So langsam werden es ungemütliche Zeiten für den neuen sächsischen Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Damit, dass er die Politik seines Amtsvorgängers Sven Morlok (FDP) nur ein klein wenig korrigiert, sammelt er keine Punkte beim Wähler. Längst ist im ganzen Land spürbar, was es bedeutet, wenn der ÖPNV auf Sparflamme gekürzt wurde. Und wo 90 Millionen Euro fehlen, sind 19 Millionen Euro mehr geradezu ein Witz.
Und vor allem ist auch dieser Verschiebebahnhof noch immer Ergebnis von über fünf Jahren Wirklichkeitsverweigerung. Bis zuletzt wurde der alte Verkehrsminister für die Uralt-Prognosen kritisiert, mit denen er den forcierten Straßenausbau in Sachsen begründete. Andererseits operiert die sächsische Staatsregierung bis heute mit Bevölkerungsprognosen, die schon seit fünf Jahren keiner Prüfung mehr standhalten. Das immerfort beschworene Schrumpfen der Bevölkerung bis 2025 (mit dem auch die Einsparungen im Staatshaushalt begründet wurden) wird so nicht eintreten. Und weil sie nicht eintreten, müssen die Verkehrsstrukturen völlig anders betrachtet werden als bisher, als auch im Verkehrsministerium immer galt: Rückbau hat Vorrang.
Aber gerade dieser Rückbau hat dazu geführt, dass ganze Landstriche mit dem ÖPNV nicht mehr sinnvoll erschlossen sind. Ein Land, in dem sich auch das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung ändert, muss investieren. Auch ins Schienennetz.
“Durch die Experten-Anhörung sehe ich mich in der Forderung nach der Auszahlung von mehr Regionalisierungsmittel an die sächsischen Verkehrszweckverbünde bestätigt. Die Sachverständigen, die zum Thema ÖPNV Stellung nahmen, haben den dringenden Bedarf der Änderung des Haushaltsansatzes bekräftigt. Die Kosten für die Zweckverbände nehmen zu”, erklärt Eva Jähnigen, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Haushalt und Finanzen zum ‘Neunten Gesetz zur Änderung des Sächsischen Finanzausgleichsgesetzes (FAG)’ mit dem Themenschwerpunkt ÖPNV am Montag, 3. März.
Clemens Kahrs vom VCD Elbe-Saale schilderte in seiner Stellungnahme eindrücklich, dass der öffentliche Verkehr in Sachsen nicht solide finanziert ist: “Wir haben Potential im Schienenverkehr. Die müssen wir erkennen und nutzen”, forderte der Experte die Abgeordneten der Regierungsfraktionen auf.
Nur 75 Prozent der für die Sicherung des regionalen ÖPNV vorgesehenen Regionalisierungsmittel fließen in Sachsen in den regionalen Schienenverkehr. Vom Rest bezahlt das Land Leistungen, die es eigentlich aus der eigenen Schatulle bezahlen müsste. Darunter ist auch das echte Verkehrsministerhobby “Schmalspurbahnen”. Das ist ganz bestimmt nicht gemeint mit “Regionalisierungsmittel”.
“Im Jahr 2015 werden von den vom Bund an den Freistaat überwiesenen 522,6 Millionen Euro Regionalisierungsmittel 54 Millionen Euro in den Ausbildungsverkehr fließen und 8,75 Millionen in die Schmalspurbahnen. Vom Rest der Summe sollen nur 411,6 Millionen Euro an die Zweckverbände gehen. Das wären weniger als 80 Prozent der Gesamtsumme”, kritisiert Jähnigen. “Das ist viel zu wenig. Diese geringe Erhöhung der Mittel ab dem Jahr 2015 um 19 Millionen Euro auf 411,6 Millionen Euro wäre nicht einmal der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Die Rahmenbedingungen haben sich für die Zweckverbände verschärft. Durch den Rückzug der Deutschen Bahn aus dem sogenannten eigenwirtschaftlichen Bahnverkehr auf der Sachsen-Franken-Magistrale und zwischen Görlitz und Dresden müssen jetzt die Zweckverbände diese Verkehrsleistungen kompensieren.”
Und so ganz nebenbei hat sich um die drei Großstädte der Bedarf an zügigen Verbindungen deutlich vermehrt. In Leipzig wurde das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz im Dezember 2013 in Betrieb genommen und ist auf einigen Hauptstrecken schon an seiner Kapazitätsgrenze angekommen. Ganz ähnlich in Dresden.
