Es ist ja eine Menge Papier, die man eigentlich lesen mรผsste, wenn man sich mit dem ganzen Stadtentwicklungsplan Verkehr und รถffentlicher Raum (STEP Verkehr), der am Mittwoch, 25. Februar, im Stadtrat beschlossen wurde, beschรคftigen will. Gerade am Modal Split entzรผndeten sich die Geister. Was steckt drin, was nicht? Und wo bleibt der Wirtschaftsverkehr? L-IZ-Leser Volker Holzendorf hat den Wirtschaftsverkehr gefunden. Und mal aufbereitet.
Denn nicht alles, was zum Verkehr in Leipzig zu sagen wรคre, steht auch im 100-seitigen STEP. Der ist nur die Spitze des Eisberges, der beschreibt, wohin Leipzig (vielleicht mal) bis 2020 oder 2025 kommen will โ fรผr jede einzelne Verkehrsart, auch fรผr den Wirtschaftsverkehr gibt es eigene Kapitel.
Der Modal Split wird gleich im Vorsatz erwรคhnt, jetzt auch hรผbsch gepaart mit der Achtsamkeit fรผr den Wirtschaftsverkehr. Aber wie er sich tatsรคchlich zum Wirtschaftsverkehr verhรคlt, das steht in einem anderen, 117 Seiten dicken Papier, das zwingend zum STEP Verkehr dazu gehรถrt. Die Leipziger Verkehrsplaner haben es auf ihrer Website zusammen mit dem STEP verรถffentlicht: โMobilitรคt 2020 โ Neun Fachgutachtenโ.
Hier wurden alle Daten, Entwicklungstendenzen, Prognosen fรผr die Verkehrsentwicklung der Stadt noch einmal flankierend untersucht.
Volker Holzendorf, Biometriker von Beruf, geht es dabei wie auch der Mannschaft der L-IZ: Er betrachtet die Sache mit den Augen des Wissenschaftlers. Da zรคhlen nur Fakten und Zahlen. Nichts anderes. Sonst macht eine Diskussion ja keinen Sinn.
โMit Erstaunen habe ich die Diskussion zum Modal Split, einer Teilmenge des Verkehrs auf Leipziger Straรen und Wegen, im STEP VรถR zur Kenntnis genommen. Anbei habe ich die Modal-Split Werte des STEP VรถR in das zu erwartende Gesamtverkehrsaufkommen Leipzigs 2025 integriert und graphisch aufbereitet. Sehen Sie selbst!โ, schrieb er uns. Und merkte noch an: โDie Verteilung von privaten Wegen (Modal Split), Wirtschaftsverkher und Pendlerbeziehung ist seit Jahren konstant und findet sich z. B. in den Fachgutachten zum Step S.33. โ Das Verhรคltnis zwischen MIV und Umweltverbund ist ein grobe Schรคtzung. Hier lagen mir keine Zahlen fรผr Leipzig vor. Vergleicht man diese aber mit anderen Stรคdten in Deutschland ist 1/3 Umweltverbund eher zu hoch gegriffen. Das macht aber keinen Unterschied fรผr die eigentliche Aussage: Egal welcher Modal Split Zielwert vereinbart wird (25 % oder 30 % MIV), am Gesamtverkehrsaufkommen wird der MIV weiterhin mindestens 50 % Anteil haben!โ
Die Analyse, auf die er sich bezieht, stammt von Prof. Dr. Heike Flรคmig, ab Seite 31 in den Gutachten zu finden: โBedeutung des Gรผter- und Wirtschaftsverkehrsโ.
