LeserclubWer will, kann umkehren. Gleich hier am Wegweiser in der Nรคhe der Bistumshรถhe, der noch 16 Kilometer bis Pegau verheiรt oder 7 nach Markkleeberg. Denn hier endet das Leipziger Teilstรผck des Elsterradwegs, so ziemlich genau 20 Kilometer lang. Mit einer Steigung von 13 Metern. 115 Meter รผber Null sind wir hier. Aber gibtโs da weiter westlich und sรผdlich รผberhaupt noch was zu sehen?
Eigentlich bekommt man schon hier ein Unikum zu sehen: den Drei-Stรคdte-Stein. Denn hier grenzen die Feldfluren der Stรคdte Leipzig, Markkleeberg und Zwenkau aneinander. Jede Seite des Findlings trรคgt ein Stรคdtewappen. Und da, wo Zwenkau dran steht, da wollen wir noch ein Stรผck weiter fahren. Nicht ganz bis Zwenkau. Das wรคre dann ja schon wieder der Einstieg in die Neuseenland-Route. Aber zum Zwenkauer See wenigstens.
Ab hier zeigt die Strecke, was neu entsteht, wenn eine alte Kohlelandschaft neu gestaltet wird. Das ist ganz sicher ein Problem fรผr das Neuseenland. Denn mit der Devastierung der einstigen Dรถrfer und Flecken, Vorwerke und lรคndlichen Strukturen ist auch die Kleinteiligkeit verloren gegangen. Die neuen Strukturen, die oft sogar direkt auf einstigen kilometerlangen Bergbaustraรen beruhen, sind etwas fรผr Leute, die gern Kilometer schrubben und in hohen Gรคngen strampeln. Eine gewisse Eintรถnigkeit ist diesen Streckenabschnitten nicht abzusprechen.
Der erste heiรt auf den Karten Mรผckenhainer Weg. Das steht nicht dran. Wieder so ein Punkt, an dem man sich fragt: Warum eigentlich nicht? Immerhin erinnert der Weg an ein schon im 15. Jahrhundert wรผst gefallenes Dorf an der Harth, dem legendรคren Wald im Leipziger Sรผden, der einst das beliebte Wanderziel der Groรstรคdter war. Wรผst gefallen ist Mรผckenhain wahrscheinlich, weil sich das benachbarte Zwenkau zur dominierenden Ackerbรผrgerstadt entwickelte. Der Weg wurde angelegt, als sich der Tagebau Espenhain von Sรผden her immer weiter auf Leipzig zufraร und dabei auch die Hรคlfte des Elsterstausees verschlang. Was dann eigentlich der Anfang vom Ende des einst beliebtesten Leipziger Segelgewรคssers war. Einen Kilometer fรผhrt der Mรผckenhainer Weg direkt am jetzigen Sรผdende des einstigen Sees entlang. Schnurgerade. Wer sich rechterhand durchs Gebรผsch schlรคgt, kann รผber ein wogendes Meer junger Bรคume schauen, die mittlerweile den Seegrund besiedelt haben.
Der Abzweig zum Nordufer des einstigen Elsterstausees kommt bald. Und danach hรถrt manโs meckern.
Da begegnet man einem Projekt, das die Stรคdte Leipzig und Markkleeberg rund um den Cospudener See ausprobieren, dessen Umgebung sie gern als Landschaftspark Cospuden entwickelt sehen mรถchten. Nicht mit kรผnstlichen Landschaftsgestaltungen, sondern mit meckernden Ziegen, frรถhlichen Schafen und mรผmmelnden Yaks. Hier am Mรผckenhainer Weg kann man lauter Ziegen samt Bรถcken und Lรคmmchen sehen, die im Unterholz nach Fressbarem suchen. Einige schauen den Radfahrer mutig aus gelben Augen an. Andere huschen โ auf strenges Geheiร ihres Leithammels โ tiefer ins Gestrรคuch. Vielleicht aus schlechter Erfahrung, obwohl eine Handreichung der Stadt aufklรคrt: Die Tiere dรผrfen nicht gefรผttert werden.