“Darüber hinaus müssen zusätzliche Leistungen wie z. B. die Taktverdichtungen im Raum Dresden-Meißen nach Ausbau der S-Bahnstrecke bestellt werden. Zusätzlich haben die Zweckverbände höhere Trassen- und Stationsentgelte, steigende Kosten der Infrastruktur und inflationsbedingte Mehrkosten zu stemmen”, spricht Jähnigen die wilde Randmusik an, die insbesondere die Deutsche Bahn angestimmt hat, um mit höheren Erlösen im regionalen Schienennetz die eigene Bilanz aufzuhübschen. Was wieder die Spielräume der Zweckverbände für Investitionen oder Kapazitätserweiterungen drastisch beschneidet. Das ist dann sozusagen Staatskapitalismus auf den Schultern der ÖPNV-Nutzer pur.
Jährlich erhält der Freistaat Sachsen zwischen 514,9 Millionen (2013) und 522,6 Millionen (2015) Euro Regionalisierungsmittel vom Bund zur Sicherung eines leistungsfähigen Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Seit 2010 hat die Staatsregierung nur noch 75 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel an die Zweckverbände weitergereicht. 2015 sind zwar knapp 80 Prozent vorgesehen. Bundesweit bleibt Sachsen damit aber auf dem letzten Platz.
In Zahlen: 2013 hat der Freistaat von 514,9 Millionen Euro Regionalisierungsmitteln nur 389,6 Millionen (75,66 %) an die für den Regionalverkehr zuständigen Zweckverbände weitergereicht, 2014 waren es von 522,6 Millionen Euro nur 392,6 Millionen (75,12 %). 2015 sollen es nun von 522,6 Millionen Euro dann 411,6 Millionen (78,76 %) sein.
“Wir Grünen schlagen deshalb vor, die Zuschüsse an die Aufgabenträger auf mindestens 90 Prozent der Regionalisierungsmittel zu erhöhen. Dies ist nötig, damit die regionalen Zweckverbände ein umfangreiches Fahrplanangebot bereitstellen können”, erläutert Jähnigen die Ansichten ihrer Fraktion.
Der VCD-Sachverständige Clemens Kahrs ging noch weiter: “Die Regionalisierungsmittel sind voll für den Schienenverkehr einzusetzen!”
Und was Jähnigen besonders ärgert, ist, dass der neue Verkehrsminister beim Verschiebebahnhof der Gelder einfach so weitermachen will wie der alte. Auch den Schülerverkehr, der eindeutig in die Landeshoheit gehört, will er weiter aus den Regionalisierungsmitteln bezahlen.
“Während Sachsen 2009 nur 15 Millionen Euro für den Schülerverkehr aus den Regionalisierungsmitteln entnahm und den Rest aus eigenen Haushaltsmitteln finanzierte, werden seit 2011 jährlich 54 Millionen Euro für den Schülerverkehr den Regionalisierungsmitteln entzogen”, kritisiert Jähnigen diese politische Unverfrorenheit. “Anstelle eigener Haushaltsmittel für Schmalspurbahnen und Schülerverkehr einzusetzen, bedient sich Sachsens Staatsregierung schamlos aus den Bundesmitteln.”
90 Prozent Regionalisierungsmittel wären 2015 immerhin 470 Millionen Euro – fast 60 Millionen mehr als von Martin Dulig geplant. Das würde auch im Zweckverband Nahverkehr Leipzig (ZVNL) ein paar wichtige Spielräume zur Verbesserung der regionalen Zugangebote ergeben.
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Interessant wäre zu wissen, ob hier tatsächlich eine zweckentfremdete Mittelverwendung durch die Landesregierung vorliegt und somit den regionalen Verkehrsverbünden erhebliche Mittel gesetzeswidrig? vorenthalten werden.
(Diesen bleibt – wie in Leipzig vortrefflich zu beobachten – nur übrig, fehlende Mittel von den Fahrgästen abzupressen. Dass dies für die Nutzung des ÖPNV kontraproduktiv ist, muss nicht groß erwähnt werden.)
Mich wundert, dass die Grünen eine 90%ige Verwendung der Mittel für den SPNV/ÖPNV nur “vorschlagen”…
In Leipzig kostet derzeit eine Kurzfahrt EUR1.80(!), in Dresden eine Stundenkarte EUR2.20. Bei den Preisen meide ich den ÖPNV weiterhin…