Die FDP regiert in Sachsen zwar nicht mehr mit, findet es aber unmöglich, was der SPD-Nachfolger im Amt des Verkehrsministers, das vorher FDP-Mann Sven Morlok bekleidete, bei der ganzen Anmelderei für den Bundesverkehrswegeplan zustande bekommt. „Der jetzt vorgelegte Bundesverkehrswegeplan ist eine riesige Enttäuschung für Sachsen. Zentrale Schienenprojekte werden bis 2030 nicht realisiert, der Straßenbau kommt an wichtigen Stellen zum Erliegen“, poltert Holger Zastrow von der Seitenlinie.

Er ist der FDP-Vorsitzende in Sachsen und hält sozusagen die Stellung, bis die FDP beim nächsten Wahlrutsch vielleicht doch wieder in den Landtag einzieht. Und wie Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) das Amt versieht, findet Zastrow ganz schrecklich: „Offensichtlich haben Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) und die sächsische Staatsregierung keine Kraft und kein Geschick, ihre Interessen in Berlin durchzusetzen.“

Dabei hat es Dulig doch genauso gemacht wie Morlok.

Er hat dieselben Berge von Neubauvorhaben beim Bundesverkehrsministerium angemeldet, die auch Morlok angemeldet hatte. Da hat sich nichts geändert.

Schon Morlok hatte den Knall nicht gehört. Immer lauter haben die westlichen Bundesländer in den letzten Jahren ihre Not mit den verschleißenden Infrastrukturen geklagt. Brücken, Autobahnen, Schienenwege zerbröseln. Der Reparaturbedarf ist ins Gigantische gestiegen. Deswegen wurde auch schon in der Zeit, als die FDP im Bund mitregierte, über einen deutlichen Kurswechsel bei den Geldern im Bundesverkehrswegeplan diskutiert – raus aus dem wilden Neubau immer neuer Straßen, die in dieser Größe niemand braucht, deutlich mehr Geld für Instandsetzung.

Und genau das betonte auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Mittwoch, 16. März, als er den Entwurf zum Bundesverkehrswegeplan 2030 vorstellte: „Bis 2030 investieren wir 264,5 Milliarden Euro, mit denen wir unsere Verkehrswege modernisieren, unsere Infrastruktur vernetzen und Mobilität in Deutschland beschleunigen. Mit den Rekordmitteln aus meinem Investitionshochlauf hat der BVWP 2030 eine klare Finanzierungsperspektive. Dabei setzen wir klare Prioritäten: Wir stärken das Prinzip Erhalt vor Neubau und investieren rund 70 Prozent in den Erhalt.“

Die Botschaft ist in Sachsen noch immer nicht angekommen.

Dass der Löwenanteil, die 70 Prozent für Erhalt, logischerweise in westliche Bundesländer fließt, war zu erwarten.

Aber zu einem Umdenken in Sachsen hat das noch immer nicht geführt.

Insgesamt steht Sachsen im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) mit Projekten im Investitionsumfang von 1,96 Milliarden Euro allein für Straßenneubauten. 335,5 Millionen davon stecken in derzeit laufenden Bauprojekten. Aber es war in den vergangenen Jahren schon immer so, dass das Budget für Neubau deutlich sinken werde.

Insofern ist es schon so etwas wie ein Erfolg, dass Sachsen Projekte im Wert von 774,6 Millionen Euro in die Stufe „Neue Vorhaben – Vordringlicher Bedarf (VB)“ gebracht hat. Das sind die Projekte, die eine Chance haben, vom Bund bis 2030 finanziert zu werden. Und in dieser Summe stecken jede Menge Ortsumfahrten – das Leib- und Magenthema sächsischer Straßenplanung in den vergangenen Jahren. Und auch ein sehr deutliches Signal aus Sachsen an den Bund: Eigentlich geht es in Sachsen schon lange nicht mehr um den Bau leistungsfähiger Trassen, die die Oberzentren verbinden, sondern um Entlastung der Innenstädte.

