Im Kern hat Katja Meier, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, natürlich Recht, wenn sie die Regierung für ihre Einfalls- und Konzeptlosigkeit im ÖPNV kritisiert. Aber eigentlich kann sie die Regierungstruppe auch für ihre Faulheit kritisieren. Denn wer im Jahr 2015 nur Zahlen für 2012 parat hat, der ist einfach nur zu faul zum Anrufen.
Auch wenn Meier dann erst einmal zu der Aussage kommt: “Die Zahlen sind ernüchternd, aber nicht überraschend: Der Rückgang der angebotenen jährlichen Zugkilometer im Schienenpersonennahverkehr zwischen 2008 und 2012 in Sachsen um knapp sechs Prozent ist die Folge der Kürzungspolitik der CDU-geführten Landesregierungen.”
Das sind natürlich nur Zahlen bis in die Amtszeit von FDP-Verkehrsminister Sven Morlok, der durch die Kürzung der Zuweisungen an die Verkehrszweckverbände besonders auffiel. Aber geantwortet hat der jetzige Verkehrsminister Martin Dulig (SPD).
Und da muss sich in seinem Ministerium niemand wundern, wenn Katja Meier mit den 2012er Zahlen zu dem Schluss kommt: Auf dem Gebiet des Zweckverbandes für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) sank das Angebot an Zugkilometern in den Jahren von 2008 bis 2012 sogar um mehr als 22 Prozent, beim Zweckverband Vogtland (ZVV) um knapp acht Prozent. Aktuellere Zahlen war die Staatsregierung nicht bereit offenzulegen, beschwert sich die Abgeordnete. Wenn es denn Verschlusssachen wären. Sind es aber nicht.
Trotzdem wirft das so einige Fragen auf über die Arbeit des Ministeriums, das ja bekanntlich mit den anderen ostdeutschen Bundesländern darum ringt, dass der Kieler Schlüssel nicht so rabiat auf die Verteilung der Regionalisierungsmittel an die Bundesländer angewendet wird, wie im Herbst 2014 von der Verkehrsministerkonferenz beschlossen. Denn dann setzt sich künftig fort, was zwischen 2009 und 2014 mit der Kürzungspolitik im sächsischen ÖPNV begonnen hat.
“Die Antworten von Verkehrsminister Dulig zeigen: Die Kürzungspolitik bei den Verkehrsverbünden hat sich negativ auf die Anzahl der bestellten Zugkilometer in Sachsen ausgewirkt. Diese sind aber ein Kriterium bei der Neuregelung der Verteilerquoten der Regionalisierungsmittel des Bundes unter den Ländern”, erklärt Meier. “Jetzt erhält Sachsen die Quittung für die verfehlte CDU-Kürzungspolitik der letzten Jahre. Bei der Neuverteilung der Regionalisierungsmittel werden wir deutlich weniger vom Kuchen abbekommen. Dieser Schaden ist hausgemacht.”
Die Kürzungen in Sachsen erfolgten zwischen 2009 und 2012 völlig ohne Not: Das Land bekam ausreichend Regionalisierungsmittel vom Bund, um damit den regionalen Bahnverkehr zu finanzieren. Doch die Gelder wurden in Sachsen so massiv umverteilt wie in keinem anderen Bundesland. Allein im Zweckverband Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) wurden über 2 Millionen Zugkilometer abbestellt – ein Minus von 22 Prozent der Leistung, wie Katja Meier ausrechnet.
Regionalisierungsmittel ist Fördergeld, das der Bund den Bundesländern aufgrund des Regionalisierungsgesetzes (RegG) seit 1996 jährlich zur Verfügung stellt. Die Regionalisierungsmittel des Bundes sind dafür gedacht, den einst vom Bund auf regionaler Ebene finanzierten Verkehr auch in Regie der nun verantwortlichen regionalen Zweckverbände aufrechtzuerhalten. Jährlich erhält der Freistaat Sachsen Regionalisierungsmittel vom Bund zur Sicherung insbesondere eines leistungsfähigen Schienenpersonennahverkehrs (SPNV). Seit 2010 hat die Staatsregierung nur noch 74 Prozent dieser Mittel direkt an die Zweckverbände weitergereicht. 2015 sind zwar knapp 80 Prozent vorgesehen, bundesweit bleibt Sachsen damit aber auf dem letzten Platz.
“Andere Bundesländer haben in der Zwischenzeit beim Nahverkehr offensiv investiert und Kampagnen für den Umstieg auf Bus und Bahn organisiert. Mit positiven Ergebnissen, für die sie jetzt belohnt wurden. Im CDU-regierten Sachsen der letzten Jahre undenkbar. Umso mehr enttäuscht mich auch die aktuelle Antwort von Minister Dulig nach den sächsischen Zielen für die Erhöhung des Fahrgastaufkommens oder den Ausbau des Angebotes an Zugkilometern”, sagt Meier. “Die Staatsregierung zeigt keine Ambitionen, eigene Konzepte zu entwickeln sondern überlässt schicksalsergeben alles den Zweckverbänden. Diese sind aber finanziell direkt von der Staatsregierung abhängig.”
