Eigentlich war der Antrag so einfach. Aber was die Grünen am Dienstag, 29. September, im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Sächsischen Landtages erlebt haben, lässt keine Hoffnung aufkommen für ein modernes, barrierefreies ÖPNV-Netz in Sachsen. Doch was will man von Autofahrern erwarten, die niemals mit Bus, Bahn und Tram unterwegs sind? Der Tarifwirrwarr ist ihnen schnurz.
Dass die SPD in Sachsen bei diesem Thema genauso wenig auf der Höhe der Zeit ist wie die dauerregierende CDU, entmutigt Katja Meier, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Bündnis 90, geradezu. Sachsen ist ja nicht wirklich so groß, dass ein sachsenweiter ÖPNV-Tarif und einheitliche und kostengünstige Ticketangebote für Schüler, Studierende und Senioren keinen Sinn ergeben würden.
“Unser Antrag bietet einen Ausweg aus dem Tarifwirrwarr besonders in den Übergangsgebieten zwischen den Verkehrsverbünden in Sachsen”, erklärt Katja Meier. Und benennt den größten Frustrationsgrund, der nicht nur Fahrgäste auf die Palme bringt, sondern eine vernünftige ÖPNV-Vernetzung regelrecht behindert. Eine Grenze, die die entscheidende Politik immer wieder ignoriert.
“Die Fahrpreisgestaltung ist insbesondere an den Verbundgrenzen absurd. Warum man gleich deutlich mehr zahlen soll, nur weil man beispielsweise eine kurze Station später aussteigt, erschließt sich vielen Fahrgästen nicht. Die derzeit herrschende Tarifvielfalt in Sachsen überfordert viele Nutzerinnen und Nutzer massiv”, sagt Meier. Und – was noch wahrscheinlicher ist – sie macht große Teile des ÖPNV-Angebots schlichtweg unattraktiv. Überall sorgen kleine Lokalhoheiten dafür, dass auch die Verkehrsorganisation nur kleinteilig gedacht wird. Jüngstes Beispiel in Leipzig: die neue Verkehrsorganisation in Markkleeberg, die eine der wichtigen Verbindungen nach Leipzig einfach kappt. Aus Landkreissicht ist eine Straßenbahnverbindung nach Leipzig schlicht überflüssig. Aus Leipziger Sicht nicht.
“Wer will, dass mehr Menschen Bus und Bahn in Sachsen nutzen, der muss einen einfachen und kundenfreundlichen Zugang zum ÖPNV ermöglichen”, nennt Meier etwas ganz Selbstverständliches, das aber in Sachsen schlicht nicht die Regel ist. Jeder kocht sein Süppchen, nichts passt wirklich zusammen. “Dazu gehört zwingend ein verständliches ÖPNV-Tarifsystem”, sagt Meier. “Gerade bei Personengruppen, die nicht über detaillierte Ortskenntnis oder große Erfahrung mit dem ÖPNV verfügen, ist eine komplizierte Handhabung eine große Hürde für die ÖPNV-Nutzung. Ungewolltes Schwarzfahren durch gelöste Tickets, die eventuell auf Teilstrecken im Übergangsgebiet ungültig sind, erhöht den Ärger für Kunden und Personal.”
Aber Sachsen ist eben Autoland. Dafür hat man ja jahrelang auch ÖPNV-Mittel fleißig umgeschaufelt in Straßenneubauprojekte. Die Fachleute, die ein sinnvolles, barriereloses ÖPNV-Netz in Sachsen überhaupt denken könnten, sucht man in der Regierungskoalition vergeblich.
“Wenn Staatsregierung und Wahlkreisabgeordnete von CDU und SPD tatsächlich das Ohr an der Basis hätten, wüssten sie, dass gerade im ländlichen Raum nahe der Zweckverbandsgrenzen absurd komplizierte und ungerecht teure Tarife existieren. Ein einfacher Blick auf die Tarifangebotsseiten der sächsischen Zweckverbünde würde helfen, statt für diese Erkenntnis die ÖPNV-Strategiekommission zu bemühen”, kritisiert die Abgeordnete.
