wertvoll. Wenn die Stadt gar noch neue Parkhäuser bauen will, um das Chaos ein bisschen zu zähmen, braucht die Stadt Geld. Das sie nicht hat. „Über eine Parkraumgebühr könnte sie dieses Geld einnehmen“, sagt Rink.
Womit der Parkdruck (Vorbild Berlin) ein wenig kanalisiert werden könnte. Aber das Gesamtproblem wird nicht gelöst: dass viele Leipziger ohne Pkw aufgeschmissen sind.
Das aber kann Leipzig nur lösen, wenn es jetzt das ÖPNV-System ausbaut. „Das Netz des ÖPNV, auch des schienengebundenen, muss langfristig mit der wachsenden Stadt mitwachsen. Hierfür müssen die planerischen Grundlagen gelegt und entsprechende Flächen gesichert werden“, heißt es in der Stellungnahme des Agenda-Kreises.
2017 wird ausgiebig über den neuen Nahverkehrsplan der Stadt Leipzig diskutiert. Wenn an dessen Ende nicht echte Erweiterungskonzepte vor allem für das Straßenbahnnetz stehen, wird Leipzig die Mobilität der Zukunft nicht bewältigen. Denn eigentlich hat der Stadtrat ja auch beschlossen, dass mehr Individual-Verkehr vom Auto auf den ÖPNV umgelegt wird.
Das heißt nicht nur: Ausbau des ÖPNV-Netzes. Das heißt auch: Mehr Transportkapazitäten im Netz – egal, ob Straßenbahnen, Busse oder S-Bahnen. Der ÖPNV, den Leipzig heute hat, wurde in Zeiten von schrumpfender Bevölkerung entwickelt, betont Ralf Elsässer, der Leiter des Agenda-21-Büros. Das System ist nicht wirklich auf Zuwachs ausgelegt. Und schon gar nicht dafür, das Rückgrat einer nachhaltigen Mobilität zu sein.
Logisch findet Dieter Rink den Schritt, dann auch mehr Bürger an der Finanzierung des ÖPNV zu beteiligen. Die Diskussion, die der MDV zum vielleicht sogar kostenfreien Nutzen des ÖPNV angestoßen hat, findet er richtig. „Doch diese Diskussion muss ernsthaft wieder aufgenommen werden“, sagt er.
Heißt im Klartext: 2017 hat Leipzigs Politik die Chance, die Konturen für einen leistungsfähigen Zukunfts-ÖPNV zu entwerfen. Was übrigens mit der Stadtplanung Hand in Hand gehen muss: Neue Wohngebiete müssen zuallererst entlang der S-Bahn-Trassen und der Straßenbahntrassen gebaut werden. Da gibt es ein ganzes Dutzend von Baugebieten, die genau so zu entwickeln sind, dass ihre Bewohner kurze Wege zur nächsten Haltestelle haben und auf den Pkw problemlos verzichten können. Das heißt aber auch: Baugebiete, die nicht an den ÖPNV angeschlossen sind, sind entweder zu unterlassen – oder sie sind sofort mit einer Erweiterung des Streckennetzes zu planen.
Und die zweite Schiene des Zukunftsverkehrs ist nun einmal der Radverkehr. Der jetzt schon voller Engpässe und Gefahrenstellen ist. Unter anderem auch deshalb, weil Radverkehrsanlagen immer nur schamhaft irgendwie mit in den Straßenraum gequetscht sind. Ein echtes Radwegenetz mit kapazitätsstarken Radwegen hat Leipzig gar nicht. Aber genau das sieht der Agenda-Kreis für notwendig an. Denn der Radverkehr wird noch stärker zunehmen als der Anteil des ÖPNV. Zukunftsstädte sind Radverkehrsstädte. Und wenn Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal seine Ankündigung ernst meint, dann nimmt er genau so ein Projekt jetzt in Angriff und macht Leipzig wirklich zur Fahrradhauptstadt.
Keine Chance sieht Dieter Rink darin, den spritgetriebenen Pkw-Verkehr einfach durch Elektromobilität zu ersetzen. Denn das löst das simple Platzproblem nicht. Den nötigen Platz gewinnt man nur durch mehr Mobilität auf Fahrrad und ÖPNV. „Und gerade das verschafft dann auch dem Wirtschaftsverkehr wieder nötigen Raum“, sagt Rink. „Denn der Wirtschaftsverkehr muss rollen.“
Welche Konsequenzen das einschließt, könne man in anderen europäischen Großstädten wie Kopenhagen heute schon sehen. „Die haben ihre Innenstadt autofrei gemacht. Und das funktioniert einwandfrei.“
Gegen das Projekt Autofreie Innenstadt hat sich Leipzigs Stadtrat in den 1990er Jahren ausgesprochen. Mit Konflikten bis in die Gegenwart. Damals hat man eine echte Chance verpasst. „Aber ich denke, das wird auch in Leipzig so kommen“, sagt Rink. Eine autofreie Innenstadt sei einfach das Gebot der Stunde.
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