Wer hat noch nicht am Hauptbahnhof geflucht - ob als Fußgänger, der irgendwie unbeschadet rüber auf die Straßenbahnhaltestelle wollte, als Bahnreisender mit Riesengepäck, der gerade seine Bahn einfahren sieht, als LVB-Passagier, der sich freut über den guten Anschluss - und dann von der eigenen Straßenbahn aus dem Weg geklingelt wird. Ach ja, Radfahrer und Kfz-Fahrer gibt es ja auch noch.
2004 war das, da hatte die Stadt Leipzig vor dem Hauptbahnhof die einmalige Gelegenheit, eine kluge und sichere Lösung für alle hier gebündelten Verkehrsbedürfnisse zu finden. Das nötige Geld war da, denn bekanntlich hatte sich Leipzig ja für Olympia 2012 beworben und den innerdeutschen Ausscheid gewonnen. Und auch nach dem verblüffenden Aus auf internationaler Ebene flossen wichtige Fördergelder weiter, denn zumindest war Leipzig noch als Austragungsort für die Fußball-WM 2006 vorgesehen. Da wurde auch die LVB-Haltestelle vor dem Hauptbahnhof aufgemöbelt und praktisch neu gebaut. Auch die Zugangsstutzen für den Citytunnel wurden schon mit eingeplant.
Doch mit großen schönen Worten erklärte man dann beim Baustellentermin den Journalisten, dass man sich gegen die einmalige Chance entschieden hatte, die Haltestelle direkt vor den Hauptbahnhof zu verlegen und damit gleich mal die Hälfte aller Konflikte dauerhaft zu entschärfen. Man hätte die nördlichen Fahrbahnen mit den südlichen zusammengelegt. Fußgänger hätten nur noch auf eine Fußgängerampel achten müssen. Und nur ein Überweg hätte direkt in den Bereich geführt, in dem die Straßenbahnen in die Haltestelle einfahren bzw. wo sie ausfahren.
Diese Chance kehrt nicht wieder.
Dafür ist dieser Knoten unterschiedlichster Verkehrsarten heute eine der härtesten Nüsse – nicht nur für die Nutzer, die hier Tag für Tag zu Hunderten den Schreck ihres Lebens erleben. Auch für die Verkehrsplaner, die hier einfach nicht weiterkommen, sinnvolle Wegelösungen zu finden. Das betrifft auch den Radweg direkt vorm Hauptbahnhof. Eigentlich ist er da. Er ist sogar markiert – aber so dezent, dass ihn Fußgänger und Reisende aus dem Hauptbahnhof nicht wahrnehmen oder gleich bewusst ignorieren. Radfahrer werden zur Rücksicht aufgefordert, müssen aber entweder Schlängelkurs fahren und begegnen dabei etlichen Reisenden, die mit Radfahrern gar nicht gerechnet haben. Oder sie schieben ihr Rad gleich. Was vor Kollisionen nicht schützt, denn wenn die Fußgänger “Grün” bekommen, haben sie es an dieser Stelle naturgemäß richtig eilig – wollen ihren Zug noch erwischen oder die Straßenbahn.
Mehrfach war dieser inkonsequente Radweg auch schon Thema im Stadtrat und zumindest sind die Planer mittlerweile soweit, das Problem auch als Problem anzuerkennen. Eine Leserin beschreibt das Problem aus ihrer Sicht so: “Dass am Hbf ein Radweg entlang führt, ist für Reisende nicht im geringsten zu erkennen. Somit warten alle, die die Ampel Richtung Straßenbahnhaltestelle und Stadt überqueren wollen, auf dem Radweg. Somit kommen sich Fußgänger und Radfahrer regelmäßig in die Quere, da die Fußgänger naturgemäß nur Augen für den Verkehr und die Ampel haben und nicht erst links oder rechts schauen, ob vielleicht noch ein Radfahrer des Weges kommt.”
Die große Lösung wurde vor über zehn Jahren also verpennt? Aber gibt es überhaupt eine Lösung?
Was sagt der ADFC dazu?
Alexander John, Stellvertretender Vorsitzender des ADFC Leipzig
“Wieso Katastrophe? Der Sachse gewöhnt sich doch an alles”, singt Rainald Grebe in seinem Lied über Sachsen und Jürgen Hart betonte in seinem Klassiker “Sing mei Sachse sing” die Fröhlichkeit, Gemütlichkeit und Reisefreudigkeit der Sachsen, gepaart mit Genügsamkeit. Und vielleicht ist es diese Gemengelage, die letztlich dazu führt, dass große Dinge oft im Kleinklein ersticken.
