15 Uhr, der Streik beginnt. Es wird also wieder hektisch, die Liveticker rotieren und Pfingsten steht vor der Tรผr. Nach einem erneuten Gesprรคch am heutigen Dienstag steht ein Pfingstwochenende an, an welchem man es zumindest langsamer und vielleicht sogar gelassener angehen lassen sollte. Denn die Fakten sind alle bekannt, die Bahn informiert wieder รผber den โNotfahrplanโ, welcher irgendwie gerade Leipzig gern drastisch auslรคsst und die beiden Parteien zeigen mit den Fingern aufeinander. Bis am Freitag ein neues Gesetz scheinbar Linderung verspricht.
Die Hoffnung auf eine Einigung war wohl schon vor dem Gesprรคch zwischen Bahnfรผhrung und GDL-Chef Claus Weselsky am heutigen 19. Mai realistisch nie vorhanden. Die Bahnspitze um den medial nahezu dauerabwesenden Bahn-Chef Rรผdiger Grube verschleiert weiterhin die Absicht, dem โTarifeinheitsgesetzโ, welches am Freitag, 22. Mai im Bundestag verabschiedet werden soll, bereits seit nun einem Jahr den argumentativen Weg zu bereiten.
Und GDL-Chef Claus Weselsky versuchte lange Zeit weitgehend zu vermeiden, allzu deutlich darauf hinzuweisen, dass es genau darum und somit um die Zukunft der GDL geht. Denn streikt die GDL offiziell gegen das Gesetzesvorhaben, ist es kein berechtigter Streikgrund, also keine innerbetriebliche Auseinandersetzung mehr und der ab heute erneut beginnende Stillstand kรถnnte gerichtlich verboten werden.
Eine Einigung wรคre durchaus mรถglich, wenn auch nicht zwischen den scheinbaren Verhandlungspartnern: dafรผr mรผsste wohl der Bundestag am Freitag entgegen jeder Voraussage in der Frage der freien Koalitionswahl verantwortlich handeln und das neue โTarifeinheitsgesetzโ aus dem Arbeitsministerium von Andrea Nahles (SPD) schlicht ablehnen. Bis zu diesem Beschluss, ganz gleich wie er ausfรคllt, bewegt sich zwischen Bahn und GDL nichts. Und auch mit der EVG wird es wohl bis dahin zu keiner Einigung kommen.
Denn die Bahn glaubt seit Monaten ihrerseits bis zu diesem eher anders ausfallenden Beschluss keinen Grund zu haben, einen Abschluss zu suchen. Und kann andererseits nicht, da aufgrund des Gesetzesvorhabens zwei Gewerkschaften indirekt aufeinander losgehen. Was das Verhalten der vergangenen Monate erklรคren wรผrde, welches teils groteske Verrenkungen des verhandlungsfรผhrenden Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber immer dann aufwies, wenn man seitens der Bahn zu begrรผnden suchte, warum es irgendwie nicht voranging. Hauptargument: beide Gewerkschaften versuchten in den Verhandlungen auf einen gewissen Alleinvertretungsanspruch zu kommen.
Verstehbar, angesichts des Gesetzesvorhabens
Denn das Gesetz wรผrde aus Sicht der Bahn AG den 34.000 Mitglieder starken Verhandlungspartner GDL obsolet machen, da danach nur noch mit der mitgliederstรคrkeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zu verhandeln wรคre. Es sieht im Kern vereinfacht vor, dass die mitgliederstรคrkste Gewerkschaft in einem Unternehmen letztlich der einzige Verhandlungspartner fรผr Konzernspitzen sein wird. Denn eine mitgliederschwรคchere Spartengewerkschaft mรผsste, wie bei der GDL oder der Pilotenvereinigung Cockpit trotz hรถherer Wirksamkeit im Arbeitskampf die erzielten Ergebnisse dann schlicht akzeptieren und wรผrde relativ rasch an Wirksamkeit verlieren.
Da es logisch dazu fรผhrte, dass die somit wirkungslosen Spartengewerkschaften keine neuen Mitglieder mehr werben kรถnnten โ es ergรคbe keinen Sinn, sich in ihnen zu engagieren, denn sie hรคtten keine Verhandlungsmรถglichkeiten mehr. Natรผrlich neben den Arbeitgebern auch zur Freude der grรถรeren Gewerkschaften, welche alle im DGB zusammengefasst sind โ ihnen nรผtzt das Gesetz ebenfalls, denn die Mitgliederzahlen steigen, die Macht auch.
