Immerhin hat die Leipziger Grünen-Fraktion in einem Offenen Brief nach der Stadtratssitzung am 16. September sehr ausführlich erklärt, warum sie gegen den Antrag der Linksfraktion gestimmt hat, die Straßenbahnlinie 9 bis zum Forsthaus Raschwitz zu erhalten. Dafür ernten die Grünen Spott und Häme. Aber wer hat da eigentlich geschlafen die ganze Zeit?
Dass sechs Jahre lang überhaupt nicht diskutiert wurde und die Diskussion 2015 natürlich zu spät kam, das haben wir gerade anhand der alten Unterlagen aus dem Leipziger Stadtrat gezeigt. Bei den LVB hatte man sich schon 2009 damit abgefunden, dass der Landkreis Leipzig seinen Zuschuss für die Straßenbahnlinie in Markkleeberg einstellen würde. Immerhin 458.000 Euro, die darüber entscheiden, ob sich der Betrieb der Strecke rechnet oder nicht. Man schlug vor, die Strecke dann im Busbetrieb fortzuführen. Am Ende war auch der E-Bus-Betrieb im Gespräch.
Doch immer wieder fiel dabei das Wort Prüfung. Ganz so, als müsste der Leipziger Stadtrat nicht extra über so eine gravierende Entscheidung befinden. Aus LVB-Sicht ist es ja auch keine Einstellung – man fährt ja ab 28. November einfach über die Bornaische zum S-Bahnhof-Connewitz.
Für jene Nutzer aber, die bisher in der Wolfgang-Heinze-Straße, am Wildpark oder am Forsthaus Raschwitz ein- und aussteigen, ist es eine Einstellung. Sie müssen künftig in den Bus steigen.
Eine Begründung aus LVB-Sicht:
Die Fahrgastzahlen in der Linie 9 sind in diesem Streckenabschnitt deutlich zurückgegangen. Fahrgastrückgänge von 25 bis 31 Prozent wurden in der Diskussion in Markkleeberg genannt. Auch auf der Koburger Straße, betonten die Verkehrsbetriebe im Frühjahr auf Nachfrage, als die L-IZ doch gern wissen wollte, um wie viele Fahrgäste es sich eigentlich handelt.
15,5 war die Antwort. Das war die Durchschnittbesetzung einer Straßenbahn im werktäglichen Fahrbetrieb. Was bedeutet das aber in der Gesamtbelegung?
Gar nicht wenig, hat Carsten Schulze vom Fahrgastverband Pro Bahn argumentiert. “Anderswo wäre das ein Argument, eine Linie zu eröffnen.”
Denn werktags fährt die Linie 9 jeden Tag 99 Mal nach Markkleeberg-West. Kann jeder nachzählen. Allein in der Kernzeit von 7 bis 18 Uhr kommen 72 Fahrten zusammen. Und da sie auch wieder zurückkommt, kommen pro Werktag 198 Fahrten auf dem Streckenast Connewitz-Kreuz-Markkleeberg zusammen. Bei 15,5 Fahrgästen im Schnitt pro Fahrt kommt man an einem Tag auf 3.069 Fahrgäste. Das sind die 3.000 Fahrgäste, mit denen Carsten Schulze operiert hat.
Da kann man einwenden: Am Wochenende fährt die Linie 9 ja seltener. Aber dafür sind die Bahnen dann gerade voll – mal mit Wildparkbesuchern, mal mit Besuchern des Neuseenlandes. Wenn man diese Durchschnittszahlen aufs Jahr hochrechnet, kommt man auch auf 1 Million Fahrgäste.
Das kann man nicht mit Linien im Stadtinneren vergleichen, die es locker auf zweistellige Millionenzahlen bringen wie die Linie 7, die 11 oder die 15. Aber das schaffen sie vor allem im Stadtinneren, wo sich das Fahrgastaufkommen von Station zu Station erhöht. Das kann jeder miterleben, der am Forsthaus Raschwitz in die 9 steigt. Werktags. Da fährt man dann mit 15 Fahrgästen los, am Wildpark tröpfeln ein paar dazu, in der Wolfgang-Heinze-Straße füllen sich die Sitze schon spürbar, am Kreuz Connewitz erst recht. Deswegen haben die Variantenprüfer hier 2009 auch ganz andere Fahrgastzahlen ermittelt, nämlich 5.000 am Tag.
Und so erhöht sich die Auslastung der Linie 9 bis zum Bayrischen Platz immer mehr.
