Irgendwie überschneiden sich in Leipzig derzeit einige Dinge. Fast beiläufig ist so eine Art Bürgerbeteiligung zur „Zukunftsstadt“ angelaufen, bei der die Leipziger Ideen einbringen können, wie sich Leipzig künftig entwickeln soll. Und gleichzeitig drängt ein Thema schon zeitnah zur Kontur: der neue Nahverkehrsplan der Stadt. Denn ohne attraktiven ÖPNV ist Zukunft nicht denkbar. Aber welche eigentlich?

Eigentlich wäre es das Allererste gewesen, mit dem „Gesundsparen” der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) aufzuhören. Das sahen Linke und Grüne im Leipziger Stadtrat so. 45 Millionen Euro sind eindeutig zu wenig, um das Leipziger Nahverkehrsunternehmen wieder auf die Überholspur zu bringen. Das braucht mehr als neue Fahrzeuge und ein dichteres Haltestellennetz. Das wird auch neue Angebote brauchen und neue Linien. Die Stadt wächst. Und auf den Hauptlinien ist das System an vielen Tagen schon ausgereizt.

Was die LVB derzeit umsetzen, sind im Grunde Pläne, die selbst schon wieder zehn Jahre alt sind und den Bedarf der Nuller-Jahre spiegeln nach einem funktionierenden Werkstatt- und Einsatznetz für die modernen Niederflurwagen. Die Innensicht auf die Bedürfnisse der LVB dominiert – die Außensicht verliert sich meist in Formeln vom „multimodalen Angebot”, von Servicestationen und eventueller Taktverdichtung, wo sowieso schon genug Fahrgäste unterwegs sind.

Was völlig fehlt, sind strukturierte Pläne, welche Wohngebiete künftig ans Straßenbahnnetz angeschlossen werden sollen, wo der Nahverkehr so verstärkt wird, dass er zum Verkehrsmittel Nr. 1 wird, und vor allem so selbstverständlich, dass das Ziel von 25 Prozent Anteil am täglichen Verkehr der Leipziger überhaupt realistisch wird.

Deswegen können die 45 Millionen Euro Zuschuss nur das allerunterste Gebot sein, wenn Leipzig einen attraktiven Nahverkehr haben möchte, finden die Grünen. Sie haben jetzt ihre Ansprüche an den neuen Nahverkehrsplan mal als Antrag formuliert.

Und darin fordern sie: „Die Verwaltung legt dem Stadtrat vor der Aufstellung des Nahverkehrsplans drei Varianten mit unterschiedlichen Leistungsbeschreibungen und entsprechenden Kostenschätzungen vor. Der derzeitige Zuschuss von 45 Millionen Euro (über den Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag) soll die finanzielle Untergrenze darstellen. Mindestens zwei weitere Varianten sollen diesen Kostenrahmen übersteigen.”

Sie begründen das so: „Ziel einer Variantenauswahl ist es, dem Stadtrat eine Bewertungsmöglichkeit über die Leistungen und Finanzausstattung des ÖPNV zu geben und schon frühzeitig grundlegend für die weiteren Planungen zu klären, wie viel Nahverkehr sich Leipzig leisten kann oder will. Die Frage kann nicht von der Verwaltung allein beantwortet oder entschieden werden, indem ein Planungsergebnis vorgelegt wird, welches vom Stadtrat nur noch – gegebenenfalls mit einigen kosmetischen Änderungen –  bestätigt werden kann. Das Ziel des Antrages ist es, dem Stadtrat bereits frühzeitig im Verfahren der Fortschreibung des Nahverkehrsplanes eine seriöse und tatsächliche Entscheidungsgrundlage über die Standards und Qualitäten im fortgeschriebenen Nahverkehrsplan an die Hand zu geben.”

Das Misstrauen in die Verwaltung, was die Entwicklung eines wirklich zukunftsfähigen Nahverkehrs betrifft, ist deutlich herauszulesen.