Was Macht jedoch auch kann, zeigte sich bei dem in GDL-Kreisen immer wieder angesprochenen รbergang des einstigen Gewerkschafters Norbert Hansen von Transnet in ein Lohnverhรคltnis der Deutschen Bahn AG. Am 8. Mai 2008 erklรคrte der vorher mit รผber 90 Prozent zum Gewerkschaftsboss gewรคhlte Hansen seinen Rรผcktritt als Transnet-Vorsitzender. Am 15. Mai berief ihn der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG zum Arbeitsdirektor.

Wenige Tage zuvor wurde Claus Weselsky am 6. Mai 2008 Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivfรผhrer (GDL). Und dies, nachdem der Dresdner knapp ein Jahr zuvor den Posten des Personalvorstandes abgelehnt hatte. Zwei Mรคnner, zwei Gewerkschaften, zwei lebensprรคgende Entscheidungen in vollkommen verschiedene Richtungen. Der Transnet / EVG hรคngt bis heute der Geruch einer Drehtรผrgewerkschaft an, wรคhrend Weselskys GDL als durchsetzungsstark und nicht korrumpierbar gilt.
Die einzige Chance der kleineren GDL in den vergangenen Monaten
Einerseits hohe Aktivitรคten zu entfalten und damit auch um Mitglieder zu werben. Andererseits den Kampf gegen das Tarifeinheitsgesetz zu fรผhren. Denn dass es bei den aktuellen Hinhaltetaktiken einzig und allein um das Gesetz geht, nach dessen Verabschiedung gerade groรe Konzerne auf bessere Abschlรผsse mit den weniger mobilisierungsfรคhigen Groรgewerkschaften zu ihren Gunsten und weniger Streiks hoffen, zeigt ein weiterer Vorgang an der Verhandlungsfront der Bahn AG. Fast unbemerkt von der รffentlichkeit, weil eben bislang streik- und weitgehend geruchsfrei, zieht sich auch die Verhandlung zwischen Bahn AG und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bereits ein dreiviertel Jahr ohne finales Ergebnis hin. Just am heutigen 19. Mai verkรผndete die EVG, man wรผrde nun am Donnerstag, 21. Mai versuchen, mit der Bahn AG die letzten strittigen Punkte zu verhandeln und droht mit einem Warnstreik.
Noch am gleichen Tag wรผrde man dazu einen Beschluss fassen, sollte die Bahn das Angebot von einer Tariferhรถhung bei den Lรถhnen von 4,7 Prozent in den kommenden 29 Monaten (also 2 Jahre und 5 Monate) nicht nachbessern. โVor allem aber werden wir keinen Abschluss akzeptieren, der ein unterschiedliches Ende von Tarifvertrรคgen fรผr verschiedene Berufsgruppen innerhalb des Unternehmens vorsiehtโ so EVG-Verhandlungsfรผhrerin Regina Rusch-Ziemba. Gemeint sind hier vor allem die Lokrangierer, fรผr welche auch die GDL Vertretungsanspruch erhebt. Der Vorwurf der GDL Richtung EVG: โDie GDL steht fรผr ein hohes Grundgehalt. Das schafft ein verlรคssliches Einkommen und sichert die Rente. Die EVG hat hingegen ein niedriges Grundgehalt fรผr Lokrangierfรผhrer vereinbart, das mit Zulagen aufgepรคppelt werden soll. Zulagen werden auch nur unter bestimmten Bedingungen gezahlt.โ
Die EVG: Groร, schrumpfend und zurรผckhaltend
Wรคhrend sich also die grรถรere EVG offensichtlich um eine geringe Erhรถhung eines niedrigen Grundgehaltes auf lange Sicht bemรผht und die Arbeit ihrer Mitglieder mittels frรผherer Zustimmung zu leistungsabhรคngigen Zahlungen โflexibilisiertโ hat, besteht die GDL auf die Erhรถhung eines bereits jetzt hรถheren Grundlohns zwischen 2.100 und 3.700 Euro (je nach Dienstjahren und Qualifikation) und den Abbau von offenbar lรคngst systemisch eingerechneten รberstunden. Womit laut Aussage der GDL 300 neue Arbeitsstellen statt weitere รberlastung der bereits vorhandenen Angestellten entstehen wรผrden.