Sachsen hat in den vergangenen Jahren als bundesweites Schlusslicht den Verkehrsverbünden nur noch 75 Prozent dieser Bundesmittel weitergereicht. Andere Länder, wie Baden-Württemberg, wollen die Fahrgastzahlen des ÖPNV von 2014 bis 2030 verdoppeln und Schleswig-Holstein bis 2030 die Anzahl der Personenkilometer im SPNV immerhin um 50 Prozent steigern.
Doch mit dem Kieler Schlüssel droht neues Ungemach: Der von der Verkehrsministerkonferenz in Kiel am 2. Oktober 2014 beschlossene Kieler Schlüssel regelt die Verteilung der vom Bund an die Länder vergebenen Regionalisierungsmittel für den öffentlichen Personennahverkehr. – Sachsen erhielt bis 2014 konstant einen Anteil von 7,16 Prozent. Aufgrund der Reduzierung beider Parameter wird dieser Anteil bis zum Jahr 2030 auf nur noch 5,3 Prozent sinken. Damit stehen im Jahr 2030 ca. 26 Prozent weniger Mittel zur Verfügung als bei Fortführung der bisherigen Regelung.
“Minister Dulig hat es bei den letzten Haushaltsverhandlungen versäumt, die Auszahlung der Regionalisierungsmittel an die sächsischen Verkehrszweckverbünde deutlich zu erhöhen. Wir Grüne halten in Anbetracht der ernüchternden Zahlen die Forderung nach einer deutlich höheren Auszahlung der Regionalisierungsmittel aufrecht. Denn statt das Angebot zu reduzieren, gilt es, den Schienenverkehr in Sachsen endlich auszuweiten, um gerade auch für den ländlichen Raum einen leistungsfähigen Eisenbahn-Nahverkehr anbieten zu können”, so Meier.
Und nun zum fehlenden Anruf: Denn natürlich ist die Zeit nicht im Jahr 2012 stehengeblieben. Tatsächlich hat sich auch schon in der Amtszeit von Sven Morlok die Summe, die das Land an die Zweckverbände überwiesen hat, wieder erhöht. Nicht unbedingt, weil Sachsen wieder einen größeren Anteil weitergereicht hätte, sondern weil die Regionalisierungsmittel des Bundes insgesamt weiter gestiegen sind. Nur so war es dem ZVNL möglich, ab 2014 überhaupt das neu entstandene Mitteldeutsche S-Bahn-Netz zu bespielen. Die Zahl der bestellten Zugkilometer stieg wieder – von 7,5 Millionen im Jahr 2014 auf 10,6 Millionen ab 2014. Da sieht die Rechnung schon anders aus.
Was trotzdem nicht heißt, dass der ZVNL das bestellen kann, was die Region braucht. Das bekommen die Leipziger jedes Mal mit, wenn doch wieder ein zu kurzer Zug bereitsteht, Fahrräder nicht mehr in die S-Bahn passen oder eine Taktverdichtung zwischen Halle und Leipzig nicht bezahlt werden kann.
Ab 14. Dezember wird das S-Bahn-Netz übrigens wieder ein Stück wachsen. Das wird auch möglich, weil Sachsen unter SPD-Verkehrsminister Dulig wieder ein paar mehr Prozente der Regionalisierungsmittel durchreicht an die Zweckverbände – 80 statt nur 75 Prozent. Aber Katja Meier hat natürlich Recht: Vorstellbar, was eine echte ÖPNV-Offensive in Mitteldeutschland wäre, wird es erst, wenn die Bundesländer 90 Prozent oder noch mehr weiterreichen. An eine ÖPNV-Offensive ist aber nicht zu denken, wenn die Mittel immer gerade so reichen, das Notwendigste zu bezahlen. Aber da geht es ja dem ZVNL genauso wie den LVB.
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“Regionalisierungsmittel ist Fördergeld, das der Bund den Bundesländern aufgrund des Regionalisierungsgesetzes (RegG) seit 1996 jährlich zur Verfügung stellt. Die Regionalisierungsmittel des Bundes sind dafür gedacht, den einst vom Bund auf regionaler Ebene finanzierten Verkehr auch in Regie der nun verantwortlichen regionalen Zweckverbände aufrechtzuerhalten. ”
Das heißt für mich, dass diese Gelder *zwingend* zu 100% an die Zweckverbände weiterzureichen sind. Anderes Handeln ist vorschrifstwidrig und sollte personelle Konsequenzen nach sich ziehen…