Aber genug Gründe dafür gibt es. Jahrelang hat die Stadt versucht, ihren ÖPNV auf Sparflamme zu fahren – die Kostendeckelung hat nicht nur die Investitionsmöglichkeiten der LVB beschränkt, sondern ging auch finanziell zu Lasten der Fahrgäste (was die Attraktivität keineswegs erhöht hat) und zu Lasten des Fahrpersonals (das mit niedrigeren Gehältern für die Schlankheitspolitik bezahlte).

All das ist längst an seine Grenzen gekommen. Immer mehr Leipziger sind vom Tarifniveau überfordert, die Stadtentwicklung selbst läuft derzeit völlig unbegleitet von Konzepten für einen Ausbau des Straßenbahnnetzes, das das Stadtgebiet tatsächlich einmal in dichter Taktfolge und mit funktionierenden Linienführungen erschließt. Und das bedeutet natürlich auch, dass die Verwaltung auch für den Nahverkehrsplan die Zahlen einer rapide wachsenden Statbevölkerung zugrunde legt.

„Mit einem Beschluss, die optimistische Variante der Bevölkerungsvorausschätzung als Planungsgrundlage zu nehmen, würde, aufgrund der Erfahrung der letzten Jahre und dem Übertreffen aller Bevölkerungsvorhersagen, vorgesorgt, dass der ÖPNV auch in Zukunft leistungsfähig genug ist, den Anforderungen durch steigende Bevölkerungs- und steigende Fahrgastzahlen gerecht werden zu können. Derzeit gilt die Hauptvariante als Grundlage aller städtischen Planungen. Dies ist grundsätzlich in Frage zu stellen und in diesem Fall sicherlich nicht zielführend”, stellen die Grünen fest.

Die letzte Bevölkerungsvorausschätzung für Leipzig wurde 2013 errechnet. In der Hauptvariante kamen die Leipziger Statistiker damals für das Jahr 2015 auf 550.000 Einwohner – tatsächlich waren im Melderegister fast 570.000 Leipziger verzeichnet. Die amtliche Einwohnerzahl aus dem Landesamt für Statistik wird (wenn die dortigen Rechner so weit sind) um die 560.000 liegen. Das aber ist die Zahl aus der optimistischen Variante der Bevölkerungsvorausberechnung von 2013. Leipzigs Bevölkerung wächst deutlich schneller, als auch nur die gerade drei Jahre zurückliegenden Prognosen für realistisch hielten.

Allein für 2020 bedeuten die beiden Varianten aus der 2013er Prognose eine Schwankungsbreite von 570.000 bis 585.000 Einwohnern, wobei jetzt schon absehbar ist, dass da wohl eher eine 600.000 plus x stehen wird. Aber für so einen deutlich gewachsenen Bedarf muss man planen und jetzt anfangen zu bauen. Und man muss sich klar darüber sein, wo der Bedarf in den nächsten Jahren besonders stark wächst und wo die Stadt die Schwerpunkte der Stadtentwicklung setzen wird. Da kann man nicht auf die schönen Blumen aus der Werkstatt „Zukunftsstadt” warten, erst recht nicht, wenn die Themen dort weiter so zahm gesetzt sind.

Logische Folge, wie auch die Grünen feststellen: „Der jährliche Zuschuss der Kommune und bzw. der kommunalen Betriebe zur Realisierung des ÖPNV in Leipzig über den Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag hat unmittelbar Auswirkungen auf das Angebot, die Modernisierungsmöglichkeiten, die Tarifpartner und die Preisgestaltung der LVB (im MDV), wie auch auf vielfältige Weise direkt für deren Kundinnen und Kunden. Mit den Verhandlungen über die Höhe der Zuschüsse stellt sich immer auch die Frage nach den bestellten Leistungen. Wenn der Stadtrat schon früh im Verfahren der Aufstellung des Nahverkehrsplans die Auswirkungen von drei Varianten, einem auf Dauer gleichbleibenden Zuschuss, einem Mehr und einem deutlichen Mehr als Zuschuss für die betrauten Leistungen der LVB kennen würde, hätte er auch die Möglichkeit, diese Planung zukunftsweisend politisch zu entscheiden.”

