Und die Stadt Leipzig? Die sitzt - obwohl sie im MDV den größten Spieler stellt - beim Thema Linie 9 am Katzentisch. Das deutete beim Informationsabend am 8. Oktober im Neuen Rathaus auch Michael Jana an, der Leiter des Verkehrs- und Tiefbauamtes der Stadt, als er erklärte: "Aus Leipziger Sicht hätten wir die Linie 9 ganz bestimmt nicht eingestellt."
Eine Aussage, die deutlich macht, wie sehr Leipzig durch die Frühjahrsentscheidungen im Landkreis Leipzig und in der Stadt Markkleeberg unter Druck geraten ist. Ganz so, als hätte Leipzig seit 2009 die ganze Zeit gehofft, dass sich der Landkreis doch noch für den Erhalt der Straßenbahn aussprechen würde.
Und er deutete noch etwas an, was die ganze Malaise im Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV) sichtbar macht: Selbst über kleine Veränderungen im Verkehrsverbund müsste eigentlich immer mit mehreren Partnern gesprochen werden. Genau das aber scheint bei der Linie 9 nicht passiert zu sein. Der Landkreis hat “sein Ding” gemacht und am Ende konnte Leipzig nur noch reagieren und die am wenigsten schmerzhafte Variante umsetzen. Wohl wissend, dass man sich damit auf Jahre wichtige Ziele verbaut – zum Beispiel die bessere Anbindung der Stadt Leipzig an das Neuseenland. Die S-Bahn wird das nicht ersetzen können, die neuen Buslinien vielleicht in Teilen.
Michael Jana: “Hier brauchen wir künftig eine völlig andere Strategie.”
Keine Bürgerbeteiligung zur Linie 9 in Leipzig
Das war eigentlich deutlich. Denn ein Hauptkritikpunkt an diesem Informationsabend war eben auch, dass es auf Leipziger Seite keine einzige Bürgerbeteiligung zur Zukunft der Linie 9 gab. Die direkt Betroffenen wurden im Frühjahr im Grunde durch die Entscheidungen in Borna und Markkleeberg vor vollendete Tatsachen gestellt. Und sie waren keineswegs glücklicher, als dann der Linke-Antrag im Stadtrat im September unter einigem Druckpotenzial abgelehnt wurde.
Dabei ist es bei anderen LVB-Projekten doch längst anders gelaufen. Das hatte auch Jana festgestellt. Leipzig ist ja nun wirklich kein Neuland für Bürgerbeteiligung. Und es ist ja auch völlig offen, ob die Mehrheit der Betroffenen in einer transparenten Diskussion nicht auch die ökonomischen Argumente der LVB akzeptiert hätten. Aber die gab es ja nicht, so dass die Informationsveranstaltung am 8. Oktober in weiten Teilen zu einer Art Ersatz-Diskussionsveranstaltung wurde.
Und es fiel dabei auch auf, dass es eben noch längst nicht auf alle Fragen der Bürger auch schlüssige Antworten gibt. Was durchaus die Position von Carsten Schulze vom Pro Bahn e.V. stärkte, der die Position der LVB-Fahrgäste im ganzen Diskussionsprozess völlig negiert sah. Sie bekommen die Änderung im Angebot jetzt serviert, ohne an einer einzigen Stelle an der Entscheidungsfindung beteiligt gewesen zu sein.
Denn eines darf auch die ÖPNV-Politik in Leipzig nicht dominieren: der reine ökonomische Zwang. Schulze nannte München als Beispiel, wo man die Abschaffung von Straßenbahnlinien nach Jahren wieder revidiert hat und inzwischen froh ist, die Bahnen zu haben. Denn eine wachsende Stadt braucht auch ein wachsendes ÖPNV-Netz. Zwar seien nun gerade die an den Südast der Linie 9 angeschlossenen Wohngebiete in Leipzig und Markkleeberg gerade keine Wachstumsgebiete, meinte LVB-Mann Holger Flache. Aber ganze Teile der Stadtpolitik sind davon bestimmt, das wohnortnahe ÖPNV-Angebot zu stärken, um auch das Wachstum zu stärken. Da wirkt die Rücknahme einer Straßenbahnverbindung auf der Wolfgang-Heinze-Straße tatsächlich kontraproduktiv. Vor allem, weil gerade auf dieser Strecke die neue S-Bahn nun wirklich keine Rolle spielt.
