Seit Dezember 2013 hat Leipzig das neu gebaute Mitteldeutsche S-Bahn-Netz samt Citytunnel. Das System funktioniert, auch wenn es oft bis an die Grenzen ausgereizt ist. Wenigen Leipzigern ist bewusst, dass noch gar nicht alle Haltepunkte gebaut sind. Oder so gebaut sind, dass sie auch funktionieren. Jetzt hat Leipzigs Verwaltung beschlossen, die Deutsche Bahn in einem Fall zum Jagen zu tragen.
Am 1. August beschloss die Dezernentenrunde um den OBM, dass Leipzig eine Finanzierungsvereinbarung mit der Deutschen Bahn eingehen will, um den Bau eines zweiten Zugangs zum künftigen Mittelbahnsteig des Haltepunktes Anger-Crottendorf zu sichern.
Es gibt zwar den Haltepunkt schon. Aber er ist erst ein Provisorium. Der richtige Bahnsteig, der künftig zwischen den Gleisen liegen soll, soll erst mit dem Neubau der benachbarten Brücke über die Zweinaundorfer Straße gebaut werden. Und die ist nun wieder Teil eines Investitionspakets der Deutschen Bahn, in dem insgesamt sieben Brücken zwischen Engelsdorf und Stötteritz erneuert werden sollen. Zu dem damit fälligen Planungsbeschluss musste logischerweise auch die Stadt Leipzig Stellung nehmen.
Und die beharrte natürlich darauf, dass der Bahnsteig einen zweiten Zugang bekommt – nämlich genau da, wo 2015 im Zuge der Anger-Crottendorfer Bahnschneise schon ein provisorischer Zugang gebaut wurde.
Und wie das so ist: Es wird mit harten Bandagen gekämpft. Die Stadt hat gezählt, wie hoch die Nutzerfrequenz an der Haltestelle ist. Noch ist sie überschaubar. Mögliche Gründe: das Bevölkerungswachstum in Anger-Crottendorf kleckert hinterher. Und: der geplante Bahnbogen Ost ist noch nicht fertig. Denn die Anger-Crottendorfer Bahnschneise ist ja Teil dieses geplanten Bahnbogens, der auf der einstigen Hochstrecke der Bahn verläuft, die 2013 vom Netz genommen wurde. Der Fahrradverkehr bekäme damit eine unabhängige Route durch den Leipziger Osten – und hätte in Anger-Crottendorf direkte Umsteigemöglichkeit zur S-Bahn.
Eigentlich närrisch, den zweiten Zugang nur deshalb nicht zu bauen, weil der Bahnbogen noch nicht fertig ist.
Gründe dafür, dass dieser von der Stadt aus eigenen Mitteln gebaute Zugang eher wenig genutzt wird, gebe es mehrere, heißt es in der Vorlage der Stadt. Die Sicherheitsproblematik spielt gewiss auch eine Rolle – der Zugang liegt relativ versteckt. Dazu kommt aber auch: Wer mit Rad ist, muss es die Treppe hinaufbuckeln. Einen Fahrstuhl gibt es noch nicht. Das Rad stehen lassen an den drei Radbügeln am Zugang wäre schlicht nur Verlustrisiko.
Viele Nutzer scheinen lieber den langen Umweg von 300 Metern zu nehmen, um direkt von der Zweinaundorfer auf den Bahnsteig zu gelangen. Aber wer die Zweinaundorfer Straße an dieser Stelle sieht, sieht auch, dass das städtische Wachstum hier tatsächlich noch keine großen Spuren hinterlassen hat. Es gibt also auch von Natur aus weniger potenzielle Nutzer direkt aus dem Umfeld.
Sinn macht der Haltepunkt derzeit wirklich vor allem für Radfahrer.
Wenn also der zweite Zugang an der Anger-Crottendorfer Bahnschneise nicht kommt, schießt sich die Stadtplanung selbst ins Bein.