Und die Stadt könnte – was ja damit verbunden ist – auch gezielt mehr Leistung bestellen. Denn die bisherige Auslegung der Stadt, dass die LVB nach europäischem Wettbewerbsrecht nicht mehr Zuschuss erhalten dürfen, ist natürlich bürokratischer Quatsch: Nur die Kommune kann wissen, welche Nahverkehrsleistung sie bestellen will und muss – und genau danach richtet sich auch nach europäischem Wettbewerbsrecht der Zuschuss.

Zwei weitere Punkte, die die Grünen beschlossen haben wollen, sind eher selbstverständlich. Aber die Notwendigkeit, das auch noch einmal schwarz auf weiß zu bekommen, scheint mehr als drängend:

„Der Stadtrat bekennt sich im Nahverkehrsplan zu einer dauerhaften und ausreichenden finanziellen Ausstattung des ÖPNV in Leipzig.

Der Nahverkehrsplan wird auf Grundlage der optimistischen Variante der derzeit gültigen Bevölkerungsvorausschätzung geplant, sofern nicht rechtzeitig Ergebnisse einer aktualisierten Schätzung vorliegen.”

Der Antrag der Grünen zum Nahverkehrsplan.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Es fällt den Leipziger Grünen reichlich spät ein, sich detailliert für den öffentlichen Stadtverkehr einzusetzen.
Nicht zuletzt mit ihrem unsäglichen Offenen Brief in Sachen Linie 9 haben sie sich unsterblich blamiert und künftig unglaubwürdig gemacht.

Es wäre gut, der Stadtverwaltung klar zu machen, dass Leipzig größer ist als Braunschweig und man von städtischer Seite nicht ein ÖPNV-Angebot machen kann, welches in prekärer Weise nur die vier S bedient (Schüler, Senioren, Schwerbehinderte und Sozial Schwache).

Eine kommunale Stellschraube wäre schon lange gewesen, den Nahverkehrsplan *nicht* mit den LVB abzusprechen, sondern ihn aufzustellen und abzufordern.

Wenn dann die LVB an einen Konzern (wie Veolia) verkauft werden, wird dieser Nahverkehrsplan das Minimum sein, was der private Betreiber dann anbieten muss. Funktioniert ähnlich ja schon lange bei den “neuen” privaten Eisenbahnunternehmen.

(Es würde mich jedoch bei dem niedrigen Niveau, wie Verkehrspolitik in Leipzig betrieben wird, keineswegs wundern, wenn weder Stadtrat noch Stadtverwaltung noch nicht gecheckt haben, dass im Leipziger Hauptbahnhof längst nicht mehr die Deutsche Bahn AG allein ihre Züge bewegt…)

Leipzig ist in Sachen Vielfalt der Lebenswelten schon eine richtige Großstadt und nicht bloß recht groß geratenes Mittelzentrum in irgendeiner öden Pampa (wie etwa der nordwestliche Zipfel von NRW). Da kann man nicht einen prekären Stadtverkehr anbieten, der nur für zwölf Stunden gut funktioniert.

Wenn ich sehe, wie voll die Linie 4 schon morgens um halb sechs ist und dabei noch der 15′-Takt besteht, weiß ich, dass die zuständigen Entscheider bei LVB und Stadt im bewusstlosen Tiefschlaf sind.

Eine entwickelte Stadt erkennt man auch daran, dass die Reichen öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Nicht, dass die Armen ein Auto haben. So sinngemäß der Spruch des Bürgermeisters von Bogotá. Kann ja irgendwie nicht sein, dass lateinamerikanische Städte einen besseren Nahverkehr haben als Leipzig. Oder?^^

Schreiben Sie einen Kommentar