Wobei zumindest in Markkleeberg durchaus für die S-Bahn spricht, dass sie mit dem Fahrplanwechsel ab 13. Dezember im 10-Minuten-Takt in Markkleeberg halten soll. Markkleeberg hat durch das neue S-Bahn-Netz wohl am stärksten gewonnen.
Kann die S-Bahn den Wegfall der Straßenbahn in Markkleeberg-West ersetzen?
Ob das freilich die Leistungen der Linie 9 völlig ersetzt, bleibt eine offene Frage. Deutlich wurde am Donnerstag vor allem, dass der Bus der Linie 70, der dann am 28. November die Route fahren soll, als schlechtere Alternative betrachtet wird. Carsten Schulze vom Pro Bahn e.V. rechnet für die Strecke mit weiteren Fahrgast- und Einnahmeverlusten von 30 Prozent.
Womit man bei den Berechnungen ist, die jetzt der Vorzugsvariante der LVB zugrunde liegen. Holger Flache geht davon aus, dass die Umstellung kostenneutral vor sich gehen wird. Der Verlust der rund 500.000 Euro Zuschuss vom Landkreis werde ausgeglichen durch Einsparungen im Betrieb, da die Strecke zur Klemmstraße natürlich kürzer ist als die nach Markkleeberg. Andererseits rechne man durch die Taktverdichtung auf der Bornaischen Straße mit Mehreinnahmen. Aber – auch das wurde deutlich – Vieles an der ganzen Rechnerei funktioniert nur, wenn auch die neue Buslinie 108 funktioniert, die künftig über Goethesteig, Johannishöhe und Leinestraße quasi Markkleeberg-West mit Markkleeberg-Ost direkt über Leipziger Gebiet verbindet. Diese Busverbindung gab es bislang nicht.
Aber das eigentliche Manko wird am Ende vielleicht nicht die ökonomische Seite sein, auch wenn niemand wirklich weiß, wie sich die Fahrgastzahlen auf den neuen Linien entwickeln werden und ob die schönen Träume der Verkehrsplaner so auch funktionieren. Das eigentliche Manko sprach kurz vorm Lichtausmachen im Sitzungssaal des Neuen Rathauses der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Norman Volger, noch einmal an, denn er fragte explizit nach dem, was seit 2009 einfach nicht passiert ist: Der Leipziger Stadtrat hätte zwingend eine Beratungsvorlage zur Stilllegung der Linie 9 im Südteil bekommen müssen. Das wurde entweder vergeigt, verschlafen oder so lange verzögert, bis alle Messen gesungen waren.
Der Frust in einigen Ratsfraktionen ist dabei genauso verständlich wie der bei den betroffenen Bürgern. Und der mindert sich auch nicht, wenn – wie am Donnerstag – viele Fragen sich als noch völlig ungeklärt erweisen. Denn auch eine Staatsregierung kann ihre Meinung zu einer Straßenbahnlinie ändern, wenn sie überzeugende Alternativkonzepte vorgelegt bekommt. Ob das die von Ökolöwe und Pro Bahn vorgeschlagene Streckenführung bis zum Hafen Zöbigker sein könnte, ist ebenso offen wie die Frage, ob eine Linienführung bis zur Parkstraße funktionieren würde, wenn man die Strecke attraktiver macht.
Verständlich, dass am Donnerstag die meisten Diskussionsteilnehmer eher ratlos und frustriert nach Hause gingen, als wirklich mit dem Gefühl, wieder ein gutes Stück Leipziger Bürgerbeteiligung erlebt zu haben.
Das Streckennetz, wie es am 28. November inkraft treten soll.
Keine Kommentare bisher
>Der Frust in einigen Ratsfraktionen
Die Ratsfraktionen zeichnen sich schon seit Jahren aus, vom ÖPNV nur ziemlich randständig Ahnung zu haben. Eine professionelle Haltung zum Stadtverkehr wie in zivilisierteren Großstädten (man muss nicht “Berlin” sagen) findet man hier nicht. Wichtig ist das Auto und – mit einigem Abstand – das Fahrrad. Alles andere laufen unter bedauernswerten Bemühungen von Losern, die zu Fuß gehen oder mit der Straßenbahn fahren “müssen”.
Kann ja nicht sein, dass ein Stadtrat lieber eifrig (und wie mir scheint, sogar zwei- oder dreimal) über den Kammmolchweg debattiert, aber mehrere Jahre lang die Stadtverwaltung nicht zu einer Vorlage zu einem Thema des Stadtverkehrs anmahnt.