Es wäre maßlos übertrieben, würden wir jetzt schreiben: Mit so einer Resonanz hätten wir nicht gerechnet. 32 Teile hat die L-IZ-Serie zu den gefährlichen Radwegen in Leipzig jetzt. Und mit jedem Tag hat sich das Gefühl verfestigt: Ja, da hatten wir wohl ganz ähnliche Erfahrungen wie unsere Leser. Es hätten auch noch Dutzende Konfliktstellen mehr werden können.
Werden es vielleicht auch noch im Lauf der Zeit. Obwohl sich die eigentliche Erkenntnis erst im Lauf der Arbeit herausschälte: Es geht nicht um das Entschärfen einzelner Konfliktstellen in Leipzig. Selbst Alexander John, der das Projekt von Seiten des ADFC Leipzig begleitet hat, rieb sich am Ende die Augen und bestätigte: Das ganze Radwegesystem ist tatsächlich eher nur Flickwerk. Vieles passt nicht zusammen. Lösungen stammen zum Teil aus weit vergangenen Jahrzehnten. Und das Entscheidende gibt es gar nicht: Die barrierefreie und belastbare Verknüpfung im Inneren der Stadt.
Zwar führen alle Straßen und Wege zum Zentrum. Aber spätestens dort treffen Radfahrer auf eine Abwehrhaltung, die eigentlich von Seiten der Stadt 2012 ausgeräumt werden sollte. Damals kulminierte die Kritik an den miserablen Radwegeverbindungen um den Innenstadtring und die Verwaltung präsentierte heldenhaft die Ideen für einen innerstädtischen Radring. Drei Jahre später gibt es ein paar Flicken und Flecken. Aber wenn man das Netz abfährt, merkt man dadurch erst so richtig, wie rudimentär alles ist, voller schlechter Kompromisse, Halbherzigkeiten und teilweise auch echten blinden Flecken.
Es gibt mehr zu tun, als auf den ersten Blick zu sehen war. Obwohl der Radwegeanteil in Leipzig ständig steigt, entwickelt sich das Radnetz nicht im gleichen Tempo mit.
Das hat selbst den ADFC in dieser Deutlichkeit überrascht.
“Es hat mir sehr viel Vergnügen bereitet, die Kommentare zu verfassen, das Material im Archiv herauszusuchen, die beschriebenen Situationen noch mal vor Ort anzusehen und über mögliche Lösungen nachzudenken. Mit Spannung habe ich jeden neuen Beitrag erwartet und (bei fast jedem) auch hinzugelernt”, kommentiert Alexander John die Erkundungstour. “Man muss am Ende der Serie allerdings auch feststellen, dass es um die Bedingungen fürs Radfahren doch schlechter steht, als bisher angenommen. Wenn wir bisher sagten, Leipzig ist auf einem guten Weg zu einer Fahrradmetropole, wissen wir nun: Ja, Leipzig ist auf einem guten Weg. Man hat den Vorsatz, man kennt auch das Ziel, aber man zögert, sich die richtige Kleidung anzuziehen, ausreichend zu Essen und zu Trinken einzupacken und es fehlt das nötige Kleingeld. Kein Wunder also, dass man am Ende des Tages doch wieder zu Hause gelandet ist und ‘nur’ Erfahrungen gesammelt hat.”
Tatsächlich hat sich gezeigt, dass die Schaffung eines logischen und belastbaren Radwegenetzes in Leipzig noch eine Aufgabe ist, die erst vor uns steht – vor der gesamten Stadtgesellschaft. Denn oft genug sind die Belange der Radfahrer bei diversen Bauprojekten der jüngeren Vergangenheit völlig negiert worden – man denke nur an die geradezu frustrierende Lage in der Inneren Jahnallee. Mal sind es die bundesdeutschen Bauvorschriften, die für Lösungen von vorvorgestern sorgen, mal völlig abgehobene Förderbedingungen. Oft genug aber werden die Erfordernisse für den Radverkehr auch ausgeblendet, selbst an Routen, die zwingend zu den meistbefahrenen im Stadtgebiet gehören.