Die sollen hier ganz allein dafรผr sorgen, dass die wild gewachsenen Bรคume auf den einstigen Tagebauaufschรผttungen sich zu Wรคldern entwickeln, die an die ursprรผngliche Weidelandschaft in der Leipziger Region erinnern. Zumindest als Hinweisschild steht es da: Diese Ecke des Landschaftsparks wird seit 2012 als Hutewald betrieben. Und die Tiere sollen vor allem auch dabei helfen, die exotischen, eingewanderten Pflanzen wie den Eschenblรคttrige Ahorn, die Hybridpappeln, die รlweide, die Kanadische Goldrute und den Japanischen Knรถterich kurz zu halten.
รbrigens gehรถren auch die Bisons am Sรผdufer des Cospudener Sees zu dem Projekt. Sie sollen vor allem das Offenland frei halten von Gestrรคuch.
Vielleicht ist das alles irgendwo erklรคrt. Hier jedenfalls, bei den meckernden Ziegen, kรถnnte ja auch so eine Tafel hรคngen.
Haben wir was von Schranken erzรคhlt? Hier kommt die nรคchste, die wir umkurven. Natรผrlich stehen die Schranken da, um streunende Autofahrer vom See fernzuhalten. Es wird ja derzeit wieder gerungen von einigen autoverliebten Parteien um eine Autozufahrt zum Nordufer des Cospudener Sees. Statt โNeinโ zu sagen, haben die Verwaltungen von Leipzig und Markkleeberg eine Prรผfung beauftragt. Prรผfungen brauchen ihre Zeit. Da kann man derweil was Anderes machen.
Radfahren zum Beispiel. Als wir weiterfahren, wรผrdigt uns kein zufriedenes Meckern, nichts. Dafรผr kommen wir endlich wieder in die Nรคhe der Elster, die hier โ in Hรถhe von Hartmannsdorf am anderen Ufer โ tief eingeschnitten in ihrem Bett flieรt. Aus der Entfernung eher ein Bรคchlein. Aber dafรผr lรคdt hier seit dem Frรผhjahr eine groรe Baustelle zum Gucken ein. Gebaut wird hier eine Fuรgรคnger- und Radfahrerbrรผcke, die die Weiรe Elster nรถrdlich der A39 รผberspannen soll. Weil sie drรผben in Hartmannsdorf auf die Erikenstraรe trifft, soll sie Erikenbrรผcke heiรen, 115 Meter lang werden und 1,6 Millionen Euro kosten und 2017 fertig sein. So dass man auch von Hartmannsdorf hier direkt ins Neuseenland kommt.
Zumindest kommt man direkt zur Strampelpiste Mรผckenhainer Weg und โ wenn man von der Brรผcke kommend rechts abbiegt โ auf die Straรe Zur Weiรen Mark, die mit landwirtschaftlicher Ruhe nichts mehr zu tun hat. Obendrรผber rauscht die A38, unten drunter hat ein aufmerksamer Bauarbeiter extra auf den Radweg geschrieben: โBitte auf Straรenverkehr achten.โ
Es muss ein Bauarbeiter gewesen sein. Eine Amtsverwaltung hรคtte niemals das Wort bitte verwendet.
Der Warnhinweis tut gut. Wir beherzigen ihn. Denn schon kurz hinter der A38 hรถrt der Radweg nรคmlich auf. Stehen bleiben lohnt sich. Nicht wegen des fast vรถllig farblos gewordenen Hinweisschildes, das die Nutzer des Elsterradwegs hier einfach รผber die Straรe schickt, irgendwohin da drรผben ins Gelรคnde des Zwenkauer Sees.
Rechterhand sieht man eindrucksvolle Ingenieurkunst. Im doppelten Sinne eindrucksvoll. Mรคchtig gewaltig neben dem mรคchtigen Brรผckenbauwerk der A 38. Gleich unter einem strรถmt Wasser in die Elster. Das ist das Auslassbauwerk des Zwenkauer Sees, das es ermรถglicht, das zu viel in den See geratene Wasser ganz einfach wieder in die Weiรe Elster flieรen zu lassen. So wie beim Hochwasser 2013 runde 20 Millionen Kubikmeter Wasser aus der Elster in den See geleitet wurden und natรผrlich irgendwann wieder raus mussten. Denn 2 Meter Reserve-Wasserstand soll der Zwenkauer See ja behalten, um im Hochwasserfall genau so โ als Hochwasserrรผckhaltesee โ zu funktionieren.