Diese Strategiekommission hat am 14. September zum ersten Mal getagt. Da hat man sich erst einmal mit Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Aber man kleckert noch immer im Kleinklein herum und ist über das, was Verkehrsstaatssekretär Hartmut Mangold im Juni gesagt hat, noch nicht hinausgekommen.
“Wir haben heute wichtige Ansatzpunkte für die Kommissionsarbeit gefunden, beispielsweise bereits vorhandene, tarifliche Insellösungen zwischen einzelnen Verbünden. Diese wollen wir zu möglichst sachsenweiten Lösungen weiterentwickeln”, sagte er zu der damals stattfindenden Findungsrunde. Das Thema eines sachsenweiten Tarifes ist also so fern nicht. Aber augenscheinlich wollen CDU und SPD erst einmal abwarten, was die Arbeitskommission so zusammenträgt. Dann wird ein schönes Papier überreicht und dann pickt man sich ein paar Rosinen raus, die man vielleicht umsetzt. Zum Beispiel ein Bildungsticket, wie es Mangold im Juni ansprach: “Auch hier gibt es bereits Lösungen, die Modellcharakter für ein sachsenweites Bildungsticket haben könnten.” Als Beispiel führte er das von allen Zweckverbänden kürzlich gemeinsam eingeführte “Ferienticket Sachsen” an.
Verständlich, dass Katja Meier aus dieser Kommission keine revolutionären Vorschläge erwartet, eher wieder die üblichen Verbandslösungen, die die Grundprobleme des sächsischen Flickenteppichs immer wieder ausblenden.
“Die Einführung eines einheitlichen sachsenweiten Tarifs über die Grenzen der Verbünde hinaus, der nicht nur in Nahverkehrszügen, sondern von Tür zur Tür, also auch in Straßenbahnen, Bussen und auf Fähren gilt, kann dabei helfen, die Nachfrage im öffentlichen Verkehr signifikant zu erhöhen”, benennt Meier eine Selbstverständlichkeit, die mit heutigen digitalen Vernetzungen problemlos umzusetzen wäre, ohne dass der Nutzer überhaupt noch merkt, wie viele Organisationen im Hintergrund tätig sind.
Aber vielleicht ist es provinzielle Eitelkeit, die sogar so eine simple Tarifvereinheitlichung verhindert.
“Wirtschafts- und Verkehrsminister Martin Dulig (SPD), der im Wahlkampf seinen Wählerinnen und Wählern noch versprochen hatte, sich in einer künftigen Regierung verstärkt für einen besseren ÖPNV im Freistaat Sachsen einzusetzen, schiebt das Projekt eines sachsenweiten einheitlichen Tarifes nun auf die lange Bank”, findet die Grünen-Abgeordnete. “Anstatt tätig zu werden und das Problem des Tarifwirrwarrs endlich anzupacken, möchte die CDU/SPD-Koalition erst einmal die Ergebnisse der Strategiekommission abwarten. Bei den Herausforderungen und Problemen des ÖPNV in Sachsen verbietet es sich aber, die aktuellen Schwierigkeiten auszusitzen und bis zur Vorlage der Ergebnisse der Strategiekommission den Kopf in den Sand zu stecken.”
Es gibt 2 Kommentare
Zustimmung!
Im Übrigen:
Es gibt auch noch eine Bürgerschicht zwischen Schülern/innen, Studierenden und Senioren/innen!
Auch jene sollten möglichst barrierefrei zum ÖPNV ermuntert werden…
Im Selbstbedienungsladen Sachsen leistet man sich allein in der westlichen Hälfte schon gefühlte sechs Verkehrsverbünde mit entsprechend vielen warmen Plüschsesseln, auf die sich viele kompetenzfreie Menschen gerettet haben, die es noch nicht mal ins sächsische Ausland geschafft hatten. Anders kann ich mir die völlige Unbedarftheit der entscheidenden Verkehrspolitiker nicht erklären.
Sachsen ist ein Autoland, mehr noch als Bayern. Der Unterschied? Die Bayern leben nicht hinterm Mond.