Aber im Entwurf zum BVWP steht auch ziemlich deutlich, nach welchen Prämissen die Vordringlichkeit von Verkehrsprojekten vom Bund bewertet wird. Und die „Erreichbarkeit von Oberzentren“ ist dabei eine ganz zentrale Kategorie.

Dass dabei auch alte, höchst umstrittene Projekte wie der Neubau der B181 im Leipziger Westen für 15,5 Millionen Euro – ein Projekt, das auch wichtige Naturschutzgebiete tangiert – im „vordringlichen Bedarf“ landen, darf natürlich verwundern, hat aber mit der Anmeldepolitik des Freistaats in den vergangenen Jahren zu tun – auch mit der des einstigen FDP-Verkehrsministers.

Man hat den BVWP als großes Wünsch-mir-Was betrachtet und immer wieder mehr Projekte angemeldet, als je eine reelle Chance auf zeitnahe Umsetzung hatten.

Und so landen sächsische Straßenprojekte im Umfang von über 850 Millionen Euro in der Kategorie „Weiterer Bedarf“ – mit Umsetzungschancen nicht vor dem Jahr 2030.

Wobei die Listung auch deutlich macht, wie der Freistaat selbst für Prioritäten in dieser Kategorie gesorgt hat. Denn hier taucht die B87 neu wieder auf, denn während sich die Akteure im Planungsraum Westsachsen längst darauf verständigt hatten, hier keinen vierspurigen Ausbau, der auch noch wichtige geschützte Teile der Parthenaue durchschneidet, zu forcieren, sondern die Straße im Bestand zu erneuern und dort Engpässe zu beseitigen, war es der damalige Verkehrsminister Sven Morlok, der diesen regionalen Beschluss kassierte und das 300-Millionen-Euro-Projekt wieder in den Planungsstand hob.

Und natürlich favorisiert dann auch der Bund eher Projekte, für die schon Planungsrecht besteht. Was im Fall der B87 nun aber heißt, dass sie vor 2030 ganz bestimmt nicht angepackt wird und die reelle Chance vertan wurde, einzelne Engpässe schon früher zu beseitigen.

Und auch für die Zeit „danach“ – wahrscheinlich 2040 ff. – steckt die sächsische Anmeldeliste dann wieder mit lauter Ortsumfahrungen und Straßenverlegungen voll. Es ist nicht mal mehr zu erkennen, wo eigentlich noch Schwerpunktsetzungen oder Nachholbedarf im sächsischen Straßennetz sind. Was auch daran liegt, dass sich in Sachsen eine seltsame Mentalität herausgebildet hat, die irgendwie noch tief in den 1990er Jahren steckt, als das komplette Straßennetz sanierungsreif war und man den Bund als reichen Partner brauchte, um das Straßennetz erst einmal komplett zu sanieren.

Das ist in den vergangenen Jahren auch geschehen. Nur haben Sachsens Regierungen nicht mitbekommen, dass ein derart modernisiertes Straßennetz sich heute in direkter Konkurrenz zum deutlich stärker belasteten Straßennetz der Westländer befindet. Und genauso geht auch das Bundesverkehrsministerium in der Bewertung vor: Wo sind die größten Engpässe im Netz (und die findet man in NRW, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Bayern, nicht in Ostdeutschland), wo müssen dringend neue Parallelstrecken oder aufnahmefähigere Knoten geschaffen werden? Und wo sind die so wichtigen Oberzentren zu dünn angebunden?

Wenn es in Sachsen überhaupt noch ein etwas unterdurchschnittlich angebundenes Oberzentrum gibt, dann ist das Chemnitz.

Immer im Vergleich. Denn wenn die Verkehrslast in ostdeutschen Oberzentren wächst, dann muss auch dort nachgerüstet werden. Aber dazu gibt es – außer im Bereich der B2 und der B95 rund um Chemnitz – nicht wirklich absehbaren Bedarf.