Das Problem ist nur:
Weil der Landkreis jetzt den Südast nicht mehr finanziert, fehlen 485.000 Euro. Das wäre freilich auch eher nicht das Problem. Denn kompensieren müssen ja die LVB den Wegfall der Linie 9 auf Leipziger Gebiet trotzdem. Der Einsatz der zusätzlichen Busse verursacht ja auch wieder Betriebskosten. Man “spart” zwar auf der Linie 9 zwei Wagenzüge ein, braucht aber auf der verlängerten Buslinie 70 vier Busse zusätzlich.
Was 2009 überhaut nicht geprüft wurde, war eine Straßenbahnvariante nur bis Forsthaus Raschwitz (oder eben zur Wendeschleife an der Parkstraße) oder bis zum Wildpark.
Ein Grund dafür ist der zerschlissene Gleiskörper. Was die LVB jetzt besonders betonen. Denn hier wurde jahrzehntelang nichts investiert. Mit 8 Millionen Euro Investitionsbedarf rechnen die Leipziger Verkehrsbetriebe in den nächsten fünf Jahren. Wobei insbesondere die Gleise auf Markkleeberger Gebiet (800 Meter) und in der Koburger Straße (1.400 Meter) überfällig sind. Hier ist man schon seit Jahren mit Blick auf die Einstellung der Strecke auf Verschleiß gefahren. Das betrifft auch die Oberleitungen.
Für die 800 Meter in Markkleeberg bis zur ersten Wendeschleife rechnen die LVB auf keinerlei finanzielle Unterstützung der Stadt Markkleeberg oder des Landkreises.
Vollendete Tatsachen nennt man so etwas.
Eine Wendeschleife am Wildpark würde zwar den am stärksten frequentierten Teil der Strecke erhalten. Aber die Schleife würde mitten in einem Naturschutzgebiet gebaut. Das schätzen auch die Grünen als nicht umsetzbar ein.
Völlig offen ist freilich, ob der Ersatz durch die Linie 70 funktioniert wie gewünscht. Auch die LVB rechnen hier mit einem Fahrgastrückgang von 30 Prozent, weil Busse als deutlich weniger attraktiv empfunden werden als Straßenbahnen. Das will man dann durch die zusätzlichen Fahrten der Straßenbahn auf der Bornaischen Straße kompensieren.
Aber wir merken uns an dieser Stelle die 8 Millionen Euro Investitionskosten (die OBM Burkhard Jung in der Stadtratssitzung schnell mal auf 10 Millionen aufgerundet hat). Dort war dann auch noch von 1 bis 2 Millionen Euro Investition in die Straßenbahnen die Rede, weil man zwei Tatra-Bahnen länger fahren lassen müsste. Die Fahrzeuge sind wirklich schon so alt, dass die nun fällige Hauptuntersuchung für zwei Fahrzeuge über 800.000 Euro kosten würde.
Aber bei diesem Fitmachen der Straßenbahnen (oder dem Kauf weiterer neuer Niederflurwagen, Kostenpunkt 4 Millionen Euro), hätte man dann natürlich den Betrieb wieder für mindestens acht Jahre abgesichert, bei den Investitionen in die Strecke noch viel länger.
Die Kosten sind nur deshalb so hoch, weil man hier über mehr als sechs Jahre jede Investition unterlassen hat. Das käme deshalb alles auf einen Schlag.
Und das sorgt natürlich dafür, dass selbst ein OBM auf einmal die ganz scharfe Bremse zieht, weil er die Linie 9 längst weggeplant hat. Dass überhaupt noch einmal im Stadtrat darüber diskutiert wurde, war so ja nicht eingeplant.
Deswegen verweisen die Grünen in ihrem Offenen Brief extra auf den Nahverkehrsplan, der jetzt überfällig ist und in dem die Fraktionen möglicherweise einen neuen Ansatz für die Linie 9 finden. Und auch das wäre nicht aufs Tapet gekommen, hätten die Stadträte nicht gemerkt, dass der neue Nahverkehrsplan schon drei Jahre überfällig ist.
Da kann man natürlich grübeln, ob das so beabsichtigt war und damit eine Diskussion über die Linie 9 vermieden werden sollte. Denn im noch gültigen Nahverkehrsplan von 2007 steht die 9 noch als Prüfauftrag. Dass da eine gewaltige Lücke klafft zwischen Prüfauftrag und Ergebnis, das ist unübersehbar.
Variantenuntersuchung von 2009
Leipziger Nahverkehrsplan 2007.
Neue Variante des Offenen Briefes mit Änderungen in den Punkten 1 und 8.
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