Als die Flächen direkt vor dem Hauptbahnhof neu gestaltet wurden, hat man einen Radweg angelegt. In Teilen ist er heute noch so zu erkennen und hat auch in Abschnitten eine Benutzungspflicht. Die Vorschriften haben sich nicht nur mit der Novelle der Straßenverkehrsordnung 1997, sondern auch mit zahlreichen Ãœberarbeitungen der Plan- und Regelwerke geändert. Dem versuchte die Verwaltung Rechnung zu tragen, indem direkt vor der Osthalle und der Westhalle des Hauptbahnhofes jeweils die Benutzungspflicht entfiel, dazwischen jedoch bestehen blieb. Auf wenigen Metern, direkt vor den Zugängen zum Bahnhof, wurde aus dem Radweg ein Gehweg mit Zusatz “Radfahrer frei”. Die Prämisse von “Bau und Betrieb” ist hier also seit Jahren nicht mehr gegeben – einer der Gründe, weshalb es immer wieder zu Konflikten kommt. Wer es sich zutraut, darf vor dem Hauptbahnhof auf der Fahrbahn fahren.
Seit der Änderung der Beschilderung ist das Fahren auf der Fahrbahn theoretisch sogar der Regelfall, das Fahren auf dem Gehweg die Ausnahme. Da die Beschilderungen in sich nicht den Vorgaben der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) entsprechen, hatte sich der Stadtrat – aber auch die Verwaltung – mehrfach um eine Lösung bemüht. Diese kann und wird nicht sein, dass der Radweg auf dem Hochbord wieder sichtbar wird, denn ob Rotfärbung oder einfache Markierung, es wird alles nicht darüber hinwegtäuschen können, dass es aus gutem Grunde nicht zulässig ist: Die Massen an Zufußgehenden und Radfahrenden sind auf dem engen Raum einfach zu gewaltig für ein Mit- und Nebeneinander. Hier muss größer gedacht und gehandelt werden.
Im Rahmen des Bürgerwettbewerbs: “Ideen für den Stadtverkehr” hatte der ADFC sich auch mit dieser Thematik intensiver beschäftigt. Die Idee war die Schaffung eines Bahnhofsvorplatzes. Neben der Problematik Rad-/Fußverkehr haben auch die Fahrgäste der LVB einen viel zu engen Raum, um bequem umsteigen zu können – und das wird mit den steigenden Fahrgastzahlen jedes Jahr schwieriger.
Um die Problematik nach der Idee des ADFC zu lösen, wäre es nicht notwendig, die Haltestelle der LVB und die Zugänge zum City-Tunnel zu verlagern. Hauptaugenmerk wäre auf einen Durchstich von der Brandenburger Straße in den Georgiring zu legen. Ist dieser Durchstich da, könnte der Kfz-Verkehr nördlich des Bahnhofs und südlich um den Promenadenring/Friedrich-Ebert-Straße verteilt werden. Der Kfz-Verkehr vom Inneren Ring würde vom Goerdelerring/Tröndlinring in Richtung Gerberstraße geleitet. Damit entsteht vor dem Hauptbahnhof ein neuer Raum, der den Ansprüchen an Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr genügen kann und auch die Ziele des “STEP Verkehr und öffentlicher Raum” konsequent umsetzt. Und weil nun sicherlich manche Aufschreien werden: Das ist Zukunftsmusik. Irgendwann wird das kommen, aber sicherlich nicht in den nächsten fünf Jahren. Das bedarf großer Vorbereitung, eines politischen Willens und Erkenntnis und die bekommt man, wenn man sich das Geschehen vor Ort mal in Ruhe anschaut und sich auch fragt: Ist es das was man will? Wollen wir vor dem größten Hauptbahnhof Europas eine Stadtautobahn?
