"Ich hätte einen Vorschlag für einen weiteren Artikel: Ossietzkystraße, Leipzig. Der Radweg wird am Rathaus Schönefeld durch die StraBa-Haltestelle unterbrochen. Ohne Umleitung um (hinter) die Haltestelle. Leider ist die Straße sehr frequentiert. Wenn man einfach auf der Mitte fährt, schlägt einem eher Unverständnis entgegen", schreibt uns ein Leser. Der Vor-Ort-Termin zeigt: Stimmt.
Aber wie sind wir eigentlich das letzte Mal da lang gefahren? Wahrscheinlich genau so, wie beschrieben. Erst einmal gemütlich auf dem Radweg, der von der Mockauer Straße bis zur Schönefelder Allee ordentlich durchgezogen ist. Er führt sogar noch schön breit über die Zeumerstraße. Und das war’s dann. Genau da, wo die Ossietzkystraße schmal wird und die Gleise der Straßenbahn schnurstracks an den Fahrbahnrand führen, weil die Haltestelle vorm Rathaus Schönefeld barrierearm ausgebaut ist, hört der Radweg auf.
Radfahrer müssen nicht nur flugs in den Gleisbereich wechseln, sie müssen auch aufpassen, dass sie dabei nicht vom Kfz-Verkehr erwischt werden, denn hier werden auf einmal alle drei Verkehrsarten auf eine Fahrbahn gezwungen: Straßenbahn, Kfz und Radfahrer.
Aber würde eine Umfahrung für Radfahrer hinterm Wartehäuschen helfen?
Wohl nur bedingt, denn auch hinter der Haltestelle, wo die Wenckstraße abgeht, gibt es ja keine Fortsetzung des Radstreifens. Es ist eine der vielen halben Lösungen im Radnetz, wo man einfach aufgehört hat, wo es am brenzligsten wurde. Und das schon vor Jahren.
Die Lösung mit der Hochbordhaltestelle auf der gegenüberliegenden Seite ist übrigens genauso altertümlich. Man hat die erhöhte Haltestelle einfach in den Verkehrsraum hineingebaut und damit die natürliche Fahrstrecke der Radfahrer unterbrochen. Auch hier gibt es keine Möglichkeit, auf den nach wie vor erhöhten Fußweg auszuweichen, die Radfahrer müssen sich vor der Haltestelle auf die Gleistrasse der Straßenbahn hinüberbewegen und dabei in den motorisierten Verkehr einordnen, der hoffentlich Rücksicht auf die Radfahrer nimmt.
Die “Barrierefreiheit” der Straßenbahnnutzer wurde hier eindeutig mit einer Blockierung des Radverkehrs erkauft.
Aber wer durch Schönefeld muss, der nutzt ja möglicherweise lieber den Parthe-Mulde-Radweg, der hinterm Schloss Schönefeld die Volbedingstraße quert. Das ist dort zwar grauenhaft schlecht ausgeschildert. Aber wie heißt es so schön im Leipziger Radnetz: Kommt Zeit, kommt Rad.
Was sagt der ADFC dazu?
Alexander John, Stellvertretender Vorsitzender des ADFC Leipzig
Die Umgestaltung der Haltestellen in der Ossietzkystraße (Rathaus- und Gorkistraße) ist zu einer Zeit erfolgt, als die angehobene Radfahrbahn (bspw. Haltestellen Henriettenstraße, Volksgartenstraße, Rödelstraße) noch kein Standard war. Es gab zu diesem Zeitpunkt (fast) nur Radverkehrsführungen hinter den Wartebereichen (Eisenbahnstraße, Zoo).
Selbst das Thema barrierearme Haltestelle ist in Leipzig ja noch nicht so lange auf der Tagesordnung – wenngleich man in der Delitzscher Straße mit dem Stadtbahnausbau bereits seit Mitte der 1990er Erfahrungen mit angehobenen Bereichen in Inselhaltestellen hatte (barrierearm wurden sie erst in den späten 2000ern). Am Hauptbahnhof hat man zwar Ende der 1990er die Gleise saniert, aber keine barrierearmen Haltestellen geschaffen – die kamen erst 2005/2006. Und so richtig prioritär wird der barrierearme Ausbau der Haltestellen wohl auch erst werden, wenn im kommenden Jahr der Nahverkehrsplan fortgeschrieben wird und über die Haltestellen diskutiert werden muss, die nicht bis zum 01.01.2022 barrierearm werden müssen. Das wird noch eine sehr spannende Diskussion.