Das Einlassbauwerk war ja bekanntlich 2013 knapp vor dem Hochwasser erst fertig geworden. Glรผck fรผr Leipzig. Der See hat als Retter funktioniert. Dieses Einlassbauwerk befindet sich noch 5 Kilometer weiter sรผdlich. Da fahren wir heute nicht mehr hin, werfen aber einen zumindest staunenden Blick auf die Weiรe Elster, die hier in einer gewaltigen Betonrinne ankommt. Denn selbst diesen Fluss haben die Bergleute verlegt, um an die Kohle zu kommen. Und damit ihnen der Tagebau garantiert nicht absรคuft, haben sie die Elster auf mehreren Kilometern in ein Betonbett gepackt. Das ist die Betonelster. Hier hat man also gleich drei gigantische Ingenieurbauwerke an einem Platz.
Also fahren wir doch mal rรผber auf die Seeseite. Da fรผhren zwei parallele rustikale Bergbaustraรen nach Sรผden. Wir nehmen die linke. Die ist im ersten Teil wenigstens geschottert, spรคter auch asphaltiert. Und nach zwei Parkplรคtzen stรถรt man auf den ersten Teil des geplanten Rundwegs um den Zwenkauer See, der hier bis nach Zwenkau schon richtig asphaltiert ist. Dass wir noch immer auf dem Elsterradweg sind, verraten uns zwei weitere von der Witterung gebleichte Schilder. Und wir passieren die letzte Schranke fรผr heute, die sich da befindet, wo sich die Straรe Zur Weiรen Mark und die neu gebaute B186 treffen. Von jetzt ab rauschen die B186 und der Radweg nebeneinander her und man kann kilometerweit spurten. Wenn man will und es vertrรคgt, dass man bei jeder Wurzelwรถlbung unterm Asphalt einen Sprung macht.
Es gibt mehrere Gelegenheiten, um links ran und rauszufahren, auch wenn die Schilder der LMBV warnen: Bergbaugelรคnde, Unbefugten betreten verboten.
Wir wollen ja nicht ans unfertige Ufer. Und rรผberschwimmen zum Ostufer, wo jetzt der Harthkanal gebaut werden soll, wollen wir auch nicht.
Wir wollen nur unseren Liebling sehen: Das Kohlekraftwerk Lippendorf mit seinen Kรผhltรผrmen und den Wasserschwaden, die sogar an so einem schwรผlwarmen Morgen in den Himmel wabern. Noch brodelt ja der Streit hinter den Kulissen, ob die Mibrag noch weitere Abbaurechte bekommt und noch weitere Dรถrfer โ wie Pรถdelwitz โ abbaggern darf. Obwohl alle Zahlen sagen, dass selbst die hungrigen รfen von Lippendorf diese Kohle nicht brauchen.
Auf dem Rรผckweg entdecken wir dann im alten Asphalt die Botschaft, die uns zumindest trรถstet, dass sich das Leben nicht unterkriegen lรคsst, auch wenn es die Menschheit vergeigen sollte. Und es sieht ganz so aus, als werde es die Menschheit jetzt so richtig vergeigen. Aus dem Asphalt kรคmpft sich der Trieb einer Pflanze. Nicht mal ein Baum, eher so ein tapferes รdlandgewรคchs, das hier aber zeigt, was fรผr eine Kraft in so einem grรผnen Spross steckt. Diese Pflanzen werden auch nach uns da sein und ans Licht drรคngen. Und vielleicht gibtโs in fรผnf Millionen Jahren auch eine neue Spezies, die unsere Hinterlassenschaften findet und sich fragt, wie wir es geschafft haben, die Sache so grรผndlich zu vermasseln.
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Es gibt 2 Kommentare
@Dave: so schรถn ist das aber einklich nicht.
โBetonelsterโ, wie schรถn das klingt! Muss ich auch mal hin.