Wenn man sich mal nüchtern anschaut, was vor dem Hauptbahnhof – dem zentralsten und urbansten Raum Leipzigs – passiert, kann man folgendes feststellen:
Ca. 100.000 Fahrgäste passieren tagtäglich den Platz vor dem Hauptbahnhof. Ca. 50.000 Fahrzeuge verkehren auf 7 Fahrspuren – vor 10 Jahren waren es noch gut 20.000 am Tag mehr. Nahezu kein Auto hat ein Ziel am Hauptbahnhof. Der Bau der Brücken und der Großknoten Berliner Straße, Rackwitzer Straße, Am Gothischen Bad, Adenauer Allee und Brandenburger Straße hatten zum Ziel, den Kfz-Verkehr vom Zentrum weitestgehend fern zu halten. Doch noch immer verkehren viel zu viele Menschen mit ihrem Auto vor dem Hauptbahnhof und auf dem Ring – wahrscheinlich eher aus Gewohnheit als aus Zwang wird vor dem Hauptbahnhof entlang gefahren, obwohl der Kfz-Verkehr eigentlich in erster Linie nördlich des Bahnhofs abgewickelt werden soll.
Zugegeben, wegen der netzergänzenden Maßnahmen zum City-Tunnel waren die Straßen nördlich des Hauptbahnhofs in den letzten 2 Jahren teils mehrfach stark eingeschränkt, aber das ist nun Geschichte. Man könnte nun anfangen und sich trauen, eine Vision für einen Hauptbahnhofsvorplatz zu planen. Hierzu gehören auch Modellrechnungen zur Verkehrsverlagerung auf andere Straßen und zwischen den Verkehrsmitteln. Letzteres dürfte besonders spannend sein. Wie viele Menschen werden wohl vom Auto auf Bus, Bahn, Rad oder die eigenen Füße umsteigen, wenn endlich eine attraktive Ost-West-Verbindung für den Radverkehr geschaffen, die Bedingungen zum Zufußgehen zwischen Hauptbahnhof und Innenstadt attraktiv sind? Wie stark werden die Umsätze in der Nikolaistraße steigen? Wie viele Menschen werden auf Bus und Bahn umsteigen, wenn man attraktiver auch zwischen den Verkehrsmitteln wechseln kann, ohne die Angst den Anschluss wegen der Enge der Haltestelle zu verpassen?
Hierzu müsste sich aber mal jemand hinsetzen und Modelle mit Zahlen unterfüttern. Bis dahin braucht es wohl eine kleine Lösung.
Die Kleine Lösung
Wenn das bisherige Problem Rad- /Fußverkehr behoben werden soll, dann ist es besser, keinen gehweggleichen Radweg zu errichten. Es muss nach einer Lösung gesucht werden, die rechtlich sauber und praktikabel ist, aber auf Fahrbahnniveau erfolgt. Erste Überlegungen gehen dahin, dass man eine Fahrspur auf der Seite von der Brandenburger Straße kommend und eine Fahrspur auf der Seite vom Georgiring kommend wegnimmt.
Hierdurch gewinnt man ca. 3 m Fläche zur Erweiterung der Straßenbahnhaltestelle (Gleis 1) sowie ca. 2,50 m für eine Radverkehrsanlage. Ob das ein Radfahrstreifen wird, ist zu diskutieren. Der linksseitige Radverkehr könnte weiterhin auf dem Gehweg erfolgen. Die Konsequenz wird in jedem Falle sein, dass auch die kleine Lösung Auswirkungen auf den gesamten Bereich zwischen Hauptbahnhof und Goerdelerring haben wird. Denn auch vor dem Astoria und dem alten Landratsamt besteht dringender Handlungsbedarf für den Fuß- und Radverkehr.
Die ganz kleine Lösung
Am wahrscheinlichsten ist, dass man nur eine Fahrspur wegnimmt und einen Radfahrstreifen markiert – der Sachse gewöhnt sich doch an alles …
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In zivilisierten Großstädten haben die Hauptbahnhöfe fast immer relativ große Vorplätze, die das Stadtbild prägen und urban genutzt (Straßenmusiker usw.) werden und vor allem Fußgängerzonen sind.
Aber natürlich haben sich die Leipziger Stadtplaner ausgerechnet an den wenigen Ausnahmen, die mir mit Mühe eingefallen sind, orientiert, wo nämlich nur tosender Autoverkehr den Touristen empfangen soll (Frankfurt am Main und München).
Neben dem Desaster am Augustusplatz (Tiefgarageneinfahrt) ist der Bahnhofgarkeinvorplatz die andere städtebauliche Katastrophe.