Die wichtige Passage, auf die es ankommt, lautet: โDer Wirtschaftsverkehr besitzt nach der neuesten Erhebung โKraftfahrzeugverkehr in Deutschland 2010 (KiD 2010)โ einen Anteil von rund 27 Prozent an den gesamten Fahrzeugfahrleistungen in Deutschland (WVI/IVT/DLR/KBA 2012, S. 26). Dies deckt sich mit dem in den 1990er Jahren geschรคtzten Anteil des motorisierten Segments des Wirtschaftsverkehrs von 25 bis 30 Prozent der werktรคglich durchgefรผhrten motorisierten Fahrten im stรคdtischen Verkehr, von denen wiederum ein Drittel auf den Gรผtertransport mit Nutzfahrzeugen und zwei Drittel auf den Personenwirtschaftsverkehr mit Pkw zurรผckgefรผhrt werden (vgl. exemplarisch IVU 1995). Eine Verkehrsbefragung in Leipzig im Jahr 2006 ergab, dass insgesamt 73 Prozent aller befragten Personen aus beruflichen Grรผnden mobil waren (Stadt Leipzig 2006, S.13-19). Davon entfielen 43 Prozent auf den Weg von oder zur Arbeits- bzw. Ausbildungsstรคtte. Mit dem Motiv โvon/zur dienstlichen Erledigungโ kรถnnen 30 Prozent dem Personenwirtschaftsverkehr zugeordnet werden. Demnach ist in Leipzig jedes vierte Kfz im Wirtschaftsverkehr unterwegs, wobei zu 60 Prozent Pkw und Kleintransporter zum Einsatz kommen.โ
Und wie rechnet man das in den Modal Split ein?
Als Konstante natรผrlich. Denn am Verhรคltnis von Wirtschaftsverkehr zu Privatverkehr wird sich ja nichts รคndern. Selbst wenn die Leipziger ihr privates Verkehrsverhalten รคndern, bleibt der notwendige Wirtschaftsverkehr in seinem Anteil erhalten. Wenn das Gesamtverkehrsaufkommen wรคchst, wรคchst auch der Wirtschaftsverkehr.
Volker Holzendorf hat zwei Grafiken erstellt, die deutlich machen, dass รnderungen innerhalb des (privaten) Modal Split am Anteil des Wirtschaftsverkehrs gar nichts รคndern. Aus den Zahlen von Heike Flรคmig hat er fรผr den Anteil aller privaten Wege (also den im STEP angegebenen Modal Split) 60 Prozent am Gesamtverkehrsaufkommen gesetzt. Da stecken auch die Fahrten von und zur Arbeit drin. Den Wirtschaftsverkehr hat er mit 25 Prozent angesetzt. Da kann man sich streiten, ob die 27 Prozent aus der bundesweiten Erhebung richtiger wรคren. Aber dazu mรผsste man in Leipzig Befragungen durchfรผhren. Immerhin spielt hier auch eine Rolle, dass die wirklich transportaufwรคndigen Produktionsstandorte Leipzigs mittlerweile fast alle im Norden angesiedelt sind.
Und er hat noch 15 Prozent Pendlerverkehr mit in die Grafik aufgenommen, auch das eine Grรถรe, an der Leipzig selbst wenig รคndern kann โ die aber auch nicht nur aus Autofahrern bestehen, sondern auch aus vielen Zug-Pendlern.
Wenn รผberhaupt, dann hat Leipzig ein bisschen Einfluss auf rund 60 Prozent des Verkehrsaufkommens. Von dem dann โ laut STEP Verkehr โ so um 2025 herum nur noch rund 30 Prozent motorisierter Individualverkehr sein sollen.
Das ist keine Planungsgrรถรe, sondern ein Wunschziel. Das muss man immer wieder betonen. Und es ist nicht dadurch zu erreichen, dass die Stadt vielleicht den Autoverkehr beschrรคnkt. Das funktioniert nicht. Das lassen sich freie Bรผrger nicht gefallen. So etwas funktioniert nur, wenn man die Angebote bei den anderen Verkehrsarten โ und zwar vor allem bei Radwegen und รPNV โ deutlich verbessert. Mit Betonung auf deutlich.
Nur zur Erinnerung: Der Stadtrat hat den STEP Verkehr am Mittwoch beschlossen. Wenn auch nur ein Verantwortlicher in der Leipziger Verwaltung den Modal Split darin ernst nimmt, dann mรผssen jetzt โ und zwar mit dem Doppelhaushalt 2015/2016 โ die Investitionen ins Radwegenetz und in die LVB-Strukturen deutlich steigen. Bei letzterer in der Grรถรenordnung 5 bis 20 Millionen Euro. Pro Jahr.