Einerseits, weil Politik und Verkehrsunternehmen bisher mäßig ambitioniert versuchen, die EU-Richtlinie umzusetzen, andererseits, weil Beeinträchtigte dann sogar per Ratsbeschluss weiterhin behindert werden dürfen. Und da – aus nachvollziehbaren Gründen – viele Haltestellen erst im Zuge einer komplexen Baumaßnahme wie in der KarLi oder Könneritzstraße barrierearm gestaltet werden, kann man auch mal ins “mittelfristige Straßen- und Brückenbauprogramm 2013 – 2020” schauen, was bis dahin noch als “finanziell gesicherte Maßnahme” auftaucht und überhaupt eine Chance auf Umsetzung hat. Um es kurz zu machen: Es wird bis dahin nicht viel passieren. Auch Teile der (Stadt-)Bahnlinien 7 und 11 werden bis dahin nicht fertig und auch wichtige Umsteigehaltestellen wie Listplatz, Adler, Breitestraße, Rathaus Wahren und Köhlerstraße werden wahrscheinlich auf obiger Liste stehen, wenn die Politik nicht bald aufwacht und das Thema ernster nimmt als bisher.
Nach dem sehr umfänglichen Abschweifen zurück zur Gefahrenstelle am Rathaus Schönefeld.
An der Haltestelle Rathaus Schönefeld wurde erstmals in Leipzig auf die Gleise das Fahrradpiktogramm markiert, um die Autofahrenden auf die Radfahrenden aufmerksam zu machen und den Radfahrenden zu verdeutlichen, dass sie unbedingt dort fahren müssen. Wenn sie das nicht tun, geraten sie zwischen Gleis und angehobenen Bord, was zwangsläufig zum Sturz führt. An der Haltestelle Gorkistraße, in der Zschocherschen Straße an der Haltestelle Elsterpassage und ebenso an der Haltestelle Holbeinstraße (stadtauswärts) hat man das gleiche Problem – nur ohne Hinweis für Radfahrende.
Auch wenn sich nach der Haltestelle kein Radweg/Radfahrstreifen u.ä. anschließt, so könnte man dennoch die Haltestellen mit angehobener Radfahrbahn versehen – insofern der Radverkehr nicht sowieso im Gleisbereich fahren muss, um den Mindestabstand zu parkenden Autos bzw. zum Bord einzuhalten. Nicht selten neigen Radfahrende dazu, zu weit rechts zu fahren. Sie halten nicht den Mindestabstand zu parkenden Autos von 0,80 m (manche Gerichtsurteile gehen von 1,20 m aus) ein. Dieser Mindestabstand wird vom weitesten rechten Punkt des Fahrrades gemessen – das kann der Lenker sein, aber auch die Satteltasche oder das Gepäck. Wer zu wenig Sicherheitsabstand hält, hat ein erhöhtes Unfallrisiko (z.B. spontan geöffnete Autotür) und bekommt im Schadensfall neben dem Schaden auch noch eine Teilschuld.
Und selbstverständlich könnte aus Sicherheitsgründen auch das Halten/Parken in solch engen Bereichen verboten werden, damit Radfahrende nicht im Gleisbereich fahren müssen, dann wäre es auch sinnvoll, die Haltestellen mit angehobener Radfahrbahn zu versehen und die Straßenbahn könnte regelkonform die Radfahrenden überholen – alles eine Frage der Prioritätensetzung.
Es gibt 2 Kommentare
Die Straßenbahn könnte Radfahrer regelkonform überholen. Schöner Traum. Zumindest in der Georg-Schwarz-Str. wird man als Radfahrer einfach weggebimmelt
Auch dieses Dilemma zeigt doch nur: Fahrräder sind Fahrzeuge und gehören auf die Straße! Und Rücksichtnahme des Kfz-Verkehrs ist nicht optional (“der hoffentlich Rücksicht auf die Radfahrer nimmt”) sondern gesetzlich vorgeschrieben (StVO §1)!
Ketzerischer Gedanke: Die Vorteile der Straßenbahn (emissionsfrei) und des Busses (keine Schienen) ließen sich mit Oberleitungsbussen vereinen, was mit dem Wegfall der Gleise eine der Hauptunfallursachen für Radfahrer in Städten beseitigen würde…