Das Schlimmste verhindert, Problem trotzdem nicht gelöst. So ungefähr kann man zusammenfassen, was jetzt als vorübergehende Lösung für die Regionalisierungsmittel gefunden wurde. Die ostdeutschen Bundesländer sind froh, dass sie nicht einbüßen - immerhin ging es um 4 Milliarden Euro weniger. Aber weder Bund noch Länder haben geklärt, wie sie den regionalen Schienenverkehr zukunftsfest machen wollen, kritisiert der Deutsche Bahnkundenverband (DBV).

Mit den Regionalisierungsmitteln bestellen und bezahlen die Bundesländer die Bahn- und Busleistungen. Diese sollten eigentlich schon vor über einem Jahr neu geregelt werden. Aber geschafft hat man es erst in der vergangenen Woche, ein dreiviertel Jahr, nachdem ganz plötzlich eine Lösung gefunden schien.

Der DBV kann sich nicht verkneifen, die Überrumpelung der Ministerpräsidenten noch einmal genüsslich nachzuerzählen.

„Eigentlich sollte es im September 2015 um die Verteilung der zusätzlichen Kosten der Flüchtlinge in den Bundesländern gehen. Das Bundesfinanzministerium zog unerwartet während einer Sitzungspause einen neuen Vorschlag zu den Regionalisierungsmitteln quasi aus dem Ärmel. Alle Ministerpräsidenten, scheinbar überrumpelt und nicht vorbereitet, riefen unisono ‚Ja, das machen wir‘. – Die Katerstimmung kam dann einige Tage später auf, nachdem die Fachabteilungen wohl nachgerechnet hatten. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow polterte, dass man sich über den Tisch gezogen fühle. Die Nerven lagen blank – zu Recht! Die ostdeutschen Länder sollten bis 2031 insgesamt 4 Milliarden Euro weniger Geld für die Bestellung von Bahn- und Busverkehren erhalten, die westdeutschen Bundesländer hingegen 16 Milliarden Euro mehr. Eine enorme Umverteilung – allerdings von Ost nach West.“

Fahrgastverbände, darunter auch der DBV, hatten dann sehr deutlich auf die fatalen Folgen aufmerksam gemacht. Mit Ausnahme der stark nachgefragten Hauptverbindungen würde kaum mehr ein Angebot zu finanzieren sein.

Wie der DBV nun aus der Sächsischen Staatskanzlei erfuhr, steht die Aufteilung der Mittel innerhalb der ostdeutschen Länder noch aus.

Deshalb werde es höchste Zeit, die Verteilung verbindlich zu regeln, mahnt der DBV. Man hatte auch extra an Fraktionen und Bundesverkehrsministerium geschrieben: Schweigen im Walde. Es sei bedauerlich, so der DBV, dass mehrere Anfragen des DBV zu diesem Thema alle verkehrspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen und auch das Bundesverkehrsministerium unbeantwortet ließen.

Was das Gefeilsche um die Regionalisierungsmittel ausblendet, ist tatsächlich wieder das alte leidige Problem: Weder Bund noch Länder haben geklärt, wie und in welchem Umfang sie den regionalen Schienenverkehr eigentlich bewahren und ausbauen wollen. Und welche Rolle dabei die Bahn spielen soll, die oft genug der Auftragnehmer ist, der in den finanzierten Strukturen fährt, andererseits aber die Trassen und die Stationen betreibt und für deren Nutzung immer wieder an der Preisschraube dreht.

Und so betont auch der DBV, dass er bei seiner grundsätzlichen Kritik bleibe. Stations- und Trassenpreise seien in den letzten Jahren im Durchschnitt um deutlich über 1,8 % gestiegen.

„Die westdeutschen Bundesländer haben sich ein wenig Zeit erkauft, in den ostdeutschen Bundesländern wird das jährliche Diskutieren um Abbestellungen und Fahrplanausdünnungen bald wieder einsetzen“, betont Frank Böhnke, der stellvertretende Bundesvorsitzende des DBV. „Je drängender die Umweltprobleme in den Ballungsräumen und je notwendiger die Schritte zur Begrenzung des Klimawandels werden: Deutschland muss mehr in den Schienenverkehr investieren!“

Berufen kann er sich dabei auf eine Erhebung der Allianz Pro Schiene, der auch der DBV angehört. Danach sind es in Deutschland gerade mal 49 Euro pro Einwohner und Jahr, die ins Schienennetz investiert werden. Das sei der vorletzte Platz. Spanien belege mit 35 Euro den Schlussplatz. Böhnke: „Alle anderen europäischen Länder geben mehr Geld für den umweltfreundlichen Schienenverkehr aus.“

Deutschland behandelt das Schienennetz eher nach der Devise: Nur so viel reinstecken, wie nötig, möglichst knapp auf Kante. Im Ergebnis fallen Jahr für Jahr Strecken im Nebennetz dem Rotstift zu Opfer, Hauptstrecken sind überlastet und müssten dringend ausgebaut werden. Deswegen hatten ja die Westländer ihren Vorstoß um mehr Mittel gestartet. Andererseits sind moderne Schienennetze auch ein wichtiger Standortvorteil, der abgehängte Regionen wieder attraktiver macht. Leipzig ist das beste Beispiel dafür. Eigentlich müsste das S-Bahn-Netz um weitere Strecken ausgebaut werden und noch größere Teile der Region erfassen.

Doch wo das (zusätzliche) Geld fehlt, ist nicht einmal der Mut zu neuen Visionen da.

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