Wenn nicht, dann ist der Modal Split im STEP Verkehr wirklich witzlos. Dann hat der Autoverkehr an den privaten Wegen im Jahr 2025 nicht 25 Prozent Anteil (ein Horror gerade fรผr CDU und Wirtschaftskammern), auch nicht die etwas โsanfterenโ 30 Prozent, sondern 35 Prozent oder (wie 2008) knapp 40 Prozent.
Denn der Mensch ist nun mal kein Rรคdchen, das einfach gehorcht. Er sucht sich die Verkehrsart, die ihm bei seinen tรคglichen Wegen die niedrigsten Nutzungsschwellen bietet.
Deswegen ist auch die Angst der Wirtschaftsvertreter, ein schรคrferer Modal Split kรถnne den Wirtschaftsverkehr beeintrรคchtigen, eher irrational. Man kann Menschen nicht befehlen, wie sie sich zu bewegen haben. Kommunen wie Leipzig kรถnnen nur Strukturen schaffen, mรถglichst niederschwellig, mรถglichst klug vernetzt, mรถglichst sinnvoll.
Darum geht es bei Verkehrsplanungen: Auch mal die mรถglichen Engpรคsse der Zukunft vorweg zu denken.
Denn sichtbar ist schon jetzt, dass das wachsende Fahrzeugaufkommen auf Leipzigs Straรen viele Verkehrsrรคume kaum noch nutzbar macht. Sie sind heillos zugeparkt. Und das schรคdigt auch den Wirtschaftsverkehr.
Tatsรคchlich mรผsste ein gemeinsames Ziel sein, mรถglichst viel privaten Verkehr weg vom eigenen Auto hin zu รPNV, Rad- und und Fuรverkehr zu lenken.
Dazu braucht es mehr als nur einen STEP Verkehr. Zurecht mahnt die CDU-Frakion an, dass auch andere Leitplรคne der Stadt โ wie der STEP Zentren โ endlich mitgedacht werden, wenn es um Verkehr geht. Denn gerade beim Einkaufsverkehr haben sich die Zahlen in den letzen Jahren verschlechtert: Immer mehr Leipziger sehen sich gezwungen, ihre Einkรคufe mit dem Auto zu machen, weil die entstandenen (Einkaufs-)Zentren aufs Auto zugeschnitten sind, nicht auf รPNV, Rad und Fuรgรคnger.
Dumm an der Mittwochentscheidung war tatsรคchlich: Man hat den neuen STEP ohne neue Zahlen beschlossen. Die letzte Ermittlung zum Modal Split stammt von 2008. 2013 wรคren die neuesten Zahlen fรคllig gewesen. Immerhin geht es um eine Beschreibung der Entwicklung. Die alten Zahlenreihen zeigen, wie der Autoverkehr (MIV) bis 2003 in Leipzig permanent Anteile gewann. 2008 aber ging er anteilmรครig erstmals zurรผck. Was nicht wirklich mit einem Rรผckgang des Pkw-Verkehr zu tun hat, sondern mit dem einsetzenden Wachstum der Stadt und der Bevorzugung umweltfreundlicher Verkehrsarten gerade der jรผngeren Leipziger beim Weg zu Arbeit, Ausbildung oder zur Freizeit. Insbesondere der Radverkehr hat seit 1991 seinen Anteil deutlich vergrรถรert โ von 5,8 auf 14,4 Prozent.
Auch die Leipziger Radfahrer sind unruhig und warten auf neue Zahlen. Denn wer auf Leipzigs Straรen schaut, sieht, dass der Anteil bis 2013 wohl noch weiter gewachsen ist.
Eine andere Gefahr ist viel grรถรer: Dass dieser STEP Verkehr ein zahnloser Tiger bleibt, der gar keine Konsequenzen nach sich zieht. Jedenfalls nicht die, die dran wรคren, weil sie zukunftsfรคhig sind.
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