Und selbst an sensiblen Punkten, wo die Schnellfahr-Träume der Leipziger Verkehrsplanung mit den Erholungsansprüchen der Leipziger kollidieren, sorgt das Nicht-Wahrnehmen von Bedürfnissen in der Planung dafür, dass nicht nur Radfahrer geradezu in gefährliche Situationen gelenkt werden.
So wie es ein Leser für die jüngsten Lösungen am Clara-Zetkin-Park beschreibt: “Aber nicht nur die Straßensituation der Radwege ist schlecht. Leipzig hat ja einen großen Wert durch die vielen zusammenhängenden Parks, durch die man theoretisch weit auf dem Rad vorwärts kommt, ohne den normalen Verkehrsfluss nutzen zu müssen. Allerdings sind die Wege immer wieder unterbrochen. Wichtigstes Problem und gefährlichstes ist der Übergang über die Edvard-Grieg-Allee zwischen Johannapark und Zetkin Park. In den Hauptverkehrszeiten bilden sich zum Teil Trauben. Mit Kindern ist zum Teil kein Rüberkommen. Und das schlimmste. Dort ist für die Autos Tempo 50!!!!! mitten im Park erlaubt. Das ist völlig unverständlich, weil in den Wohngebieten in beiden Richtungen sonst 30 ist.”
Was augenscheinlich fehlt, ist wirklich ein konsequent durchdachtes Netz für die Radverbindungen in Leipzig. Dass selbst der OBM bei den Lösungen für den Innenstadtring bremst, das war uns selber neu. Schwingt er sich denn nicht selbst gern aufs Rad? Für wen plädiert er da, wenn er sich nicht mal Radwege nach Amsterdamer Modell rund um den Ring und rein in die City denken kann? Das Radfahren würde es nur attraktiver machen. Und wenn er allein die 20 Prozent Radverkehr aus dem “Modal Split” für 2025 ernst nimmt, dann täte Leipzig gut daran, genau jetzt so ein Radsystem zu bauen. Jetzt, nicht erst 2025.
So sieht es auch der ADFC: Wenn wir unsere Mobilitätsträume verwirklichen wollen, dann muss jetzt auch wieder mehr Ehrgeiz in die Schaffung eines ordentlichen Radwegenetzes investiert werden.
“Mir war es wichtig, dass deutlich wird, dass all die beschriebenen Situationen eine Geschichte haben und diese meist auf einem oder mehreren Prozessen – teils auch gegenläufig – beruhen und es leider nicht so leicht ist, die Verantwortlichen dafür zu benennen. Denn neben den Oberbürgermeistern, den Dezernenten der verschiedenen Ämter in der Stadtverwaltung, die Aufsichtsbehörden, die Fördermittelgeber, die Politik (von Stadt bis Bund), sie alle tragen genauso Mitverantwortung an den Bedingungen wie die Medien und die Nichtregierungsorganisationen”, stellt Alexander John fest. “Ungeachtet dessen müssen selbstverständlich die Probleme benannt und behoben werden. Den Leserinnen und Lesern gebührt hier also der Dank.”
Und nun? Alles schon wieder Zeitungsgeschichte? – Denkste. Jetzt dürfen alle, die irgendwie an den Planungen beteiligt sind, sich Gedanken machen. Denn wenn Leipzig mehr Radverkehr haben will, muss es die Wegesituation verbessern. Dass dafür nur eine begrenzte Summe Geld zur Verfügung steht, ist bekannt. Es geht also nicht zuerst um neue Investitionen oder Anlagen, sondern um möglichst sinnvolle Lösungen im vorhandenen Straßenraum.
Und die Anregungen sind auch im Rathaus angekommen.
Alexander John: “Aber was passiert nun mit den Gefahrenstellen? Diese Frage kam auch in der städtischen Arbeitsgemeinschaft Radverkehrsförderung auf. Die Serie ist also auch von denen in der Verwaltung gelesen worden, die sich mit dem Thema ‘Radverkehr’ beschäftigen. Das lässt zumindest hoffen, dass die eine oder andere Problematik in den nächsten Jahren gelöst wird.”
