Es wird Herbst und die Leipziger erleben wieder, was in den letzten Jahren schon wie selbstverständlich zum Leipziger Herbst gehört: Ein Teil des Zugverkehrs wird eingestellt. Für mehrere Tage geht auf einigen Strecken gar nichts. Eine Tradition, die vor allem mit einem zu tun hat: dem systematischen Umbau des Hauptbahnhofvorfelds für die künftigen Schnellzugverbindungen. Wenn schon kein Jahrhundertprojekt, dann ist es doch eins für Jahre.
Denn das Problem ist: In großen Teilen muss die vor 100 Jahren für den damals neuen Leipziger Hauptbahnhof gebaute Infrastruktur ersetzt und völlig neu strukturiert werden. Denn Vieles wurde damals für ein Dampflok-System gebaut, bei dem die Züge aufwendig rangiert werden mussten, damit die Lokomotiven wieder an der Spitze der Wagenreihe standen, wenn die Züge aus dem Leipziger Kopfbahnhof herausrollten. Das aufwendige Postbahnhofs-System ist ja schon in den letzten Jahren verschwunden. Zahlreiche Stellwerke wurden abgerissen, weil aus einem System vieler kleiner Stellwerke, ohne die der Riesenbahnhof, der 1912/1915 eröffnete, gar nicht zu betreiben war, zwei neue elektronische Stellwerke wurden.
Das ist alles schon passiert, genauso wie der ICE-mäßige Ausbau der mittleren Bahnsteige und die Neubauten an Rackwitzer und Berliner Brücke. Erst wenn man sich all die Sperrzeiten und Einzelbaustellen der Deutschen Bahn in den letzten Jahren anschaut – viele im Windschatten der Citytunnel-Baustelle – dann ahnt man, dass hier im Grunde alles, was von 1907 bis 1913 gebaut wurde, um das neue Gleissystem für den Hauptbahnhof zu schaffen, völlig erneuert wird. Gleise wurden komplett erneuert, Weichen ersetzt, Signalanlagen, Oberleitungen.
Und die Bahn ist noch nicht fertig. Denn wo man 1907 noch relativ viel Baufreiheit hatte, weil man von West nach Ost jeden alten Bahnhof einzeln abreißen und neu bauen konnte, kann man sich heute eine ganzjährige Sperrung des Bahnhofs gar nicht mehr leisten. „Der Verkehr muss rollen“, sagt Michael Menschner, der für das Projekt VDE 8.2/8.3 im Knoten Leipzig verantwortlich ist. Also müssen sich die notwendigen Sperrzeiten im Zugfahrplan auf wenige Tage im Jahr komprimieren.
VDE 8 ist das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8, die ICE-Verbindung von München nach Berlin, in dem Leipzig ein wichtiger Knotenpunkt ist. Aber damit die ICE künftig ohne Überschneidungen mit anderen Zügen und so schnell wie möglich in den Hauptbahnhof einfahren können, muss das alte – auf Dampflokbetrieb zugeschnittene – Gleissystem entwirrt werden. Bis zur Rackwitzer Brücke ist das schon passiert. In diesem Jahr hat sich der Umbauschwerpunkt nach Norden verlagert. Gebaut wird derzeit von der Rackwitzer bis zur Berliner Brücke und noch weiter nördlich in Mockau, wo auch die neue S-Bahn-Station Essener Straße entsteht.
Die neuen Fernbahngleise werden dabei sämtlich auf die Westseite des Gleisfeldes verlegt – auf der Ostseite entstehen die neuen Abstellgleise direkt am ICE-Werk.
Auch der S-Bahn- und Nahverkehr wird separiert, so dass die ICE nun mit deutlich höherer Geschwindigkeit nach Leipzig hineinfahren können. Insgesamt werden 14 Kilometer Gleis völlig erneuert. Aber wie das beim Gleisbau so ist: Damit die neu gebauten Stücke ins System kommen, muss das System erst einmal stillgelegt werden. Wieder einmal.
Die Hauptarbeiten zur Einbindung der neuen Gleise finden zwar erst ab dem 21. September statt.
Aber schon ab Donnerstag, 15. September, muss ein Teil des Zugverkehrs im Hauptbahnhof eingestellt werden, denn dann wird die Nordrampe erst mal vom Gleissystem abgeklemmt. Das sorgt dafür, dass eine Reihe S-Bahnen und Regionalzüge nicht mehr fahren können.
Ab Mittwoch, 21. September, weitet sich das Ganze dann auf die komplette Westseite und alle dort fahrenden Züge aus.
Denn ab dem 21. September werden die gebauten Bahnanlagen der nördlichen Ein- und Ausfahrt des Bahnknotens Leipzig zwischen der Bahnbrücke Rackwitzer Straße und der Straßenbrücke Berliner Stück für Stück an die Stellwerkstechnik angeschlossen. Sie werden damit in das Eisenbahnnetz integriert. Als Kernstück geht eine sogenannte Weichenplatte mit einem Dutzend Weichen in Betrieb, auf der die ankommenden Züge auf die Zufahrtsgleise zu den verschiedenen Bahnsteigen geleitet werden. Hier ist der Aufwand für die Prüfung und die Zuschaltung aller Funktionen der neuen Anlagen besonders hoch, betont die Bahn. Denn wenn alles fertig ist, muss es reibungslos über das Elektronische Stellwerk West gesteuert werden können. Deswegen gibt es mehrfache Gegenprüfungen und Bauabnahmen, betont Menschner. Erst wenn alles angeschlossen und durchgecheckt ist, kann der Zugverkehr wieder aufgenommen werden. Dann auf neuen Gleisen. Aber noch nicht flotter.
Das Maximale an Geschwindigkeit, was hier möglich ist, werden die Zugreisenden erst 2020 erleben, wenn wirklich das ganze komplexe Bauprogramm abgearbeitet ist.
Was allein den Bauaufwand in diesem Jahr betrifft, sagen die eingesetzten 220 Millionen Euro genug. 14 Kilometer Gleis und 80 Weichen werden installiert. Dadurch kann die Geschwindigkeit auf bis zu 160 km/h erhöht werden. Die Bahnanlagen erhalten modernste Leit- und Sicherungstechnik (ESTW: Elektronische Stellwerke, ETCS: European Train Control System wie auf der Neubaustrecke Erfurt – Leipzig/Halle, VDE8.2)). Auf etwa 51 Kilometern Länge werden neue Oberleitungen die Gleisanlagen überspannen. Auf 4,2 Kilometern Länge erhalten die Anwohner Schallschutz. Die Bauarbeiten haben begonnen.
Zu den technischen Anlagen, die jetzt neu montiert werden, gehören Weichenantriebe, Achszähler und Signale.
Ein wesentlicher Zwischenschritt bis zur endgültigen Fertigstellung des Gesamtprojekts wird Ende 2017 die Gesamtinbetriebnahme der Strecke Nürnberg-Berlin (VDE8) sein.
Was die Sperrrungen im Leipziger Hauptbahnhof bedeuten, versuchen wir gleich an dieser Stelle zu erläutern.
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