„Wir haben nun endlich Klarheit, was die Aufnahme der sächsischen Straßenbauvorhaben in den BVWP betrifft. Alle für den Freistaat prioritären Achsen sind in den wichtigen Kategorien des BVWP enthalten“, sagt daher auch Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig. Und verweist auf das eigentliche Problem: „Unklarheit besteht hingegen weiterhin bei den Schienenprojekten. Damit können und werden wir uns nicht zufriedengeben.“

Enttäuscht zeigte er sich darüber, dass das Ausbauvorhaben der A72 zwischen Chemnitz-Süd und Zwickau-Ost nicht im Entwurf berücksichtigt wurde.

Im Bereich Schiene wurden insgesamt neun von elf Vorhaben in den Plan aufgenommen, jedoch unter verschiedenen Prämissen.

„Der Bund schiebt Sachsen aufs Abstellgleis. Die Nichtaufnahme der Fernverkehrsstrecke Chemnitz – Leipzig ist nicht akzeptabel. Dazu kommt, dass das BMVI offenbar seine Hausaufgaben im Bereich Schiene nicht erfüllt hat. Es ist völlig unverständlich, dass sowohl die Neubaustrecke Dresden – Prag als auch die Elektrifizierung der Strecke Dresden – Görlitz noch nicht abschließend bewertet wurden“, meint Dulig.

Dabei weiß er selbst genau, dass sich über den endgültigen Streckenverlauf und die Notwendigkeit, eine 200-km/h-Strecke von Dresden nach Usti-nad-Labem zu bauen, immer noch gestritten wird. Es sind solche 3-Milliarden-Euro-Träume, die immer wieder die eigentlich notwendigen Verbesserungen im Streckennetz (wie die Elektrifizierung Leipzig-Chemnitz) blockieren.

„Wir werden alles daran setzen, unsere Interessen in den nächsten Wochen in die Abstimmungen einzubringen und setzen dabei auch auf die Regionen und Abgeordneten, die sächsischen Interessen entsprechend zu vertreten“, meint Dulig. Aber vielleicht bekommt er dann auch mal von den Kollegen aus dem Westen gesagt, was sich da eigentlich geändert hat in den letzten zehn Jahren und warum auch die Bahn keinen Streckenausbau favorisieren kann, der deutlich weniger dringend ist als wichtige Trassenverstärkungen in den dichter besiedelten Ländern im Westen.

Jetzt will sich Dulig den ganzen Entwurf noch einmal detailliert anschauen und dann noch mit den Landkreisen reden.

Aber was soll das bringen, wenn Sachsen seine Anmeldepolitik für den BVWP nicht gründlich ändert?

Das Bundesverkehrsministerium hat mehr als deutlich gemacht, nach welchen Prioritäten entschieden wird. Und von einem imaginären Nachholbedarf des Ostens ist da keine Rede mehr: Die Bewertung der Projekte und die Festlegung, welche dieser Projekte dann tatsächlich in den BVWP 2030 aufgenommen werden, trifft das BMVI im Ergebnis eines bundeseinheitlichen Bewertungsverfahrens. Auf die Prüfverfahren und Entscheidungen des Bundes hat der Freistaat keinen Einfluss, betont selbst das sächsische Verkehrsministerium.

Nach Abschluss der Öffentlichkeitsbeteiligung wird das BMVI die Vorschläge prüfen, den jetzt vorliegenden Entwurf überarbeiten und dem Bundeskabinett zur Beschlussfassung vorlegen. Aufbauend auf dem Kabinettsbeschluss entscheidet der Deutsche Bundestag dann als Gesetzgeber im Rahmen der Ausbaugesetze über den Aus- und Neubaubedarf, d. h., die Projektlisten und die Priorisierung des BVWP werden abschließend durch das Parlament geprüft und gesetzlich festgeschrieben.

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