Ist das viel? Eigentlich nicht. Wir haben ja die Serie auch deshalb gestartet, weil einem beim Radfahren viel zu oft das Gefühl kommt, dass es klemmt. Wir haben uns ja nicht ohne Grund auch in die nicht so fitten Radfahrer hineinversetzt: in die Eltern mit Kindern auf dem Kindersitz oder im Anhänger, in Büroangestellte, die ganz bestimmt nicht durch Schlammpisten wollen, in ältere und jüngere Radfahrer, die sich nicht unbedingt in die Fahrbahnmitte trauen und trotzdem lebendig ans Ziel wollen. Und immer wieder waren es Erwerbstätige, die uns rückmeldeten, dass es ihr täglicher Arbeitsweg ist, auf dem sie Blut und Schweiß schwitzen, weil eine gefährliche Situation der nächsten folgt.
Noch ein Blick ins Arbeitsprogramm von OBM Burkhard Jung. Hat er den Radverkehr mitbedacht bis 2020? – So ein bisschen. Nach einer nicht gerade euphorischen Bejahung des ÖPNV (Barrierefreiheit und Vorrangschaltung der Ampeln), gibt’s dann auch eine Erwähnung des Radverkehrs als “Verbesserung der Radverkehrsführung an Hauptverkehrsstraßen (z. B. durch den konsequenten Einsatz von Radfahrstreifen)”. Das passiert auch gerade. Derzeit bekommt die Coppistraße Radfahrstreifen aufgemalt. Aber es fehlt noch der konsequente Netzgedanke. Leipzig hätte durchaus das Zeug zu einem zweiten Amsterdam.
Viele Ideen, wie es gehen könnte, hat Alexander John skizziert. Es geht noch mehr. Aber das muss man wollen. Dann sind nicht nur 20 Prozent Radwegeanteil drin (wie im “Modal Split” für 2025 vorgesehen), sondern 30.
Es gibt 3 Kommentare
Gern würden wir mehr mit dem Rad in die Stadt fahren, aber von Burghausen auf der sehr stark frequentierten B181 in die Stadt gibt es zum Teil keinen Radweg und man fährt sehr nah
neben unzähligen PKW und LKW… Hier besteht dringend Nachholebedarf.
Das Wegenetz für Radfahrer ist in Leipzig eigentlich ausreichend, wenn man sich bewusst macht, dass Fahrräder Fahrzeuge sind und als solche primär auf die Straße(n) gehören. Es muss ein Ende gemacht werden mit dem Alleinbenutzungsanspruch der Straßen durch den motorisierten Verkehr. Wenn das im Guten nicht geht, muss man eben nachhelfen, z. B. mit Tempo 30 innerorts…
P. S.: Ich bin täglicher Autofahrer und Freizeitradler…
>Dass selbst der OBM bei den Lösungen für den Innenstadtring bremst, das war uns selber neu. (…) Für wen plädiert er da, wenn er sich nicht mal Radwege (…) rein in die City denken kann?
Ich hege angesichts der regelmäßig auftretenden starken Borniertheit der Stadtverwaltung bei wichtigen Themen schon lange die Vermutung, dass in das Neue Rathaus und sicher auch beim Arbeitsplan des OBM Partikularinteressen hineinlangen, die nicht demokratisch legitimiert sind. Beispielsweise dürfte die IHK da ganz viel reinquatschen, obwohl sie letztlich nur eine ordinäre Lobbyvereinigung ohne demokratische Legitimation ist und dem OBM höchstens nur mal nen Brief schreiben darf.
Zur Arbeit des OBM merke ich noch an, dass das Amt des Oberbürgermeisters auch den Sinn hat, in der Entwicklung der Großstadt gewisse persönliche Akzente zu setzen; die Kärrnerarbeit wird ja von den Dezernenten (hier: Bürgermeister) gemacht. Nicht umsonst wird der OBM in einer Personenwahl direkt gewählt. Während die beiden Vorgänger wirklich und wahrhaft sehr deutliche Akzente gesetzt haben, scheint der aktuelle Amtsinhaber im Fädennetz fremder Interessenten verfangen zu sein und deren Wünsche blindlings umzusetzen, zu denen ein Ausbau des Radnetzes und die Entwicklung eines ernstzunehmenden ÖPNV ganz sicher nicht gehören. Schon in den ersten sieben Jahren seiner Amtszeit hat er in der Stadtpolitik nichts gerissen, und ebenso langweilig wird es weitergehen. Der Stadtverkehr Leipzig hätte wirklich “seine” Agenda sein können, nun ist die Chance vertan.