Die Bahn hat aus ihren Argumenten den Schluss gezogen: Sie werde den zweiten Zugang nicht finanzieren. Sie hat sich aber trotzdem bereit erklärt, ihn zu bauen, wenn die Stadt für die Finanzierung sorgt. Es geht immerhin um 610.000 Euro, mit denen Unterführung und Treppen gebaut werden müssten. Die Stadt hat das Geld eigentlich auch nicht, hat deshalb beim Zweckverband Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) vorgefühlt und dort zumindest eine halbe Zusage bekommen, dass der ZVNL die Finanzierung übernimmt. Wenn genug Regionalisierungsmittel fließen. Immerhin ein Thema, das ja erst im Juni 2016 zu einem Kompromiss auf Bundesebene gefunden hat. Wie die verfügbaren Gelder aber dann innerhalb Sachsens weiterverteilt werden, ist noch offen.
Also hat der ZVNL erst einmal nur eine halbe Zusage gegeben. Oder eine viertel. Man scheint sich regelrecht zu winden.
„Ob letztendlich eine Umsetzung erfolgt, muss nach Vorliegen der Planung entschieden werden“, heißt es in der Vorlage. „Der ZVNL gibt zurzeit keinerlei Zusicherung, dass er auch die Kosten für den Bau fördert. Dies liegt daran, dass seine Haushaltsprognose in den nächsten Jahren aufgrund rückläufiger Regionalisierungsmittel sehr unsicher ist. Außerdem hegt er an einem sinnvollen Kosten-Nutzen-Verhältnis unter Betrachtung der gegenwärtigen Situation Zweifel. Der ZVNL befürchtet, dass am Ende nur ein zweiter Zugang errichtet wurde, der Parkbogen Ost und die positive Quartiersentwicklung aber nie gekommen ist. Der ZVNL behält sich deshalb im Fördermittelbescheid auch vor, die Fördergelder zurückzufordern, wenn ursächlich die Stadt Leipzig verantwortlich dafür ist, dass die Maßnahme nicht realisiert wird.“
Also sieht sich die Stadt am Zug. Dass der Bahnbogen kommt, steht ja seit dem Frühjahr auch fest, als der Bund seine Förderzusage von 3 Millionen Euro gab. Die Gründe sind also eher vorgeschoben. Und dass auch an der Zweinaundorfer Straße mehr passieren muss in der Städtebauentwicklung, steht eigentlich auch fest. Dafür wird schon der Druck des Bevölkerungswachstums sorgen. Und der Haltepunkt wird auch ganz anders angenommen, wenn er kein Provisorium mehr ist wie jetzt.
Rund 82.000 Euro kosten die Planungen. Das Geld stellt ebenfalls der ZVNL zur Verfügung. Und damit die Bahn endlich loslegen kann mit der Planung, hat die Stadt jetzt eine entsprechende Finanzierungsvereinbarung mit der DB AG geschlossen.
Der Bau der Gesamtmaßnahme ist bei der Deutschen Bahn von 2018 bis 2020 vorgesehen. Es wäre zumindest ein Schildbürgerstreich, den zweiten Zugang wegzulassen, bloß weil der „Parkbogen Ost“ noch nicht da ist.
Mit dem Vertrag aber verpflichtet sich die DB jetzt, diesen zweiten Zugang mitzuplanen. Und eigentlich ist auch der ZVNL in Zugzwang, denn um solche sinnvollen Zugänge geht es ja nun einmal im Mitteldeutschen S-Bahn-Netz. Erst sie bringen die nötige Nutzerfrequenz auf die Bahn.
Da wird sich noch einiges tun. Denn auch der Bau des Haltepunktes Mockau und der Neubau des Haltepunktes Thekla sollen bis 2020 geschafft werden. Der neue Haltepunkt an der Essener Straße wird gerade gebaut.
Die Begründung zur Vorlage der Verwaltung.
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