Die Unterschiede sind also deutlich und nur scheinbar paradox hat die mit rund 200.000 Mitgliedern grรถรere Gewerkschaft, wie in allen Jahren zuvor, erneut den deutlich schlechteren Abschluss vor Augen. Bei ihrer Grรผndung 2010 hatte die EVG rund 246.000 Mitglieder, derzeit darf man noch von 200.000 ausgehen. Die Gewerkschaft schrumpft, der sogenannte Organisationsgrad ist geringer und die Kompromissbereitschaft scheint hรถher als bei der GDL.
Auch die EVG blockiert von ihrer Seite aus im Vorfeld des Tarifeinheitsgesetzes den Abschluss mit der Bahn. Die Ankรผndigung des Warnstreikes nach einer neunmonatigen Verhandlung ohne Ergebnis scheint dabei eher den Zweck zu erfรผllen, Aktivitรคt vorzugaukeln, statt wirklich Druck aufbauen zu wollen โ die vergangenen neun Monate verstrichen auch hier ohne Abschluss. Was die EVG als das erscheinen lรคsst, was sie offenbar nach dem Hervorgehen aus der โTransnetโ und der Beamtengewerkschaft GDBA am 30. November 2010 ist: Eine zahnlose Arbeitervertretung mit hohem Beamtenanteil und schwachen Abschlรผssen bei geringen Grundlรถhnen fรผr ihre Mitglieder.
Ein Gesetz auf geradem Weg zum Verfassungsgericht
Die Hoffnung von Bahn AG und EVG auf das โTarifeinheitsgesetzโ kรถnnte sich jedoch rasch zerschlagen. Der Marburger Bund der รrzte, GDL und Cockpit haben bereits Klagen gegen das Gesetz angekรผndigt. Teils im Eilverfahren, so dass bereits am Tag des Bundestagsbeschlusses eine einstweilige Verfรผgung das Gesetz auรer Kraft setzen kรถnnte. Die Chancen, dass die Verfassungsrichter alles wieder kippen kรถnnten, stehen dabei gut. Scheint doch der Gesetzgeber immerhin den Paragrafen 9 des Grundgesetzes zu tangieren. In Punkt 3 heiรt es: โDas Recht, zur Wahrung und Fรถrderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist fรผr jedermann und fรผr alle Berufe gewรคhrleistet. Abreden, die dieses Recht einschrรคnken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maรnahmen sind rechtswidrig.โ
Fรผhrt also nach Meinung der Richter das โTarifeinheitsgesetzโ dazu, dass die Bildung einer Spartengewerkschaft fรผr bestimmte Berufe insofern โeingeschrรคnkt und behindertโ wรผrde, weil diese quasi keine Verhandlungsmรถglichkeit im Rahmen eines Arbeitskampfes zur โWahrung und Fรถrderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungenโ mehr hรคtten, wรคre die โhierauf gerichtete Maรnahme โฆ rechtswidrigโ.
Die Bundestagsabgeordneten von SPD und CDU und eine Arbeitsministerin zocken also am Freitag auf hohem Niveau. Und, sollte das Gesetz zurรผckgewiesen werden, rรผckwirkend betrachtet auch auf dem Rรผcken der Bahnkunden, welche sich nun einem neunten, de facto unbefristeten Streik der Lokfรผhrer gegenรผber sehen. Wรผtende Bรผrger, welche eigentlich nicht auf den Zug, sondern eher auf den Ausgang dieses Gesetzgebungsverfahrens gewartet haben.
Der erste Schaden ist lรคngst eingetreten. Ohne das gesetzliche Vorhaben, hรคtte es wohl Lรถsungen gegeben, wรคren die Tarifabschlรผsse wohl lรคngst, wenn auch arbeitgeberseitig zรคhneknirschend unterzeichnet. Nun lassen es alle Beteiligten einfach drauf ankommen und der Blick geht lรคngst nach Karlsruhe. Die Reisebusunternehmen wirdโs erneut freuen.
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Vielen Dank fรผr Ihren sehr besonnenen Kommentar!
Die groรen Medien versuchen eine Analyse schon gar nicht mehr, sondern freuen sich auf die Aushรถhlung eines Grundrechts. Leider darf man โSystempresseโ nicht sagen, aber hier machen sich die groรen Medien wirklich selbst zum Ei.